zum Hauptinhalt

Sicherungsverwahrung: "Dauerbewachung ist keine Option"

Die Politik streitet über den Umgang mit entlassenen Sicherheitsverwahrten. Hans-Ludwig Kröber, Leiter die Forensische Psychiatrie der Berliner Charité, spricht über Dauerbewachung, Fußfesseln und die Einrichtung von geschlossenen Heimen.

Was müsste Ihrer Ansicht nach mit rückfallgefährdeten Straftätern geschehen?

Man muss versuchen, diesen Menschen bestimmte haltende Strukturen zu vermitteln. Das bedeutet, dass sie nach der Haftentlassung nicht völlig isoliert wohnen, sondern am besten in einem Wohnheim oder anders betreut. Sie sollten einer geregelten Arbeit nachgehen und auch sozial eingebunden werden. Die Entlassenen müssen wissen, dass man sie wahrnimmt und auch kontrolliert.

Im Gespräch sind elektronische Fußfesseln oder eine Dauerbewachung durch Polizisten. Sind das sinnvolle Maßnahmen?
Absolut nicht. Gerade die polizeiliche Rund-um-die-Uhr-Bewachung ist keine Option, sondern nur eine populistische Notmaßnahme, um die Bevölkerung zu beruhigen. Das können wir uns auch gar nicht leisten, so etwas kostet einen fünfstelligen Betrag im Monat und müsste über Jahre aufrechterhalten werden – und an dem Problem selbst ändert sich nichts.

Was sollte die Politik stattdessen tun?

Die Bundesländer werden nicht umhinkommen, früher oder später Wohneinrichtungen für rückfallgefährdete Haftentlassene zu schaffen, die heimartig sind. Allerdings dürfen das keine geschlossenen Heime sein, das wäre rechtlich nicht möglich. Und wichtig sind normale soziale Beziehungen: Ein Sozialarbeiter kann gut für fünf bis zehn Entlassene zuständig sein.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009 müssen bis zu 80 Häftlinge entlassen werden, die nach Verbüßung ihrer Haftstrafe noch weiter eingesperrt blieben.

Wie groß ist denn die Gefahr, die von dieser Personengruppe ausgeht?

Bei Straftätern, die sehr lange im Freiheitsentzug gelebt haben, werden im Schnitt nur noch etwa zehn bis 15 Prozent rückfällig. Die meisten sind bei der Entlassung älter als 50 Jahre, die klassische Kriminalitätsaktivität endet aber in der Regel mit Ende 40. Die Älteren betätigen sich allenfalls als Berater oder Förderer bei Straftaten – das würde aber keine Sicherungsverwahrung rechtfertigen. Anders sieht das bei Pädosexuellen aus. Die sind oft bis ins hohe Alter aktiv, allerdings sind das meist keine hochgradig gefährlichen Täter. Und nur um die geht es bei der Sicherungsverwahrung.

Aber gerade bei Pädophilen reagiert die Öffentlichkeit sehr sensibel.

Das ist richtig. Und es traut sich auch keiner darüber zu sprechen, dass Kinder manche sexuelle Belästigung auch relativ unbeschadet überstehen können – die Voraussetzung für die Sicherungsverwahrung sind aber dauerhafte psychische oder physische Schäden.

Sind denn die Sicherheitsverwahrten, die jetzt zur Entlassung anstehen, darauf ausreichend vorbereitet worden?

Nachdem der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte die nachträgliche Sicherungsverwahrung beanstandet hat, haben viele Bundesländer mit Übergangsvorbereitungen angefangen. Also zum Beispiel damit, dass der zu Entlassende einen Personalausweis erhält und sich bei einer Krankenkasse anmeldet. Da ist relativ viel in relativ kurzer Zeit geschehen. Aber im grundsätzlichen Sinne sind sie nicht vorbereitet, denn sonst wären sie ja bereits entlassen worden: Die Therapien waren nicht erfolgreich, und daher bringen diese Menschen ein gewisses Risikopotenzial mit. Manche sind resigniert und hospitalisiert, andere haben das Gefühl, dass das Leben jetzt erst richtig losgeht. Beides kann gefährlich sein.

Wie gehen andere Länder mit solchen Straftätern um?

Ein vergleichbares, zweigleisiges System mit Strafe und Maßregelvollzug nebeneinander haben die wenigsten. Aber auch in Großbritannien werden Straftäter weggesperrt, bei denen von einer fortdauernden Gefährlichkeit ausgegangen wird. Die Hürden dafür sind niedrig und beruhen auf der Einschätzung von Sozialarbeitern. Das ist mit Blick auf die Bürgerrechte auch nicht gerade erfreulich.

Und wie gut ist das deutsche System?

Dass die Straßburger Richter die rückwirkende Sicherungsverwahrung gerügt haben, war richtig. Denn es kann ja nicht sein, dass es bei der Verbüßung einer Strafe ein Rückwirkungsverbot gibt, aber nicht bei der Sicherungswahrung – obwohl beides faktisch im Vollzug nicht unterscheidbar ist. Auch bei rückfallgefährdeten Straftätern muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung sollte abgeschafft werden. Dieses mit einem riesigen Aufwand verbundene Instrument ist gescheitert: Es gab Hunderte von Verfahren, und am Ende kamen nur 17 in die nachträgliche Sicherungsverwahrung – in ganz Deutschland.

Halten Sie die Sicherungsverwahrung generell für falsch?

Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat ja entschieden, dass bei Einzelfällen, in denen der Straftäter so gefährlich ist, dass man fast sicher sein kann, dass er rückfällig wird, die Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Aber inzwischen ist es in der Praxis schon so, dass dies bei fast allen Wiederholungstätern angewandt wird – gerade bei publikumswirksamen Straftaten. Die Öffentlichkeit scheint zu erwarten, dass auch wiederholte nicht gewaltsame sexuelle Übergriffe schon mit lebenslanger Haft bestraft werden. Das schafft uns aber enorme Probleme – und überfüllte Gefängnisse. Früher hat man dafür zwei, drei Jahre Haft bekommen.

Muss das Strafrecht reformiert werden?

Bis 1998 war die erste Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzt. Das war sinnvoll, denn so waren die Verantwortlichen dazu gezwungen, sich danach mit dem Häftling zu beschäftigen. Jeder hat dann diese Chance bekommen, und das muss der Öffentlichkeit auch zugemutet werden. Aber wahrscheinlich werden wir dahin nie wieder kommen. Allerdings finde ich auch sehr bemerkenswert, was gerade passiert: Zum ersten Mal diskutieren wird nicht nur darüber, wie Strafen verschärft werden können und in Richtung einer absoluten Sicherheit, sondern auch darüber, wo Gesetze und Maßnahmen, die gescheitert sind, auch wieder abgeschafft werden können.

Hans-Ludwig Kröber leitet die Forensische Psychiatrie der Berliner Charité und wirkt oft bei der Begutachtung von Straftätern mit. Mit ihm sprach Juliane Schäuble.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false