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Sigmar Gabriel im Interview: „Bankmanager müssen stärker zur Rechenschaft gezogen werden“

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel spricht im Interview über ein härteres Vorgehen gegen die Banken und ihre Manager, die richtige Krisenpolitik - und über gutes Teamwork beim Windelnwechseln mit seinem kleinen Töchterchen.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Lutz Haverkamp

Herr Gabriel, schön, dass Sie Zeit haben, obwohl Sie gerade Ihre drei Monate alte Tochter Marie betreuen.

Sie haben Glück. Heute tagt der Bundestag in einer Sondersitzung, sonst wäre ich nicht hier. Heute kümmert sich meine Frau um unsere Tochter.

Wie kompliziert ist es, Beruf und Familie zu organisieren?

Bislang klappt das ganz gut, aber im Moment ist ja auch Sommerpause. Wenn der Betrieb wieder auf Hochtouren läuft, werden wir die gleichen Probleme haben wie Millionen anderer berufstätiger Eltern auch.

Kann ein Politikjunkie ohne Politik leben?

Ohne Politik lebe ich nie. Auch wenn ich morgen kein Abgeordneter mehr bin, würde ich mich für Politik interessieren. Das hat nichts mit Marie zu tun.

Vätern, die in solchen Vollzeitjobs wie Sie arbeiten, fällt die Entschleunigung in der Elternzeit oft schwer. Wie ist es bei Ihnen?

Vor zehn Jahren habe ich auch gedacht, nichts liefe ohne mich. Heute finde ich es einfach klasse, morgens aufzuwachen und mal keinen Termin vor mir zu haben, nicht unter Druck zu stehen und den Tag im ziemlich ruhigen Takt meiner Tochter zu erleben.

Was machen Sie für Erfahrungen als Vater mit Baby?

Gestern war ich mit Marie in einem Café. Da stellte ich fest, die Windel muss gewechselt werden. Einen Wickeltisch gab es natürlich nur in der Damentoilette. Sie können sich vorstellen, wie entgeistert mich die Damen dort angesehen haben. Eine wollte sogar helfen, weil sie meinte, ich könne das bestimmt nicht alleine.

Und, durfte Sie?

Die nette Frau hat sich beim Zuschauen davon überzeugt, dass Marie und ich beim Windelwechseln ein gutes Team sind. Aber an solchen Reaktionen sieht man: Im Alltagsleben herrscht noch immer die Vorstellung, für Babys seien eigentlich die Frauen zuständig. Deswegen gibt’s Wickeltische meist nur auf Damentoiletten.

Wer betreut Ihr Kind, wenn Sie im September in die Politik zurückkehren?

Meine Frau arbeitet in ihrer Praxis halbtags, und wir haben für diese Zeit einen Krippenplatz. Aber natürlich trägt meine Frau eine größere Last als ich. Wer behauptet, Job und Familie ließen sich in einem solchen Beruf, wie ich ihn habe, hundertprozentig gleichberechtigt organisieren, der macht sich was vor. Wir haben uns darüber nie Illusionen gemacht.

Lassen Sie uns über Politik sprechen. Gerade hat die SPD einem Antrag der Koalition in der europäischen Krisenpolitik zugestimmt. Wird dieses Land von einer großen Koalition regiert?

Nein, aber es ist in der Geschichte der Bundesrepublik oft so gewesen, dass in wichtigen außen- und europapolitischen Fragen Regierung und Opposition Deutschland auf einem gemeinsamen Kurs gehalten haben. Die SPD nimmt ihre Verantwortung für Europa wahr.

Angela Merkels Europa.

Es ist schwierig zu erkennen, welches Europa Angela Merkel denn meint. Sie hat dazu ihre Positionen in den letzten zwei Jahren einfach zu häufig gewechselt. Mein Vorwurf an die Bundesregierung ist, dass sie bei der Finanzmarktregulierung nicht ansatzweise so detailliert und engagiert handelt wie bei der Kürzung der Renten, der Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Ausdünnung des öffentlichen Dienstes in den Krisenstaaten.

Am Ende stimmt die SPD Merkels Kurs aber immer zu.

Was Sie da sagen, ist schon lustig, denn bei CDU/CSU und FDP lautet die Kritik an Angela Merkels Kurs: Am Ende macht sie dann doch die SPD-Forderungen mit. Die Konservativen und die liberalen Abgeordneten haben ihrer Kanzlerin geglaubt, wenn sie eine Finanzmarktbesteuerung in Europa für unmöglich erklärt hat. Jetzt kommt diese Steuer doch. Und wenn Angela Merkel und ihre wackelige Koalition erst monatelang jede Wachstumsinitiative für überflüssig halten und am Ende dann doch dem Wachstumspaket der SPD zustimmen, ist das für viele aus CDU/CSU und FDP schwer erträglich, weil es ja eine reine SPD-Politik ist. Aber ehrlich gesagt: Wer wem folgt, ist ja eigentlich völlig egal, wenn wir nur gemeinsam das Richtige tun. Nur leider geschieht das immer sehr spät und wird deshalb immer teurer. Und heute ist die Lage so dramatisch, dass wir nicht einmal wissen, ob die riesigen Hilfspakete überhaupt noch wirken.

Sind solch großen Krisen nur durch eine informelle große Koalition zu lösen?

Wenn Regierung und Opposition in einer wichtigen Frage den Kurs des Landes gemeinsam bestimmen, ist das noch nie in Deutschland gleichbedeutend mit einer großen Koalition gewesen. Aber es ist ein Zeichen großer parlamentarischer Stärke und großen Selbstbewusstseins in allen Parteien. Das macht Deutschland für andere Partner verlässlich. Viele Staaten Europas beneiden uns um diese Stabilität.

