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Sicherheitsexperte Kai Hirschmann: „Wir müssen Routine im Umgang mit Gewaltandrohungen lernen“

Kai Hirschmann ist stellvertretender Direktor des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik in Essen. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel erklärt er die Sicherheitslage Deutschlands nach den verhinderten Paketbombenanschlägen.

Herr Hirschmann, der Innenminister hat nach dem vereitelten Paketbombenanschlag vor erneuten Terrorakten gewarnt. Ist die Gefahr in Deutschland größer geworden?

Nein. Die Gefahr eines terroristischen Anschlags ist in Deutschland grundsätzlich unverändert hoch. Die Paketbomben aus dem Jemen sind eine neue taktische Variante der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus.

Muss denn in der nächsten Zeit konkret mit einem Anschlag gerechnet werden?

Es gibt auch in Deutschland Bestrebungen, einen Anschlag zu verüben. Bisher ist das daran gescheitert, dass die Sicherheitsbehörden sehr wachsam waren und die Zeit nicht ausreichte, um so etwas zu planen. Das ist aber keine Garantie für die Zukunft. Wir müssen darauf eingestellt sein, dass der islamistische Terrorismus versuchen wird, wieder in Europa zuzuschlagen – auch in Deutschland. Das Problem ist, dass die Gefährdung abstrakt ist, man kennt die konkreten Anschlagsziele nicht. Man hört derzeit aber ein Grundrauschen, das sich verstärkt hat. Die Aktivitäten in Bezug auf Europa scheinen zuzunehmen.

Sind die Paketbomben per Luftfracht ein neues Einfallstor für Terroristen?

Für den islamistischen Terrorismus ist es schwieriger geworden, Personen von A nach B zu schicken. Jetzt versuchen sie es mit Objekten. Bei UPS oder DHL kann man nachvollziehen, wo eine Sendung gerade ist. Das Paket aus dem Jemen ist aufgefallen, weil es einen Überläufer von Al Qaida auf der arabischen Halbinsel gab, der darauf hingewiesen hat. Vermutlich wäre es ansonsten bei seinem Empfänger in den USA angekommen.

Bisher wurde ein großer Teil der Waren, die per Luftfracht nach Deutschland kamen, nicht kontrolliert. Ist es überhaupt machbar, die Kontrollen zu verschärfen?

Theoretisch könnte jedes einkommende Paket vom Zoll untersucht werden. Praktisch ist das nicht möglich bei Millionen von Paketen. Man kann nur punktuell suchen. Dafür müssen Gefährdergruppen gebildet werden. Wenn ein gebrauchter Drucker aus dem Jemen in die USA geschickt wird, ist das nicht logisch, sondern fragwürdig. Aber selbst wenn man die Kontrollen im internationalen Frachtverkehr verstärkt: Wer sagt uns, dass ein Paket mit einer Bombe aus dem Ausland kommen muss? Es könnte doch eine neue taktische Variante sein, dass Terroristen das nächste Mal ein solches Paket aus Köln verschicken. Wir haben hier schließlich eine sehr intensive Szene.

In letzter Zeit haben die Sicherheitsbehörden in Deutschland mehrere Anschlagsversuche vereitelt. Zeigt das nicht, dass die Frühwarnsysteme funktionieren?

Die Sicherheitsbehörden leisten gute Arbeit. Aber je kürzer die Radikalisierungszeiten sind, desto weniger erscheinen die Verdächtigen auf den Radarschirmen. Wenn jemand bislang nicht verhaltensauffällig war und dann sehr schnell bereit ist, zur Tat zu schreiten, reicht die Zeit vermutlich nicht aus, ihn aufzuspüren. Bei den sogenannten Kofferbombern von Köln hat man gesehen, dass die eine sehr kurze Radikalisierungszeit hatten. Wir werden daher mit dem Risiko leben müssen, dass auch hier unter Umständen mal ein Anschlag gelingt.

Die Bundeskanzlerin ist vom Innenminister zunächst nur unzureichend über die Paketbombe auf deutschem Gebiet informiert worden. War das fahrlässig?

Ich will niemandem einen Vorwurf machen, wenn er etwas wartet und nachdenkt. Es schadet nicht, ein komplettes Lagebild zu haben, bevor man etwas unternimmt, gerade auch, weil die Öffentlichkeit bei Terrorwarnungen so sensibel reagiert. In dieser Branche gibt es viel Informationsmüll. Man muss immer abwägen, ob ein Überläufer sich nur wichtig machen will oder wie konkret seine Hinweise sind. In Amerika gab es schon oft unbegründeten Terroralarm. Ich kann nicht einschätzen, inwieweit Herr de Maizière ein komplettes Lagebild hatte oder nicht, als die Kanzlerin nach Großbritannien flog. Er gilt allgemein als zurückhaltender, besonnener Mensch. Vermutlich wird er gewartet haben, ob es konkrete Anhaltspunkte für eine Terrorgefahr gibt – außer der Aussage des Überläufers.

Die Gefahr wurde also nicht verharmlost?

Wir müssen wissen, dass es Menschen gibt, die in Deutschland einen Anschlag verüben wollen. Wir sollten uns nicht jedes Mal überraschen lassen. Nach Madrid haben wir uns gefragt, ob wir noch beruhigt in einen Zug einsteigen können. Jetzt fragen wir uns, ob wir noch Pakete verschicken können. Ein unaufgeregter Umgang mit dem Thema trägt zur Beruhigung bei. Es muss klar sein, dass wir etwas gegen den Terror unternehmen, aber nicht alles verhindern können. Wir Deutschen müssen eine Art Routine im Umgang mit Gewaltandrohungen noch lernen.

Kai Hirschmann ist stellvertretender Direktor des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik in Essen. Das Interview führte Cordula Eubel.

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