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Beichtstühle wurden von Priestern missbraucht, um von Kindern Geständnisse über sexuelle Fantasien zu erpressen.

© dpa

Sexueller Missbrauch: Die Kirchen stellen sich - die Moscheen müssen es auch

Eine rigide Sexualmoral und patriarchale Macht haben in den christlichen Kirchen sexuelle Gewalt begünstigt. Ist der Islam davor gefeit, nur weil er Übergriffe verbietet? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia Keller

Der unabhängige Gutachter Ulrich Weber stellte kürzlich seine Zwischenbilanz über Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen vor: Von den 1960er bis in die 90er Jahre wurden 231 Chorknaben von Priestern und Lehrern seelisch und körperlich misshandelt. 50 wurden sexuell missbraucht. Weber schätzt, dass es insgesamt 600 bis 700 Opfer geben könnte.

Georg Ratzinger war von 1964 bis 1994 Kapellmeister bei den Domspatzen. Heute ist er 92 Jahre alt, blind und taub. Doch von der Aufarbeitung des Missbrauchs hat er mitbekommen. „Es ist einfach Irrsinn, wie man über 40 Jahre hinweg überprüfen will, wie viele Ohrfeigen bei uns verteilt worden sind“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk vor einer Woche. Für ihn sei das Thema abgeschlossen. Er gab zu, selbst Ohrfeigen erteilt zu haben. Von sexuellen Übergriffen habe er nichts mitbekommen.

Der Anwalt Ulrich Weber hat in acht Monaten mehr zutage gefördert als das Regensburger Bistum in fünf Jahren. Als 2010 die ersten Domspatzen erzählten, dass sie von Priestern geprügelt und betatscht wurden, gab der damalige Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller in aller klerikaler Selbstgerechtigkeit den Medien die Schuld, die darüber berichteten: „Solche, die um jeden Preis die katholische Kirche um ihren guten Ruf bringen wollen, haben sich die Regensburger Domspatzen als Opfer ausgesucht. Ein Glanzstück soll in den Dreck gezogen werden.“

Auch die Katholiken müssen noch viel tun

Müller ist heute Chef der römischen Glaubenskongregation, die in den Missbrauchsfällen ermitteln und die Täter verurteilen soll. Webers Bericht zeigt, dass bei der Kirche noch viel Aufarbeitung nötig ist, auch wenn sich schon viel getan hat.

Prävention dient zur Sensibilisierung, um Taten zu vermeiden. Das kirchliche Problem war nicht nur, dass Missbräuche passiert sind, sondern dass diese gedeckt und vertuscht wurden. Da hilft weder Prävention, noch die Thematisierung der Geschlechterbilder von Mann und Frau.

schreibt NutzerIn slmAbraham

Klar ist: Wo sich eine rigide Sexualmoral, ein verklemmter Umgang von Männern und Frauen mit geschlossenen patriarchalen Machtstrukturen verbinden, die auch noch theologisch überhöht und legitimiert werden, kann ein Klima entstehen, das sexuelle Gewalt befördert. Komplizenschaft trägt zur Vertuschung ebenso bei wie die Angst vor dem Imageschaden. Bei den Domspatzen blieben die Taten auch deshalb so lange unter der Decke, weil Eltern das Wohl ihrer Kinder dem Heiligenschein des Chors opferten.

Theologisch legitimierte, patriarchale Strukturen, eine rigide Sexualmoral und ein verklemmter Umgang von Männern und Frauen gibt es auch in vielen Moscheegemeinden. Doch in den Islamverbänden herrscht noch immer die Meinung vor: So etwas Verwerfliches gibt es bei uns nicht. Denn der Islam verbiete sexuelle Übergriffe.

Das Argument überzeugt nicht. Denn auch zur christlichen Kernbotschaft gehört die Nächstenliebe und der Schutz der Schwachen. Und doch konnte sich in Kirchen und Gemeindehäusern weltweit Gewalt ausbreiten.

Ein Klima, in dem Missbrauch gedeiht

Vielleicht stimmt es, dass Moscheegemeinden der einzige gesellschaftliche Bereich sind, in denen Kindern und Jugendlichen keine sexuelle Gewalt angetan wird. Wahrscheinlich ist es nicht. Und selbst wenn es so wäre, würde es nicht schaden vorzubeugen. Doch Johannes-Wilhelm Rörig, der Beauftragte der Bundesregierung für die Aufklärung von sexueller Gewalt, versucht seit eineinhalb Jahren vergeblich, mit den Islamverbänden entsprechende Vereinbarungen zu schließen, wie es sie mittlerweile mit allen anderen großen Dachorganisationen von Sport, Schule und Kultur- und Freizeiteinrichtungen gibt.

Mitte Februar wollen Rörig und Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime einen ersten Schritt: In den ZMD-Moscheen sollen drei-sprachige Informationsblätter verteilt werden. Viel ist das nicht. Die anderen Verbände, auch die deutsch-türkische Ditib, zu der die meisten Moscheen in Deutschland gehören, sind nicht mal dazu bereit. Nicht nur um des Wohls der eigenen Kinder und Frauen willen, wäre es nötig, dass auch unter Muslimen das Gespräch über sexuelle Gewalt in Gang kommt. Es geht auch um den Schutz von Flüchtlingskindern, die in Moscheegemeinden aufgenommen werden.

Die Islamverbände brüsten sich gerne damit, dass auch sie in der Flüchtlingshilfe aktiv sind. Wenn sich Verbandschefs und Moscheevorstände so sicher sind, dass sexuelle Übergriffe bei ihnen nicht vorkommen, wovor haben sie dann Angst? Man sollte sie beim Wort nehmen. In einigen Bundesländern, etwa in Niedersachsen und in Berlin verhandeln Politiker, Juristen und Chefs der Islam-Verbände über Staatsverträge. Die staatliche Seite könnte Präventionsvereinbarungen zur Bedingung machen. Gegen den Schutz von Kindern kann schließlich niemand etwas haben.

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