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Politik: „Sie waren wie Vater und Sohn“

In der Türkei wurde ein katholischer Bischof von seinem Fahrer ermordet – im Wahn?

Vor der katholischen Kirche im südtürkischen Iskenderun weht die vatikanische Flagge auf Halbmast. Ein indischer Priester ist aus dem nahen Adana gekommen, um eine Messe für den Hausherrn zu lesen. Bischof Luigi Padovese, der Apostolische Vikar von Anatolien, liegt da bereits bei der Gerichtsmedizin von Iskenderun – ermordet von seinem eigenen Leibwächter und Chauffeur.

In einem Anfall von religiösem Wahn habe er dem Bischof die Kehle durchgeschnitten, eine „Offenbarung“ habe ihn zu dem Mord bewegt, soll der 26-jährige Tatverdächtige gesagt haben. Die Aussage weckt öffentliches Misstrauen, sind in der Türkei doch schon öfter Christen von nationalistischen Eiferern angegriffen worden, die sich später auf geistige Umnachtung herausreden wollten – so wie der Jugendliche, der vor vier Jahren den katholischen Priester Andrea Santoro in Trabzon ermordete. Im Fall von Padovese sprechen die Schilderungen von Familie und Freunden des Bischofs allerdings tatsächlich eher für eine menschliche Tragödie.

„Sie waren wie Vater und Sohn“, beschreibt ein christlicher Bekannter in Iskenderun das Verhältnis zwischen Padovese und Murat Altun, der seit viereinhalb Jahren als Fahrer und Leibwächter für den Bischof arbeitete. „Bischof Padovese liebte Murat wie einen Sohn“, sagt auch Altuns Mutter. Die Familie steht seit Jahrzehnten im Dienst der Kirche. Wenn Verwandte des Bischofs aus Mailand zu Besuch kamen, wohnten sie in Iskenderun stets bei der Familie Altun, erzählt Padoveses Bruder im türkischen Fernsehen.

Dass der junge Mann psychische Probleme hatte, war dem Bischof bekannt. Padovese habe sogar die Kosten für seine Behandlung übernommen, erzählt der Bruder. Im vergangenen Monat verschlechterte sich Altuns Zustand rapide, berichtet seine Mutter. Zuletzt wurde er drei Tage lang stationär psychiatrisch behandelt und erst am vergangenen Sonntag entlassen. Am Tattag habe sie dem Bischof abgeraten, mit ihrem Sohn loszufahren, weil dieser in sichtlich schlechter Verfassung war. Aber Padovese habe abgewunken und gesagt, er werde ihn aufmuntern, mit ihm spazieren und essen gehen.

Bedroht gefühlt habe sich der Bischof weder von ihm noch von sonst jemandem, sagen Sandro Padovese und seine Frau Liliana. Deshalb habe er auf den polizeilichen Personenschutz verzichtet, den ihm die türkischen Behörden zugeteilt hatten.

Doch an diesem Donnerstag zückte Altun im Vorgarten der bischöflichen Wohnung plötzlich ein Küchenmesser und stach auf seinen väterlichen Freund und Gönner ein, bis der sich nicht mehr regte. Beim Haftrichter faselte er vom Teufel und betete laut. Türkische Medienberichte, wonach Altun zum katholischen Glauben konvertiert war, wies sein Rechtsanwalt zurück. Sein Mandant sei Moslem, was allerdings nichts zu Sache tue: Murat Altun sei nachweislich geistesgestört.

Ob es ein Zufall sei, dass Altun gerade eine Woche zuvor psychiatrisch behandelt wurde, oder ob der junge Mann sich damit einen strafrechtlichen Freifahrtschein zur Ermordung des Bischofs besorgt habe, fragt sich nicht nur die Tageszeitung „Zaman“. Bei den Vermittlungen werde kein Verdacht ausgeklammert, versprachen die Behörden.

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