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Politik: Sie spielen wieder

Die Umwertung aller Werte: Wie die Bundesliga von der WM lernen kann

Von Markus Hesselmann

Jede Fußball-WM hat ihre großen Geschichten und kleinen Bonmots. Ein Spruch, den (vor allem ausländische) Reporter, Fans und sonstige Experten nach der WM 2006 pflegen, geht so: Die einzige Mannschaft, die nicht deutsch gespielt hat, war Deutschland. „Deutsch“ – das stand immer für defensiv, langweilig, freudlos, da konnten wir noch so sehr auf den Meriten unserer Neunziger-Weltmeister oder anderer vermeintlich großer deutscher Mannschaften bestehen. Jürgen Klinsmann und seine Elf haben dieses Klischee mit ihren furiosen Auftritten bei der Weltmeisterschaft widerlegt. Offensiv, spannend, spaßorientiert – dafür wird „deutsch“ im Anschluss an die WM wohl kaum von einem Tag auf den anderen stehen. Aber vielleicht doch ein bisschen? Die Bundesliga jedenfalls muss diese Neu-Definition von heute an vorantreiben – und kann dabei auch ein neues Selbstbewusstsein entwickeln.

Es bringt ja nun einmal nichts, nach England, Spanien oder Italien zu schielen und immer wieder die stärkere Finanzkraft der dortigen Ligen zu beklagen. Das dauernde „zu wenig“ – gerade erst wieder attestiert von den Wirtschaftsprüfern Ernst & Young – hilft höchstens dabei, sich eigene Schwächen wegzuerklären: Da kann man nichts machen, da fehlt uns das Geld. Klinsmanns Elf hat gezeigt, dass man auch ohne ein Heer überbezahlter Superstars aber mit Ideen, System und Haltung sehr weit kommen kann. Und die Liga hat offenbar schon ein bisschen daraus gelernt: Die rituellen Rufe nach mehr Geld, die vor den vergangenen Spielzeiten stets kamen, klingen diesmal vor Saisonbeginn viel verhaltener, obwohl auch die höheren Einnahmen aufgrund des neuen Fernsehvertrages noch weit unter dem liegen, was englische, spanische oder italienische Klubs bekommen.

Besinnung auf die eigenen Stärken heißt aber nicht Selbstgefälligkeit und Isolation. Es gibt immer viel zu lernen von den anderen. Wer in der vergangenen Saison bei Premiere mal zufällig oder bewusst von der Bundesliga auf die englische Premier League umgeschaltet hat, glaubte dort ein anderes Spiel zu sehen: Hier Leerlauf, dort Attacke. Verzögerungen, Schwalben, versteckte Fouls, Reklamationen gelten den Briten als kontintaleuropäisch. Erstaunlicherweise beherzigen Spieler vom Festland dies sehr schnell, sobald sie das Trikot eines Premier-League-Klubs überstreifen. Der Druck von allen Seiten ist einfach zu groß. Diese Haltung, die auch bei Klinsmanns Team in Ansätzen zu beobachten war, muss sich nun auch in der Bundesliga durchsetzen. Denn dahinter steckt mehr als nur Fairness und Etikette. Dahinter steckt die Philosophie, dass alles, was das schöne Spiel („the beautiful game“) bremst, auch dem schönen Spiel schadet. Auf der Insel ist das Fußballstadion eine Ereignisgemeinschaft in der alle Beteiligten – Spieler, Trainer, Schiedsrichter, Fans – alles tun, damit das Spiel läuft, und zwar schnell.

Es ist eine der ironischen Geschichten dieser WM, dass vor diesem Hintergrund ausgerechnet David Beckham und Co. das Publikum am meisten gelangweilt haben. Die Deutschen dagegen … siehe oben.

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