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Politik: Sie sind sich wieder grün

Parteitag in Nürnberg folgt beim Grundeinkommen dem Vorstand – und erspart ihm eine Niederlage wie beim Afghanistanbeschluss

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Um 14 Uhr 37 fiel den Spitzen-Grünen auf dem Podium eine schwere Last von den Schultern. Claudia Roth, die bis dahin kerzengerade auf ihrem Stuhl gesessen hatte, ließ sich entspannt zurückfallen und die Arme über die Lehnen baumeln. Reinhard Bütikofer rührte seltsam mechanisch die Hände zum Applaus, erlaubte sich aber ein selig wirkendes, fast Buddha-artiges breites Lächeln.

Bis zu dem Moment, da eine große Mehrheit der Delegierten auf dem Grünen-Parteitag in Nürnberg ihre Stimmkarten für den Antrag des Parteivorstands in die Höhe streckten, waren die beiden Parteichefs der kleinsten Oppositionspartei von einer großen Angst getrieben worden: der Furcht, von der eigenen Basis auf offener Bühne abserviert zu werden. Doch eine deutliche Mehrheit von rund 60 Prozent für den Grundsicherungsantrag nach viereinhalbstündiger Debatte zur künftigen Sozialpolitik der Partei bewies den Grünen-Politikern auf dem Podium, dass sie sich an dem entscheidenden Tag des dreitägigen Parteikonvents zumindest taktisch durchgesetzt hatten.

Beigetragen zu dem Erfolg der Parteispitze hatte auch der prominente Parteirebell Oswald Metzger – und das möglicherweise ohne seinen Willen. „Oswald soll uns erst einmal beweisen, wie man mit 2,50 Euro am Tag ein Kind gesund ernähren kann!“, rief Bütikofer unter dem Beifall der Delegierten, als er die Sozialstaatsdebatte eröffnete. Der Haushaltsexperte aus Baden-Württemberg hatte in den vergangenen Tagen der eigenen Partei nicht nur Realitätsverweigerung vorgeworfen und mit Parteiaustritt gedroht, sondern auch mit drastischen Formulierungen vor einer Alimentierung von Sozialhilfeempfängern durch höhere Regelsätze gewarnt.

Eine Rednerin hielt dem Parteifreund vor, es sei „besondern billig und besonders schäbig“, wenn er nun die Schwächsten der Gesellschaft „als Bühne für seinen Abgang missbraucht“. Ähnlich wie bei der CSU der provokanten Landrätin Gabriele Pauli kam dem streitbaren Realpolitiker Metzger deshalb in Nürnberg die Rolle eines Blitzableiters für vagabundierenden Unmut zu. „Der Vorstand kann froh sein, dass es mich gibt“, verkündete Metzger am Rande des Parteitags: „Da zieht er die Kritik nicht so auf sich.“

Mit großer Unsicherheit war die Führung nach Nürnberg gefahren. Die Abstimmung zur Sozialpolitik hatte sie selbst zur Schicksalsentscheidung aufgebaut, die eine Zeit der Unsicherheit beenden sollte. Die Angst hatte ihre Gründe: Im September erlitt die Parteiführung auf dem Sonderparteitag zu Afghanistan eine schwere Niederlage, als sich die Mehrheit der Delegierten gegen ihren Willen für einen Teilausstieg aus dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr entschied. Die Niederlage war auch Ergebnis des latenten Machtkampfs in der Parteispitze und des Unmuts vieler Basis-Vertreter über den Oppositionskurs von Bundestagsfraktion und Parteispitze, die mit ihrem Kurs der „konstruktiven Opposition“ keinen radikalen Bruch mit Positionen der rot-grünen Regierungszeit vollzogen hatten.

Vor dem Parteitag von Nürnberg hatte die diesmal geschlossen auftretende Parteispitze deshalb viele Alternativpositionen in den eigenen Antrag zu übernommen, um so eine erneute Niederlage abzuwenden. Weil das Grundeinkommen-Modell in allen Flügeln der Partei Anhänger hat und die Kräfteverhältnisse nicht entlang von Strömungsfragen sortiert werden konnten, war der Ausgang in Nürnberg besonders schwer vorauszusagen.

Sechs Stunden nahmen sich die Delegierten schließlich Zeit für die Debatte und den Entscheidungsprozess darüber, ob die Oppositionspartei zwei Jahre nach dem Regierungsverlust nur deutlich von Hartz IV abrücken oder aber mit dem bedingungslosen Grundeinkommen auf Distanz zur eigenen Geschichte gehen sollte. Zum Auftakt hatte Bütikofer die Delegierten geradezu angefleht, fair miteinander umzugehen. Der „neue Aufbruch zu Gerechtigkeit“ müsse „auch politisch praxistauglich sein“, forderte er.

Als Gastredner warb Verdi-Chef Frank Bsirske um die Zusammenarbeit der Grünen und stellte sich hinter den Vorschlag der Parteiführung zur Grundsicherung. Einen überraschenden Richtungswechsel vollzog in der Debatte der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Der Anhänger schwarz-grüner Zusammenarbeit hatte vor dem Parteitag zu den wenigen prominenten Befürwortern des Modells eines bedingungslosen Grundeinkommens gezählt. In Nürnberg warnte er, das Konzept werde „von der Gesellschaft noch nicht verstanden“ und schlug sich auf die Seite der Führung. Die nach dem Weggang des grünen Schwergewichts Joschka Fischer offen daliegende Führungsfrage wurde in Nürnberg nicht thematisiert und damit vertagt. Lieber diskutierten Realos und Fundis über Klimapolitik und ihr neues Parteilogo – getreu dem Motto Claudia Roths: „Das Design bestimmt das Bewusstsein“.

Parteirebell Metzger, der sein Verbleib in der Partei vom Verlauf der Debatte in Nürnberg verantwortlich gemacht hatte, will seine eigene Entscheidung erst Anfang der Woche bekannt geben. Die Entscheidung gegen das Grundeinkommen nannte er immerhin einen „Lichtblick“. Vergleiche mit der CSU-Aussteigerin Gabriele Pauli wies Metzger bei Treffen in Nürnberg zurück: „Latex und Leder steht mir nicht.“

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