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Politik: „Sie schießen auf alles“

Die Gefechte in Bagdad werden immer heftiger – wer aus der Stadt fliehen wollte, kann es jetzt nicht mehr

Panzer, Militärfahrzeuge, Kanonen und Raketenwerfer stellen inzwischen auf Bagdads Straßen einen normalen Anblick dar. Lastwagen mit Soldaten fahren zwischen den verschiedenen Stadtteilen hin und her. Im Dora-Viertel an der Autobahn zwischen Bagdad und Kerbela steht irakisches Kriegsmaterial an der Straße. Es ist nach den Kämpfen vom Samstagmorgen vollkommen ausgebrannt. Schwarzverkohlte Panzer und zerstörte Abschussrampen liegen im Graben.

Auf einem amerikanischen Panzer, den die Iraker beim Angriff vom Samstagmorgen zerstören konnten, stehen singende und krakeelende Soldaten. „Wir haben ihn mit einer Panzerabwehrrakete zerstört“, sagt der Kommandant der Republikanischen Garde Jassim Faisel. „Wir haben noch acht weitere Panzer zerstört, aber die haben wir bereits weggeschafft.“ Präsident Saddam Hussein sei gekommen, um zu gratulieren. „Er bat uns, weiterzukämpfen, bis wir endgültig gesiegt haben“, sagt der Soldat Ahmad Khoder. Er hält eine Kalaschnikow in der Hand

Die Amerikaner sprechen von 2000 bei den Angriffen auf Bagdad getöteten gegnerischen Soldaten. Der Informationsminister Mohammed al Sahaf bestreitet das. „Das ist leere Propaganda. Die erfinden diese Zahlen, um von ihren eigenen Verlusten abzulenken“, sagte er auf einer Pressekonferenz.

Die Kämpfe in den Außenbezirken von Bagdad führten dazu, dass mehr Leute als je zuvor versuchten, die irakische Hauptstadt zu verlassen. Zahlreiche zivile Fahrzeuge waren auf dem Weg aus Bagdad, obwohl die Behörden inzwischen den Einwohnern verboten haben, aus der Stadt zu fliehen. Viele Bewohner der Außenbezirke nahmen ihre Familien ins Stadtzentrum mit, weil sie annehmen, dass es zu den schwersten Kämpfen an der Peripherie kommen wird.

„Sie schießen auf alles, was sich bewegt“, sagt ein Mann, der erwogen hatte, mit seiner Familie Bagdad zu verlassen, sich jetzt aber damit abgefunden hat, dass es zu spät ist. „Wir hätten letzte Woche fahren sollen, jetzt geht es nicht mehr.“ „Wenn sie etwas sehen, von dem sie glauben, dass es gefährlich sein könnte, schießen sie“, sagt ein westlicher Fotograf, der den amerikanischen Truppen aus Kuwait gefolgt ist. „Ich habe gesehen, wie sie auf Kinder am Straßenrand geschossen haben. Einmal sahen wir in der Ferne eine einzelne Frau auf einem Acker. Etwas weiter weg neben einem Haus in einem Dorf stand eine Gruppe Männer. Die Amerikaner richteten die Kanone des Panzers auf die Frau und schossen sie nieder. Alle im Dorf flüchteten in die Häuser. So fanden die Amerikaner heraus, dass es sich bei der Gruppe Männer um Zivilisten handelte, und erschossen in diesem Dorf niemanden mehr, weil sich alle versteckt hatten. Das ist ihre Strategie. Schieß zuerst“, erzählt der Fotograf über sein Satellitentelefon von der Front bei einer Brücke vor Bagdad. Der Fotograf, der anonym bleiben will, weil er mit den Amerikanern unterwegs ist, berichtet seit zwanzig Jahren von Kriegen und meint, noch nie so schießwütige Soldaten gesehen zu haben.

Der französische Verteidigungsexperte Yves Debay kam Samstag in Bagdad an, nachdem er den amerikanischen Truppen aus Kuwait gefolgt war. Er ist schockiert darüber, wie sich die Amerikaner aufführen. „Als wir nach Mahmudiyah, ein Dorf südlich von Bagdad kamen, war es fürchterlich.“ Die Amerikaner griffen eine Kolonne Panzer im Dorf an. Den Dorfbewohnern zufolge gab es mehr als zweihundert Tote. „Die Amerikaner gingen kein Risiko ein und schossen wie wild in das Dorf, um sie zu vernichten“, berichtet Debay, der selbst eine militärische Laufbahn hinter sich hat.

Asne Seierstad[Bagdad]

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