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Passanten stehen am 26.12.2016 in Berlin vor einem Blumen- und Kerzenmeer am Breitscheidplatz, dem Ort des Anschlags.

© dpa

Sicherheit in Deutschland: Was droht nach dem Jahr des Terrors?

Ansbach, Würzburg, Hannover, Essen, Berlin: Der islamistische Terror hat Deutschland 2016 gepackt wie nie zuvor. Entspannung ist nicht in Sicht.

Von Frank Jansen

Die Stimme des jungen Hamburgers klingt nuschelig und ist teilweise schwer zu verstehen. Außerdem redet der junge Mann hastig, er hat offenbar Angst. Und doch will er seine Empörung loswerden über das, was er bei der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) erlebt, an einem Ort im Irak. „Die haben gesagt, wir gehen jetzt ins Trainingslager, die haben uns angelogen, die haben niemals die Wahrheit gesagt.“

Das ist einer der ersten Sätze aus einer Audiobotschaft des 17-Jährigen, der sich „Bilal“ nennt und im Mai 2015 aus Deutschland zum IS gereist ist. Nach einigen Wochen wendet sich der desillusionierte Bilal über das Internet in der knapp sechsminütigen Aufnahme an einen „Bruder“, einen Salafisten in der Hansestadt, um ihn zu warnen. Was Bilal sagt, ist ein zeitgeschichtliches Dokument, das frösteln lässt. Erst recht am Ende eines Jahres, in dem der islamistische Terror Deutschland gepackt hat wie nie zuvor.

Bilal sitzt mit weiteren ausländischen Kämpfern in einem Haus. „Wir dürfen nicht rausgehen, wir dürfen nix“ ... „die Brüder streiten sich, Streit, Streit“ ... „nach ein paar Tagen gab es Schlägerei im Haus“... „wir dürfen nicht raus, wir dürfen nicht mal in Moschee beten“ ... „electricity funktioniert nicht“...„jetzt kommt das Stärkste, Bruder: Der Amir (Befehlshaber) sagt, da wo die kämpfen, sagt zu denen, kämpft einfach, geht einfach nach vorne, stürmt einfach nach vorne“ ... „da kannst du dir gleich eine Pistole nehmen und dir in den Kopf schießen, das ist genauso, die schicken die Brüder in den Tod“ ... „jetzt sind Brüder verschwunden, wir wissen nicht, wo die Brüder sind, die sind einfach verschwunden und so“ ... „die (gemeint sind Anführer des IS) sagen, geh kämpfen, die sitzen nur und machen selber nichts“ ... „da sind Brüder gegangen, sich zu beschweren, die beschweren sich, die (die IS-Leute) packen sie ins Gefängnis“ ... „ein Bruder wollte zurück wieder nach Frankreich, der wollte wieder zurück, sie sagten, ja, kein Problem, komm, aber die stecken ihn in Gefängnis“ ... „ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist“ ...

Die Gefahr durch den IS hat in Deutschland dramatisch zugenommen

Der Hamburger Verfassungsschutz kam an die Audiodatei heran und hat sie auf seine Homepage gestellt. Die Aufzeichnung „räumt auf mit der romantisierenden Vorstellung des Dschihad und entlarvt die Propaganda des IS als Lügengebilde“, schreibt die Behörde. Über Bilal weiß sie inzwischen, dass er tot ist. Wie auch ein weiterer junger Mann, der mit Bilal zum IS gereist war. In der Hamburger Salafistenszene wird nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes erzählt, die Terrormiliz habe die beiden umgebracht.

Trotz solcher tragischen Geschichten und sinkender Ausreisezahlen hat die Gefahr, die vom IS ausgeht, auch und gerade für Deutschland, in diesem Jahr noch dramatisch zugenommen. Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz ist der schwerste islamistische Angriff in der Geschichte der Bundesrepublik. Zwölf Menschen sind tot, ungefähr 50 haben Verletzungen erlitten. Die Amokfahrt von Anis Amri mit einem gekaperten Lkw ist ein tiefer Einschnitt in die innere Sicherheit des Landes. Das sich lange nahezu unverwundbar wähnte, auch nach den tödlichen Schüssen des Kosovaren Arid Uka im März 2011 auf zwei US-Soldaten am Frankfurter Flughafen. Entsetzen und Mitgefühl hielten sich damals in Grenzen.

