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Auch mit 80 Jahren

© dpa

Politik: Sie hat ihren Koffer ausgepackt

Charlotte Knobloch mahnt nicht nur, sie wirbt für positiven deutschen Patriotismus. Heute wird sie 80.

Berlin/München - Auf einmal war das Tor zu. Die Hausmeisterin hatte es geschlossen, damit Charlotte Neuland nicht mehr mit den anderen Kindern spielen konnte. Das war 1938. Charlotte Neuland überlebte die Nazi-Diktatur, weil das Dienstmädchen ihres Onkels sie im bayerischen Hinterland als ihre uneheliche Tochter ausgab. Dass ihr Vater 1945 in München bleiben wollte, im Land der Täter, verstand Tochter Charlotte nicht. Sie und Samuel Knobloch, den sie jung geheiratet hatte, wollten auswandern, die Koffer waren gepackt.

Doch dann kamen die Kinder zur Welt, die Auswanderung wurde verschoben. Der Vater half, die jüdische Gemeinde mit aufzubauen, die Familie blieb – trotz antisemitischer Anfeindungen. Man versteckte sein Jüdischsein. „Bloß nicht auffallen“, hieß das Lebensmotto bis in die 80er Jahre hinein.

Als ihr Vater starb, trat Charlotte Knobloch in seine Fußstapfen. Sie kümmerte sich um die Älteren und Bedürftigen in der jüdischen Gemeinde, 1985 wurde sie als erste Frau Vorsitzende. Bis heute führt sie das Amt mit mütterlich-strengem Charme, sie integrierte tausende Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und verhinderte Brüche, wie sie in der Berliner Gemeinde dominieren. Von 2006 bis 2010 stand sie an der Spitze des Zentralrats der Juden in Deutschland, heute ist sie Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses. An diesem Montag feiert Charlotte Knobloch ihren 80. Geburtstag.

Jahrelang hat sie mit Bürgermeistern, Parteivorsitzenden, Ministerpräsidenten verhandelt und erreicht, dass die jüdische Gemeinde ein neues Zentrum auf dem Münchner Jakobsplatz bauen konnte: mitten in der Innenstadt. Sie hat die jüdische Gemeinschaft aus dem Verborgenen in die Mitte der Gesellschaft geführt. „Wir haben gebaut, wir bleiben, denn wir gehören hierher“, sagte sie bei der Eröffnung des beeindruckenden Gebäude-Ensembles 2006. Die Koffer seien ausgepackt. Knoblochs Stimme zählt, sie ist anerkannt innerhalb wie außerhalb der jüdischen Gemeinschaft, mit vielen Politikern duzt sie sich. Bisweilen wurde ihr vorgehalten, sie mahne und kritisiere zu viel. „Schüchternheit und vornehme Zurückhaltung helfen nicht weiter. Man darf sich nicht dafür schämen, die Geduld seiner Mitmenschen zu strapazieren“, schreibt sie in ihrer jetzt veröffentlichten Autobiografie.

Sie belässt es aber nicht beim Mahnen. Sie wirbt für einen positiven deutschen Patriotismus. Denn nur wer mit seinem Land im Reinen sei, könne Verantwortung dafür übernehmen, sagt sie. Zugleich wünscht sie sich „mehr Feinfühligkeit im Umgang der deutschen Mehrheitsgesellschaft mit Juden und anderen Minderheiten“ und wehrt sich gegen pauschalen Antizionismus in der Israel-Kritik.

Die Debatte um die religiöse Beschneidung jüdischer Knaben, die hasserfüllten, bisweilen offen antisemitischen Kommentare haben sie tief verletzt. „Wollt ihr uns Juden noch?“, fragte sie in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung. „Sechzig Jahre lang habe ich als Überlebende der Shoah Deutschland verteidigt. Jetzt frage ich mich, ob das richtig war.“ Ignatz Bubis und Paul Spiegel, ihre Vorgänger an der Spitze des Zentralrats, waren am Ende ihres Lebens sehr verbittert. Nein, sie resigniere nicht, betont Charlotte Knobloch eisern. „Ich gestatte der Realität nicht, mich unterzukriegen.“ Claudia Keller

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