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Politik: Sie üben noch

Schnitzer, Misstöne, wenig Geschlossenheit: Die Fehler von Frankreichs neuer Regierung sind ein gefundenes Fressen für ihre Gegner.

Paris - Es knirscht in Frankreichs Regierung. Seit fünf Monaten ist das sozialistische Kabinett unter Premierminister Jean-Marc Ayrault im Amt. Doch derzeit vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht eines seiner 38 Mitglieder Schnitzer erlauben würde. Ob Budget-Minister Jérôme Cahazuc vor der Finanzdebatte im Parlament eine Erhöhung der Fernsehgebühren ins Gespräch bringt, ob Erziehungsminister Vincent Peillon laut über die Straffreiheit des Haschischkonsums nachdenkt, was gar nicht in seine Zuständigkeit fällt, oder ob sich gleich mehrere Minister kontrovers zur Frage der von Präsident Hollande im Wahlkampf in Aussicht gestellten Homo-Ehe äußern, die Liste der Misstöne, voreiligen Ankündigungen und Rückzieher ist lang.

Doch nicht genug damit, dass der Regierungschef alle Mühe hat, die zurückzupfeifen, die seine Autorität untergraben. Ayrault selbst lässt zu, dass die Regierung den Eindruck mangelnder Vorbereitung und ziellosen Tastens erweckt. Als sich kürzlich im Internet ein Sturm des Protestes gegen höhere Steuern für den Verkauf von Start-up-Unternehmen erhob, wurde das Vorhaben sang- und klanglos wieder kassiert. Bisheriger Höhepunkt der Dissonanzen war Ayraults Vorgriff auf eine Entscheidung des Verfassungsrats, der ein neues Gesetz zum sozialen Wohnungsbau, eines der wichtigsten Wahlversprechen François Hollandes, wegen eines Prozedurfehlers zu beurteilen hatte. Neben Vorwürfen wegen schludriger Gesetzgebung sah sich der Regierungschef nun auch noch wegen Missachtung der Justiz angegriffen.

Für Frankreichs Rechte, die die Niederlage von Hollandes Vorgänger Nicolas Sarkozy in der Präsidentenwahl noch immer nicht überwunden hat und den Sieg der Linken – wie schon 1981 den des Sozialisten François Mitterrand – als unverdient empfindet, sind die Schnitzer der Beweis für die Unfähigkeit der Regierung. Vorwürfe wie „Amateure“, „Inkompetenz“, „Improvisation“ schallten ihr im Parlament entgegen. „Gibt es einen Piloten im Flugzeug?“ ätzte François Copé, der Generalsekretär der oppositionellen UMP.

Solche Vorwürfe wertet François Rebsamen, Fraktionschef der Sozialisten im Senat und enger Vertrauter des Präsidenten Hollande, als „Klassiker“ unter den Anwürfen der Rechten. Doch auch im Lager der Linken gibt es nicht viele, die wie der sozialistische Deputierte Jean-Christophe Cambadelis dem Premierminister „Inspiration“ und „Geschick“ bescheinigen, Eigenschaften, die man bei ihm aber „erst nach einiger Zeit“ erkenne. Sogar das linke Blatt „Libération“ fühlte sich bemüßigt, Hollande und Ayrault auf der Titelseite mit der Schlagzeile „Die Lehrlinge“ zu präsentieren.

Als Hollande nach der Wahl Ayrault statt Martine Aubry zum Premierminister berief, war dies als richtige Entscheidung gewertet worden. Statt der streitbaren damaligen Parteichefin schien der langjährige Fraktionschef der Sozialisten der Richtige zu sein, um den Ausgleich zwischen den Flügeln im Regierungslager zu sichern. Anders als Sarkozy, der alles selbst entschied und seinem Regierungschef nur die Rolle eines Zuarbeiters ließ, sicherte Hollande seinem Premier auch weitgehende Handlungsfreiheit zu.

Das gilt schon nicht mehr. Wie sein Vorgänger behält sich Hollande jetzt wichtige Entscheidungen selbst vor – so wird das im Wahlkampf versprochene Wahlrecht für Ausländer verschoben und auf massive Abgabenerleichterungen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit französischer Unternehmen will er verzichten. Der Präsident steht damit in vorderster Front, der Premierminister kann ihm folglich nicht mehr als „Blitzableiter“ dienen. Und der Autoritätsverlust des einen trifft auch den anderen. Die Folge ist den neuesten Umfragen zu entnehmen. Zwei Drittel der Befragten äußerten sich in einer Erhebung für den konservativen „Le Figaro“ unzufrieden mit dem Präsidenten und seinem Premier. Nur zehn Prozent meinten, die Lage habe sich seit der Wahl von François Hollande verbessert.Hans-Hagen Bremer

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