Doch jetzt hat ein junger Tunesier in Berlin ein Massaker angerichtet. Amri ist kaum älter, als Arid Uka es bei seinem Anschlag war. Die Generation Dschihad ist jung, impulsiv und voller Hass. Welche Folgen die Radikalisierung pubertierender Muslime haben kann, erlebt die Bundesrepublik zwar Jahr für Jahr, doch 2016 war nicht nur wegen des Anschlags in Berlin in mehrfacher Hinsicht ein trauriger Höhepunkt.

Das Land erlebte den ersten Selbstmordanschlag, als sich am 24. Juli im bayerischen Ansbach der Syrer Mohammed Daleel in die Luft sprengte. 15 Menschen, Besucher eines Festivals, wurden verletzt. Daleel war 27 Jahre alt. Nur sechs Tage zuvor hatte Riaz Khan Ahmadzai, der sich in Deutschland als 17-jähriger Afghane ausgab, mit einer Axt fünf Menschen in Würzburg schwere Schnittwunden zugefügt. Polizisten, die zufällig in der Nähe waren, erschossen den Täter. Dass kein Opfer bei den beiden Anschlägen starb, ist fast ein Wunder.

Ein bedrückendes Novum war für die Bundesrepublik auch, dass die Attentäter als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren. Die beiden Anschläge schienen die Angstpropaganda von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten gegen Asylbewerber zu bestätigen. Zumal Ahmadzai und Daleel als „Soldaten“ des IS agiert hatten.

Die Terrormiliz konnte die Attacken als taktischen und strategischen Erfolg verbuchen. Taktisch, weil in Deutschland zwei Anschläge in der Manier des vom IS propagierten individuellen Dschihad gelungen waren. Strategisch, weil die Terrormiliz auf eine Zunahme rassistischer Ressentiments bei den „Ungläubigen“ setzt. In der Hoffnung, deren Feindseligkeit würde empörte und verängstigte Muslime in die Arme des IS treiben.

15-jährige Täterin

Würzburg und Ansbach waren zudem 2016 nicht die einzigen Terrorangriffe jung radikalisierter Salafisten. Und eine Attacke war gleich in zweifacher Hinsicht neu. Am 26. Februar stach die Salafisten Safia S. im Hauptbahnhof Hannover mit einem Messer einem Bundespolizisten in den Hals. Nie zuvor hatte in Deutschland eine Frau einen islamistischen Anschlag verübt, und noch nie jemand, der so jung war. Als Safia S. die Tat begang, war sie erst 15 und Schülerin. Und mutmaßlich gesteuert vom IS.

Schon eineinhalb Monate später wurde die Republik wieder durch einen Anschlag jugendlicher Salafisten geschockt. Am 16. April zündeten zwei 16-Jährige eine Bombe vor einem Sikh-Tempel in Essen. Drei Menschen wurden verletzt. Die Täter gehörten zu einer salafistischen Jugendgang mit Sympathien für die Machohelden des IS, wie den Berliner Ex-Rapper und heutigen Terroragitator Denis Cuspert. Und die mentale Verrohung der Jugendlichen zeigte sich nicht nur im Sprengstoffanschlag.

Einer der beiden Bombenleger beschrieb in der Untersuchungshaft in einem Brief an seinen Mittäter Gedankenspiele über einen Angriff auf Kinder. „Ich arbeite als Eismann mit meinem Eiswagen und verkaufe Eis an viele Kinder. Dürfte ich nach der Scharia das Eis mit Arsen oder Warfarin würzen oder besser Strychnin, um dann Kinder zu töten?“ Im Brief ist auch von einem Selbstmordanschlag mit dem Eiswagen auf einen Kindergarten die Rede. Und von der Vergewaltigung nicht-muslimischer Mädchen.

Dass aber selbst Kinder, noch strafunmündig, vom IS zu Killern abgerichtet werden, musste die Bundesrepublik nun auch erfahren. Ein zwölf Jahre alter Junge bastelte in Ludwigshafen eine Nagelbombe und versuchte im November, den Weihnachtsmarkt der Stadt anzugreifen. Als der Zünder versagte, probierte das Kind es im Dezember am Rathaus. Zum Glück knallte es wieder nicht. Sicherheitskreise gehen davon aus, dass der Zwölfjährige vom IS agitiert wurde. Und es wird befürchtet, der nächste Täter könnte noch jünger sein.

