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Politik: Sie müssen überzeugen

Hamburgs Sozialdemokraten wissen kurz vor der Wahl nicht genau, ob sie das Gewinnen nicht verlernt haben. Zu Hilfe kam am Freitag Bundeskanzler Schröder

Am Ende umarmte Hamburgs SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow seinen Kanzler. Da war es 19 Uhr 36 in der voll besetzten Halle des „Congress Centrums Hamburg“ (CCH), fast alle der 1200 Zuschauer waren aufgestanden, donnernder Applaus hallte durch den Saal, und blaue Plakate mit der Aufschrift „Wir schaffen das“ schwebten über den Köpfen der Sozialdemokratie. Standing Ovations hat es schon lange nicht mehr für Gerhard Schröder gegeben, und so stand der Kanzler Freude strahlend auf der Bühne, reckte in der typischen Schröder-Pose beide Hände geschlossen in die Luft und blickte zufrieden zu Thomas Mirow und Olaf Scholz, dem scheidenden SPD-Generalsekretär, der, ganz Parteisoldat, die Abschlusskundgebung der Hamburger SPD anmoderiert hatte.

Am 29. Februar wird hier eine neue Bürgerschaft gewählt. Noch immer liegt Thomas Mirow abgeschlagen hinter den Sympathiewerten für Amtsinhaber Ole von Beust, aber die Umfragen sagen auch: Noch ist Rot-Grün möglich. Die letzten Tagen werden spannend, und da kommt der Kanzler gerade recht.

Vor Beginn der Reden trifft man im Saal auf die bedrückte Seele der SPD. Skeptische Gesichter, seltsam nervös. „Heute muss der Kanzler überzeugen“, sagt einer, der in der Reihe „60 plus“ sitzt. Die Sozis hier in Hamburg wissen nicht mehr, ob sie noch zulegen können, ob sie das Gewinnen nicht verlernt haben.

Bevor Schröder um 19 Uhr 06 zu reden beginnt, streichelt Thomas Mirow ihn mit Worten, sagt: „Willy Brandt wäre stolz auf dich, Gerd.“ Und Schröder guckt tatsächlich gerührt. Mirow spricht mit leidenschaftlicher Stimme, tief und klar, erinnert an die Standfestigkeit des Kanzlers im Irak-Krieg, lobt ihn für seine Entscheidung, den Parteivorsitz abzugeben, und verspricht Solidarität im Kampf für die Reformen.

Aber im Saal sind auch vereinzelt jene, die die SPD in diesen Zeiten verloren hat. Gerade betont Schröder die 140-jährige Tradition seiner Partei, erinnert daran, dass es die Sozialdemokraten waren, die in den „wichtigen Phasen die zukunftsweisenden Entscheidungen als Patrioten getroffen haben“. Gerade will er darauf hinaus, dass seine Reformpolitik so wichtig sein könnte wie Brandts Ostpolitik, da erheben sich Greenpeace-Aktivisten und fordern den „Stopp des Plutonium-Deals mit China". Schröder ruft: „Ihr habt eure Arbeit getan, setzt euch.“ Aber kurz darauf sind es Studenten, die gegen „Studiengebühr und Praxisgebühr“ trillerpfeifend demonstrieren und sich böse Blicke einfangen. Jetzt merkt man, wie schwer das ist, wie nervig für diese SPD, dieses Überzeugenmüssen. „Die anderen sind vor der Aufgabe davongelaufen“, brüllt Schröder, und der Saal tobt und klatscht. Diese SPD will jetzt auch mal Einigkeit demonstrieren dürfen. Der Kanzler redet laut gegen das Pfeifen der Studenten an, schimpft auf diese „Ahnungslosen“, was auch dünnhäutig wirkt – aber bis unter die Haut motiviert. Also brüllt er hinein in die aufgewühlte Menge: „Helft mit! Lasst uns das tun! Wer, wenn nicht wir. Wann, wenn nicht jetzt!“ Da brechen dann die letzten Dämme der Skeptiker, hier ist jetzt Hoffnung angelangt und bahnt sich den Weg in die Seelen der SPD. Mirow liegt Schröder in den Armen. Gestern abend war Aufbruch für Hamburgs SPD. Und morgen?

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