Warum die deutschen Steuerzahler spanische Großbanken retten müssen

Wie wollen Sie den Leuten im Wahlkampf erklären, dass die Krisenkanzlerin Fehler gemacht hat, wenn Sie zugestimmt haben?

Leider werden die Menschen in Deutschland im kommenden Jahr merken, dass die Politik Merkels die Krise in Europa vergrößert und nach Deutschland importiert hat. Ich wünschte mir wirklich, es wäre anders. Aber wir merken gerade, dass das Wirtschaftswachstum abbricht. Mit allem, was dazu gehört: Kurzarbeit, Unternehmenspleiten und Arbeitslosigkeit. Wenn die Kanzlerin jetzt sagt, dass sie einen Wahlkampf über die Krisenpolitik in Europa will, sage ich: Den kann sie haben. Wer Europa und bald auch Deutschland durch falsche Sparpolitik in Arbeitslosigkeit und Existenzangst stürzt, wer Unsicherheit schürt und gleichzeitig die Verursacher der Krise, nämlich die Banken, verschont, der wird das den Wählern erklären müssen. Darüber und auch über die Bändigung der Banken werden wir im Wahlkampf streiten. Denn da hat die Bundesregierung sträflich versagt.

Warum müssen die deutschen Steuerzahler spanische Großbanken retten?

Der Zusammenbruch dieser Geldhäuser könnte ganze Volkswirtschaften in den Ruin stoßen. Das wollen und müssen wir verhindern. Ich sage trotzdem: Es kann nicht mehr so weitergehen. Wir müssen endlich raus aus der Erpressbarkeit. Alles, was wir bislang machen, ist Krisenmanagement. Das ist nötig, zeigt aber immer wieder, wie erpressbar der Staat inzwischen durch das außer Kontrolle geratene Banken- und Finanzsystem geworden ist. Deshalb brauchen wir mehr als Krisenmanagement. Und zur Krisenlösung brauchen wir vor allem eine harte und kompromisslose Bankenregulierung in Europa. Die Erpressbarkeit ganzer Volkswirtschaften, die immer wieder große Banken retten müssen, um die unkalkulierbaren Folgeschäden ihrer Pleite zu verhindern, muss endlich ein Ende haben.

Bildergalerie zu den Protesten in Spanien:

Wie?

Banken müssen sich wieder gesund schrumpfen, damit sie ohne Gefahren für die Volkswirtschaft in die Insolvenz gehen können. Und wenn Banken gerettet werden sollen, muss dafür ein Bankenrettungsschirm da sein, der von den Großbanken selbst durch eine europaweite Bankenabgabe finanziert wird und nicht immer wieder durch den Steuerzahler. Wenn es doch im Einzelfall zu staatlichen Hilfen kommt, dann muss der Staat automatisch Eigentümer werden, teilweise oder ganz. Das darf keine Einzelfallentscheidung bleiben, das muss gesetzlich geregelt werden. Wenn Aktionäre das spüren, dann werden sie sich riskante Geschäfte dreimal überlegen. Es muss endlich Schluss sein mit dem Verlust-Sozialismus im Bankensektor: Gewinne werden privatisiert und Verluste sozialisiert.

Was schlagen Sie vor?

Wir müssen an den Finanzmärkten wieder zurück zur Marktwirtschaft, bei der Risiko und Haftung in einer Hand liegen. Gier, Frechheit, Betrug und Unverantwortlichkeit dürfen sich nicht mehr lohnen. Außerdem müssen hoch riskante Geschäftspraktiken unterbunden werden. Der Hochfrequenzhandel an den Börsen muss verboten werden. Diese Geschäfte sind unverantwortlich. Und ich fürchte auch nicht das Argument des Wettbewerbs. Wenn diese Geschäfte bei uns verboten werden, dann sollen die Banker doch nach London oder New York gehen. Wenn es schief geht, wird dann der deutsche und europäische Steuerzahler nicht mehr ausgebeutet. Und nicht zuletzt brauchen wir veränderte Haftungsbedingungen. Es muss mindestens eine bilanzielle Trennung zwischen Geschäftsbank und Investmentbank geben, damit die Sparer mit ihren Einlagen nicht länger für die riskanten Investmentgeschäfte haften müssen.

Was ist mit den Bankern?

Eines muss klar sein: Bankmanager müssen stärker zur Rechenschaft gezogen werden. Es kann nicht sein, dass kein einziger Banker hinter Gittern sitzt, weiter Kurse manipuliert und hoch riskante Geschäfte getätigt werden und kleine Leute selbst für’s Schwarzfahren ins Gefängnis kommen.

Das Interview führten Lutz Haverkamp und Antje Sirleschtov.

Zur Person Sigmar Gabriel:

VORSITZENDER:

Sigmar Gabriel stammt aus Goslar, hat sich in der SPD bis zum Ministerpräsidenten in Niedersachsen hoch gearbeitet. In der großen Koalition (2005 bis 2009) war er Umweltminister. Seit 2009 ist er der Vorsitzende der SPD.

HERAUSFORDERER:

Neben dem SPD-Fraktionschef im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, und dem ehemaligen Finanzminister Peer Steinbrück ist Gabriel einer der drei möglichen Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2013. Wer gegen

Angela Merkel antritt, entscheidet sich Anfang kommenden Jahres.

VATER:

Im April wurde Gabriels Tochter Marie geboren. Seine Frau ist Zahnärztin in Magdeburg, die Familie lebt in Magdeburg und in Goslar. In der Sommerpause des Bundestags widmet sich Gabriel (fast) ganz der Betreuung

seiner Tochter.

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