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Politik: Sierra Leone: Warten auf den nächsten Angriff

Öffnen Sie diese Kisten", sagt der Zollbeamte in schwarzer Uniform und zu großer Mütze am Heli-Airport von Freetown-Aberdeen. Doch der nigerianische Delegierte des UN-Welternährungsprogramms denkt nicht daran.

Öffnen Sie diese Kisten", sagt der Zollbeamte in schwarzer Uniform und zu großer Mütze am Heli-Airport von Freetown-Aberdeen. Doch der nigerianische Delegierte des UN-Welternährungsprogramms denkt nicht daran. Da seien gebrauchte Schuhe für die "armen Kinder aus Sierra Leone" drin, behauptet er, und ob der Zöllner denn nicht wisse, wer er sei. Die verdächtig aussehenden Holzkisten werden nicht geöffnet. Dem Beispiel folgend weigern sich auch die anderen Reisenden, meist Gesandte von Hilfsorganisationen, ihre Koffer zu öffnen. Der Zollbeamte schnaubt, dann kringelt er mit grüner Kreide ein Zeichen auf die Gepäckstücke, freigegeben.

Der Staat ist machtlos in Sierra Leone, auch jetzt, nachdem die letzte Krise ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Im Mai waren bei einer Demonstration vor dem Haus des Rebellenführers Foday Sankoh 20 Menschen gestorben. Angesichts der massiven Präsenz von UN-Soldaten atmet Freetown auf. Bäuerinnen tragen auf dem Kopf Schüsseln mit Salat und Gemüse, eine Videothek wirbt mit den neuesten Filmen aus Amerika, Nigeria und Indien, und in der gähnend leeren Hauptpost wird versprochen, Briefe in sechs Tagen in alle Welt zu befördern.

Nur wenig erinnert an den Krieg im Lande: einige Häuserruinen, die Sperrstunde um 23 Uhr, die beiden Panzer in der Pademba-Straße, wo im Gefängnis Rebellenführer sitzen. "Wir warten sehnsüchtig auf den Frieden", sagt Cecil Williams, der Direktor der Nationalen Tourismusbehörde, die im heruntergekommenen Cape-Sierra-Hotel logiert. Vor 1995 kamen jährlich 13 000 Touristen ins Land, angelockt von legendären Stränden wie dem am "River Number Two". Jetzt ist die Branche lahm gelegt, bis auf das Cape Sierra sind alle Hotels zerstört.

Aber die zehnköpfige Touristenbehörde glaubt an Sierra Leones gute Zukunft. Der Golfplatz von Freetown hat wieder geöffnet, ein Kinderfreizeitpark wird gebaut, und ehemalige Putsch-Soldaten bauen an der Lumley-Beach ein Touristen-Informationszentrum. Man werde auch unbedingt Stationen für Rettungsschwimmer brauchen, sagt Tourismusmanager Williams. Die Gäste werden zurückkommen, glaubt er, wenn sich nur das Image bessert.

Sierra Leones Image ist geprägt von der massenhaften Verstümmelung von Kindern, Frauen und Männern durch die Rebellen. Nach mehreren Putschen und einer zeitweiligen Eroberung der Hauptstadt durch die Rebellen war im letzten Jahr in Lomé unter amerikanischem Druck ein fast makabrer Friedensvertrag geschlossen worden: Man hatte die Killer der "Vereinigten Revolutionären Front" (Ruf) einfach an der Regierung beteiligt, den Rebellenchef Foday Sankoh sogar mit der Funktion eines Vizepräsidenten ausgestattet. Inzwischen ist der Friedensvertrag mehrfach gebrochen. Doch die Regierung hält an dem Papier fest, ist es doch die Basis für die Präsenz von 13 000 UN-Blauhelmen in Sierra Leone, der weltweit größten UN-Friedensmission.

Der zum Politiker geadelte Rebellenchef Sankoh ist längst verhaftet, die Regierung will ihm den Prozess machen, aber sein Aufenthaltsort ist geheim. Julius Spencer, der Informationsminister, gibt zu, dass der Staat Sierra Leone kollabiert ist. Als er, Spencer, 1998 sein Amt angetreten habe, habe er "nichts" vorgefunden, nicht einmal ein Faxgerät. Erst langsam müsse der Staat für seine fünf Millionen Einwohner wieder aufgebaut werden: eine loyale Armee und Polizei, eine unabhängige Justiz. Die Hälfte des Landesbudgets werde vom Ausland finanziert.

Wettbewerb der Bügelfalten

Seit dem Lomé-Frieden ist Freetown ein Tummelplatz für internationale Helfer geworden: Briten trainieren eine "neue" Armee, deutsche Politologen durchleuchten die Administration, von Ärzte ohne Grenzen bis zur Gesellschaft für technische Zusammenarbeit sind alle namhaften Organisationen im Lande vertreten. Man brauche Unterstützung, sagt Minister Spencer, doch allmählich müsse die Regierung auch die Helfer kontrollieren: Da gebe es ausländische Vereine, die im Namen Sierra Leones Spenden sammelten, zwei Drittel der Einnahmen in die eigene Verwaltung steckten und massenhaft Leute ins Land brächten.