Die Terrorgefahr ist allerdings komplex und komplett unberechenbar. Das zeigt ein Fall mit unüblichen Zutaten. Ende November wurde bekannt, dass sich im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein Mitarbeiter zum Islamisten radikalisiert hatte. Kein junger Mann, der aus Spanien stammende Roque M. ist 51 Jahre alt. Im Internet brüstete er sich in einem Chat, er sei Verfassungsschützer und könne Glaubensbrüder ins Bundesamt einschleusen – für eine Gewalttat „im Sinne Allahs“. Dummerweise war der Chatpartner auch ein BfV-Mann. Er beobachtet salafistische Umtriebe im Internet und meldete den brisanten Vorgang der Behörde. Roque M. sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Auch dieser Fall ist ein Novum. Noch nie hatte ein Islamist sich in einem deutschen Nachrichtendienst als Maulwurf eingenistet. Jedenfalls ist kein weiterer Fall bekannt.

Hat Deutschland nun erstmal genug „Innovationen“ des Terrors erlebt? Wohl kaum. Sicherheitskreise befürchten, gerade 2017 könnte ein Jahr werden, in dem der IS oder auch Al Qaida die Bundesrepublik wieder hart trifft – oder noch härter. Die anstehenden Wahlkämpfe mit vielen öffentlichen Veranstaltungen dürften für die islamistische Terrorszene hochinteressante Ziele sein. Gewählt wird im März im Saarland, im Mai in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Und im September steht die Bundestagswahl an. Weiche Ziele en masse.

Hoher symbolischer Wert

Jeder Anschlag auf eine Versammlung einer größeren Partei hätte für den Angreifer einen hohen symbolischen Wert. Erst recht, wenn Anhänger und Politiker der im Bund regierenden CDU, CSU und SPD getroffen würden. Aber auch ein Anschlag auf eine Oppositionspartei, vor allem auf die islamfeindliche AfD, wäre für die Propaganda des IS ein Triumph. Polizei und Nachrichtendienste stehen vor einer gewaltigen Herausforderung. Und nicht nur wegen der Wahlkämpfe.

Im Juli treffen sich in Hamburg Staats- und Regierungschefs beim zweitägigen G-20-Gipfel. Die Hansestadt erwartet nicht nur hunderte Politiker und Mitarbeiter, sondern auch zehntausende Demonstranten, darunter viele militante Linke aus dem In- und Ausland. Das Protest- und Krawallpotenzial könnte noch höher sein als bei früheren Gipfeln, da diesmal Reizfiguren par excellence erwartet werden: Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan. Die Polizei steht vor einer fast unlösbaren Aufgabe.

Sie muss die Politiker und deren Tross vor gewaltbereiten Demonstranten schützen. Sie muss Krawalle von Autonomen verhindern wie auch Auseinandersetzungen zwischen türkischen Nationalisten und Anhängern der kurdischen Separatistenorganisation PKK. Und dann muss die Polizei noch die Gefahr eines islamistischen Anschlags auf die Teilnehmer des G-20-Gipfels, aber auch auf die vielen Demonstranten und die Stadt überhaupt, so gering halten, wie es eben geht. Angeblich werden sogar Kampfflugzeuge der Bundeswehr bereitgestellt, um einen Terrorangriff mit einer entführten Passagiermaschine abzuwehren.

„Wir haben einige Erfolge beim Kampf gegen den Terrorismus, gegen den IS erreichen können“, hat Angela Merkel Anfang Dezember in einem Video-Podcast gesagt. „Die Befreiung von Mossul, die gerade läuft, ist ein solches Beispiel.“ Doch die Kanzlerin bleibt skeptisch. „Das hat im Gegenzug zum Teil die Gefährdungen – auch bei uns im Land – noch mal erhöht, weil die Aggressivität gestiegen ist.“ Sie hätte auch sagen können: Das Risiko, dass ein Hit-Team des IS in Deutschland einen Anschlag nach dem Muster des Angriffs vom 13. November 2015 in Paris verübt, oder dass ein Attentäter wie in Nizza mit einem Lkw in eine Menge rast oder wie in Würzburg mit einer Axt wütet oder sich wie in Ansbach in die Luft sprengt, lässt keinesfalls nach.

Und heute müsste sie „Nizza“ mit „Berlin“ ergänzen.

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