zum Hauptinhalt

Politik: Sie stürzen sich auf jedes Gerücht

SAARBRÜCKEN .Die Sonne scheint auf das Kopfsteinpflaster vor dem rosafarbenen Haus von Oskar Lafontaine.

SAARBRÜCKEN .Die Sonne scheint auf das Kopfsteinpflaster vor dem rosafarbenen Haus von Oskar Lafontaine.Davor wartet ein Pulk von rund 30 Jornalisten.Einige sitzen gelangweilt in der Frühlingssonne, andere lehnen im Schatten an einer Hauswand.Fotografen und Kameraleute lauern darauf, daß der ehemalige Bundesfinanzminister und SPD-Parteichef endlich aus seinem Haus im vornehmen Stadtteil Rotenbühl tritt und seinen spektakulären Abgang von der politischen Bühne begründet.Doch nichts passiert.

Aus dem ganzen Bundesgebiet sind sie angerückt: Das SAT-1-Team aus Mainz, RTL aus Mannheim, Spiegel TV.Auch das ZDF und der Saarländische Rundfunk sind da.Einige Journalisten haben die Nacht durchgemacht.So wie der Journalist Dominique Mann, 31, und Kamerafrau Bianca Seitz, 26."Um 18 Uhr 10 hat mich die Nachricht vom Rücktritt Lafontaines erreicht.Ich bin gleich hierher", erzählt der Mann, während er sich ein Pizzastück in den Mund schiebt.Seit gestern abend hat er kaum etwas gegessen: "Eine Nachbarin hat vom Restaurant Pizza mit nach Hause gebracht.Sie war so nett und hat mir ein Stück gegeben." Auch Bianca Seitz ist ziemlich fertig.Eine dreiviertel Stunde Schlaf haben sich die beiden in einem Saarbrücker Hotel gegönnt.Dann gleich wieder zurück in die Straße "Am Hügel", wo Lafontaine wohnt.

Jede Bewegung im Haus oder Garten löst sofort hektische Betriebsamkeit aus.Die Kameraleute springen auf, als Christa Müller mit ihrem zweijährigen Söhnchen Carl-Maurice gegen 14 Uhr in den Garten geht.Ein Fotograf hält den Moment durch das Gitter der Eingangstür fest.Müller spricht mit einem Nachbar, einen Federballschläger in der Hand."Wir stürzen uns auf jedes Gerücht", erzählt Christian Wiens von SAT 1.Er hat Glück gehabt, mußte erst heute morgen ran."Kurz nach fünf Uhr wurde bekannt, daß der Finanzausschuß gegen 9 Uhr in Bonn tagt.Wir haben alle gehofft, daß Lafontaine hinfährt." Aber es hat sich nichts getan.Dann sagt er einen Satz, der seinen Kollegen aus der Seele spricht: "Wir warten hier auf die Erlösung."

Doch Lafontaine, der vor einem Jahr nach der Niedersachsen-Wahl den vor seinem Haus wartenden Journalisten noch Mispelschnaps ausgegeben hatte, ließ sich weder blicken noch hören.Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder hat nach Angaben von Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye vergeblich versucht, direkten Telefonkontakt mit Lafontaine aufzunehmen.

Als am Donnerstag abend die ersten Nachrichten vom Rücktritt Lafontaines über Radio und Fernsehen liefen, hatte sich Lafontaine schon in sein Privathaus zurückgezogen.Kurz vor 18 Uhr fuhren zwei Autos aus Bonn vor, "Oskar" stieg aus und verschwand im Haus, wie Anwohner berichteten."Wir hatten uns schon gewundert, daß Lafontaine heute so früh da war", berichten ein Mann und seine Mutter, die seit 26 Jahren im Nachbarhaus wohnen.Die Rolläden wurden herunter gelassen, und nur Saarlands SPD-Chef und Ministerpräsident Reinhard Klimmt sowie der ehemalige Leiter der Saarländischen Staatskanzlei, Hans-Georg Treib, wurden am Abend vorgelassen.

Michael Engel von Radio Salü sitzt auf einem Kamerakoffer von SAT 1."Ich fühl mich schon ein bißchen wie ein Paparazzi.Das ist die reinste Belagerung hier.Aber ich verstehe auch nicht, warum Lafontaine nicht herauskommt und wenigstens sagt: `Heute hört ihr nichts mehr von mirÔ."

Er erzählt, daß der Fernsehsender Pro 7 sogar mit einem Hubschrauber über dem Haus kreiste.Dann ruft eine Journalistin vom Saarländischen Rundfunk schon fast verzweifelt: "Frau Müller, gehen Sie bitte ans Telefon.Norbert Klein ruft sie gleich an." Ironischer Kommentar eines Kollegen: "Das macht die ganz sicher."

Holger Kiefer von der Saarbrücker Presseagentur "Becker und Bredel" war in der Nacht zum Freitag der erste vor dem Haus des SPD-Politikers.Er ärgert sich: "Ein Nachbar hat mir erzählt, daß Lafontaine zehn Minuten bevor ich eintraf, ins Haus ging.Wäre ich früher gekommen, müßte ich nicht hier stehen." Bis 0 Uhr 30 harrte er am Donnerstag vor dem Haus Lafontaines aus.Dann wurde er von einem Kollegen abgelöst."Es war superkalt", sagt er.Um 6 Uhr morgens begann seine nächste Schicht.Bis Mitternacht werde er wieder hier sein.Es sei denn, Lafontaine verläßt früher das Haus.

MARKUS SAEFTEL

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false