Das Hauptquartier der UN-Mission Unamsil ist im ehemaligen Luxushotel Mammy Yoko untergebracht, das im Krieg ramponiert wurde. Im Foyer, in der Bar und im Restaurant herrscht ein quirliges Treiben von Offizieren aus aller Welt: Militärs aus Indien, Jordanien, Ghana, Nigeria und Kanada scheinen einen Wettbewerb um die besten Bügelfalten auszufechten, Dienstpläne werden erörtert, Meetings anberaumt. Nach Feierabend trifft man sich beim Bier unter Palmen an der Lumley-Beach.

70 Kilometer Anarchie

Die Motivation in der Truppe sei gut, sagt Unamsil-Sprecherin Hirut Befecadu, eine resolute Äthiopierin. Man habe alle 500 Blauhelme, die Anfang Mai von den Rebellen entführt worden waren, befreit. "Das war gut für unsere Moral." Mit Wachsmalkreide hat die Sprecherin auf einer Landkarte die Spaltung Sierra Leones eingezeichnet: Der Norden und der diamantenreiche Osten des Landes sind unter Kontrolle der Rebellen, die Unamsil hat dort ihre Bataillone abgezogen. Zehn Blauhelme sind bisher gefallen, fünf werden noch vermisst. Dennoch verbreitet Befecadu Optimismus: Freetown sei waffenfreie Zone geworden, die Unamsil kontrolliere die Straßen, gerade habe sie wieder 22 als Vertriebene getarnte Rebellen verhaftet und in 17 Fällen Drogen sichergestellt. Von einer Kontrolle der Landwege kann allerdings auch im Unamsil-Gebiet nicht die Rede sein. Eine Fahrt von der Provinzmetropole Bo in die Diamantenstadt Kenema im Osten beweist das. Die Kamajores - was übersetzt "Jäger" heißt - haben hier das Sagen: eine lose Selbstverteidiungstruppe, die nur im Prinzip regierungsloyal ist.

Zehn Straßenblockaden von Kamajores sind auf der 70 Kilometer langen Strecke zu passieren, überall wird in mehr oder weniger verbindlichem Ton Maut verlangt. Kenema ist der letzte Vorposten vor dem Rebellengebiet. Hier kontrollieren Unamsil-Soldaten höflich die Papiere, ein Witz nach 70 Kilometern Anarchie.

Kenema ist eine staubige Wild-West-Stadt, sie hat ein Flüchtlingslager mit 300 Hütten, ein 300-Betten-Krankenhaus mit einer Station für Lassa-Fieber und Kriegsverletzte, ein Hotel und ein Kino. Von den 100 000 Einwohnern sind 2000 Diamantenhändler. An der Hauptstraße liegt eine Diamanten-Ankaufstelle neben der anderen, Läden verkaufen Schaufeln und Schüttelsiebe und was ein Diamantengräber sonst noch so braucht: Ghettoblaster, Wasserpumpen, Petroleumlampen, Mopeds.

Die Händler klagen darüber, dass das Geschäft schlecht läuft, seit der Krieg ausgebrochen ist. Früher seien die Diamanten sogar aus Liberia und Guinea hierher gebracht worden, jetzt sei die Handelsrichtung umgedreht worden.

Im Prinzip finden die Händler die von den Vereinten Nationen beschlossene Zertifizierung von Diamanten gut, sie soll den Rebellen die Einnahmequelle verschließen. Doch hinter vorgehaltener Hand halten die meisten diese Maßnahme für sinnlos: Mit 2000 oder 3000 Dollar könne man doch jeden im Ministerium für Bergbau bestechen und jedes Zertifikat bekommen, heißt es. Besser solle die UN-Truppe endlich einmal hart gegen die Rebellen durchgreifen.

Die massenhafte Entführung von UN-Soldaten hat besonders der kenianischen Truppe Hohn und Spott eingebracht, "Chicken" werden die Ostafrikaner genannt, weil sie sich so rasch ergeben haben. Mehr Respekt bringt das Volk dem jordanischen Kontingent entgegen, weil es kürzlich am Ost-West-Highway in den Occra-Bergen mit Helikopterflügen die West-Side-Boys vertrieben hat, eine marodierende Ex-Soldaten-Truppe, die die Autofahrer belästigte.

In der UN-Truppe geht man mit der Kritik der Leonesen gelassen um. Der ghanaische UN-Soldat Johnny M. sitzt an der Landepiste von Kenema hinter seinem Maschinengewehr im Schatten eines Baumes. Greifen die Rebellen Kenema an, werde man gegen sie kämpfen, sagt Johnny M., "doch die Leonesen sollten sich mal an die eigene Nase fassen, wenn die Rebellen kommen, fangen die doch zu weinen an."

Nach Krieg sieht es in Kenema nicht aus, und Johnny M. tröstet sich über die Langeweile mit dem Gedanken an seinen Tagessold von 18 US-Dollar. Wenn er nach Ghana zurückgeht, will er dort ein Haus bauen. Wann das sein wird? Johnny M. zuckt die Achseln. Berechenbar ist die Zukunft noch nicht geworden.

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