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Politik: Siegen reicht nicht

Um den Vielvölkerstaat Afghanistan zu regieren, braucht Karsai bei der Präsidentenwahl eine klare Mehrheit – sonst drohen Konflikte

Von Wahlkampf ist in Kabul wenig zu spüren. Schon lange vor dem Urnengang kleben überall im Stadtzentrum fast nur Porträts von Interimspräsident Hamid Karsai. Sie verdrängen allmählich sogar die Konterfeis von Ahmad Schah Massud, dem Führer der einstigen Nordallianz, der von Terroristen zwei Tage vor dem 11. September ermordet und später zum Nationalhelden verklärt wurde. Karsais 16 Herausforderer dagegen kommen in der Öffentlichkeit kaum vor.

9,9 Millionen Afghanen ließen sich für die Präsidentenwahl am 9. Oktober registrieren – mehr als die UN-Wahlbeobachter erwarteten, die auch mit sehr hoher Beteiligung rechnen. Das, meint der erst kürzlich aus dem französischen Exil zurückgekehrte Jurist und Politikwissenschaftler Humayun Schah Asefi, der selbst kandidiert, sei ein zweischneidiges Schwert. Einerseits sei es gut, dass viele Bewerber antreten. Einige der Warlords seien nun offenbar bereit, Verantwortung zu übernehmen, statt ihre Differenzen mit Gewalt auszutragen. Anderseits würde das Stimmensplitting jedoch eindeutige Mehrheiten verhindern. Das aber könnte unter ungünstigen Vorzeichen zu einer Neuauflage des Bürgerkriegs führen.

Interimspräsident Karsai dürfte im Amt bestätigt werden. Zumal die überwiegend gelenkten Medien seine Herausforderer mehr oder minder ignorieren. Auch befürchten die meisten Afghanen, dass Wiederaufbauhilfen nur bei einem Präsidenten fließen, den die internationale Gemeinschaft akzeptiert. Dass in Kabul allmählich die Wunden des Krieges verschwinden, schreiben die meisten bisher eher privaten Investitionen zu.

Dennoch lässt sich die Mehrheit bei der Stimmabgabe von ethnischen Kriterien leiten. Daher könnten allein schon Führer von Minderheiten wie Usbeken-General Abdurraschid Dostum und Hazará-Führer Mohammed Mohaqeq Karsai eine Stichwahl aufzwingen. Beide kandidieren, obwohl das Wahlgesetz Warlords die Teilnahme ausdrücklich verbietet. Noch gefährlicher könnte Karsai, dem es nicht gelang, das Kabinett auf seine Kandidatur einzuschwören, Erziehungsminister Junis Kanuni werden, einer der Granden der einstigen, von ethnischen Tadschiken dominierten Nordallianz. Mit den Stimmen aller Nicht-Paschtunen wäre Kanuni sogar eine Alternative zu Karsai. Das ist zwar wenig wahrscheinlich. Doch um den multikonfessionellen Vielvölkerstaat Afghanistan regierbar zu machen, sagt Politikwissenschaftler Asefi, reichen Zustimmungsraten von 50 Prozent nicht aus. Dazu bedarf es einer qualifizierten Mehrheit – und die könnte Kanuni allein mit den Stimmen der Tadschiken verhindern.

Fehlen Karsai überzeugende Mehrheiten, muss er Koalitionsverhandlungen aufnehmen, wodurch die gegenwärtige Doppelherrschaft – ein paschtunischer Präsident, in dessen Kabinett Tadschiken sämtliche Schlüsselpositionen haben – zementiert würde. Gefahren, die offenbar auch Karsai selbst sieht. Ende September wurden Gerüchte dementiert, wonach Vertreter der Nordallianz Posten in der neuen Regierung erhalten sollten, wenn ihr Kandidat seine Bewerbung zurückzieht.

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