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Politik: „Sie lernen nicht aus ihren Erfahrungen“ Rossana Rossanda über Italiens Krise

Italien hat gerade die 61. Regierung und die kürzeste Legislaturperiode seiner Nachkriegsgeschichte hinter sich.

Italien hat gerade die 61. Regierung und die kürzeste Legislaturperiode seiner Nachkriegsgeschichte hinter sich. Sie waren bis Ende der 60er Jahre Funktionärin der KP und Abgeordnete. Seit man Sie aus der Kommunistischen Partei warf, weil Sie deren Stalinismus kritisierten, beobachten Sie Italiens Politik als Journalistin. Woran krankt die Republik?

Inzwischen krankt sie am Verlust einer Alternative. Politisch haben wir zwei Lager, aber sie definieren sich nicht sozial. Die Linke, die sich früher für sozialen Fortschritt und Arbeitnehmerrechte eingesetzt hat, hat ihre Klientel im Stich gelassen. Italiens KP war schon früher nicht revolutionär, sondern eher sozialdemokratisch. Ihre Nachfolger gehen aber weit darüber hinaus; sie glauben ebenso blind an die Allzuständigkeit des Marktes wie die Rechte. Walter Veltroni …

…der Chef der neuen Demokratischen Partei PD, die aus Ex-Kommunisten und Teilen der Christdemokratie entstanden ist …

…möchte bei der vorgezogenen Neuwahl im April allein antreten, ohne die kleinen linken Parteien. Er will sich von jedem Schatten linker Ziele befreien. So wird er diese Wahl zwar verlieren, denn das herrschende Wahlgesetz belohnt Koalitionen. Aber er macht sich dadurch akzeptabel für spätere Bündnisse mit der rechten Mitte.

Warum? Schließlich gab es bis vor wenigen Wochen eine freilich knappe Mehrheit für die Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi?

Sie hatte aber nichts gemeinsam als die Gegnerschaft zu Silvio Berlusconi. Dessen Mitte-Rechts-Bündnis dagegen ist stabil und hielt die volle Legislaturperiode durch.

Weil es geeint ist?

Ja. Während Veltroni sich vom Spektrum links seines PD befreien möchte, hat Berlusconi um sich herum eine Rechte geschaffen, die alles mitnimmt, bis hin zur Alleanza Nazionale, den früheren Faschisten, die parlamentarisch lange ausgeschlossen waren. Aber sein Lager ist natürlich vor allem deshalb so stabil, weil es durch Interessen verbunden ist.

Welche sind das?

Berlusconis persönliche Interessen als reichster Mann Italiens und Herrscher über den größten Teil der Medienwirtschaft sind bekannt. Für seine Verbündeten ist Regieren der Freifahrtschein, sich beziehungsweise die eigene Wählerklientel zu bereichern. Wenn sie dafür ausreichend Stimmen gesammelt haben, ist die Demokratie in ihren Augen verwirklicht. In Italien haben Staatsgedanke und Sinn für Demokratie bis heute kaum Wurzeln geschlagen. Berlusconi selbst sagt den Italienern: „Ich könnte so viel für euch tun, wenn es nur das Parlament nicht gäbe.“ Das ist der Punkt. Übrigens gibt es da eine gewisse Ähnlichkeit zum französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy.

In Ihren Erinnerungen, die Sie dieser Tage im Italienischen Kulturinstitut in Berlin vorgestellt haben, beschreiben Sie die politische Lähmung, die Sie in den Jahren um ’68 unmittelbar miterlebten: Während 1969 die Luft in Italien brannte, habe sich das Zentralkomitee der Partei drei Sitzungen lang Ihnen und den anderen innerparteilichen Dissidenten gewidmet. Unfähigkeit zur Politik werfen Sie aber auch den linken Nachfolgern vor. Ein Beispiel?

Nehmen Sie die Regierung Prodi. Prodi ist ein Europa-Technokrat. Er hatte sich, wie schon vor dem Eintritt Italiens in die Eurozone, ganz auf die Sanierung des Haushalts konzentriert und dabei zwei andere wichtige Projekte vernachlässigt: Eine Lösung für den Interessenkonflikt, also die Konzentration von wirtschaftlicher und politischer Macht in Berlusconis Hand, und zweitens ein neues Wahlgesetz. Das jetzige hatte sich Berlusconi auf den Leib geschneidert – seine Koalition schaffte das seinerzeit in drei Tagen. Die Regierung Prodi hat es in anderthalb Jahren nicht geschafft, dieses Problem auch nur anzugehen, obwohl sie eine ausreichende parlamentarische Mehrheit dafür hatte. Demokratie heißt nicht nur Mehrheiten schmieden, sondern sie auch nutzen. Hier hat eine Mitte-Links-Regierung zum zweiten Mal versagt. Sie lernen einfach nichts aus ihren Erfahrungen!

Das Gespräch führte Andrea Dernbach

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