zum Hauptinhalt

Politik: Sind Sie zu leise, Herr Platzeck? Brandenburgs Regierungschef über Murren im Westen, Steuern – und das Ende von Fahnenstangen

Herr Ministerpräsident, wenn man die Ankündigungen hört, stellt sich die Frage: Welches Jahr ist das eigentliche Reformjahr – das abgelaufene oder das kommende Jahr 2004? 2003 war ein Jahr wichtiger Reformen.

Herr Ministerpräsident, wenn man die Ankündigungen hört, stellt sich die Frage: Welches Jahr ist das eigentliche Reformjahr – das abgelaufene oder das kommende Jahr 2004?

2003 war ein Jahr wichtiger Reformen. Wir haben einen Mentalitätswechsel erlebt. Denken Sie nur einmal zwölf Monate zurück. Damals war Deutschland in einer solch schlechten mentalen Verfassung, dass kaum einer dem Land noch Bewegung zutraute und viele die Entscheidungsunfähigkeit der Politik beklagten. Da ist das Gegenteil bewiesen worden.

Also ist 2003 das Jahr der Reformen?

Moment mal: Ich bin mir ganz sicher, dass mit dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses nicht das Ende der Reformen erreicht ist. Wir sollten uns darauf einstellen, dass Veränderung der Normalzustand ist. Wir im Osten haben da ja viel Erfahrung.

Sehen Sie schon die große Steuerreform 2004?

Nein. Ich glaube nicht, dass nach der schon beschlossenen Steuerreform noch Bäume in den Himmel wachsen. Wenn nun versprochen wird, es gebe noch ein großes Entlastungsvolumen zu verteilen und weitere Steuersenkungen seien möglich, kann ich nur sagen: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht.

Sie lehnen weitere Eingriffe ab?

Nein. Ich glaube, dass wir gemeinsam zu entscheidenden Vereinfachungen im Steuersystem kommen müssen. Wie wir Gelder erheben, wie man Steuererklärungen ausfüllt, das muss viel einfacher werden. Darauf sollten wir uns konzentrieren. Was ich aber ablehne, ist das Modell eines dreistufigen Steuersystems. Gegenüber einem linearen System hat es keine Vorteile. Ich halte dieses Modell auch für unsozialer.

Heißt das, Sie trauen den Menschen nicht noch mehr Bereitschaft zur Veränderung zu?

Die Angst der Menschen im vergangenen Jahr kam hauptsächlich aus der Unsicherheit. Eingriffe, wie sie die Bundesregierung den Bürgern zumuten musste, hatte es bis dahin in Deutschland noch nie gegeben. Vor allem in Westdeutschland war man gewöhnt, dass es jedes Jahr aufwärts ging. Jetzt muss man sich streiten, wie man das Weniger verteilt, also wo gekürzt wird. Ich glaube aber, dass die Reform selbst und ihre Wirkung Ängste nehmen werden. Das wird eher zu einem Katalysator für Reformfreude als zu einem zusätzlichen Hindernis.

Was ist für Sie die dringendste Reform im kommenden Jahr?

Wir haben uns bei der Föderalismusreform viel vorgenommen. Wenn wir nur die Hälfte von dem schaffen, wäre das schon ein sehr großer Reformschritt. Das zweite Thema ist die Steuervereinfachung. Das dritte ist der sinnvolle und kontrollierte Subventionsabbau. Das zusammen ist eine ganze Menge.

Fordern Sie in der Föderalismus-Debatte mehr Zuständigkeiten für die Länder?

Es gibt viele Felder, auf denen die Zuständigkeiten von Bund und Ländern wirklich entflochten werden müssen. Warum muss jede Landesregierung etwa noch ihren Senf zur Handwerksordnung dazugeben? Das könnte der Bund alleine lösen – fertig. An anderer Stelle haben wir – nicht zufällig aus dem Südwesten Deutschlands – den lauten Ruf gehört nach völliger Entflechtung, etwa bei der Wissenschaftsförderung und beim Hochschulbau sollten die Länder ganz alleine agieren. Davor will ich ausdrücklich warnen, weil das im Klartext bedeutet, dass es einen freien Wettbewerb zwischen allen Bundesländern gibt. Wer diesen Wettbewerb ausrufen will, müsste zuvor mindestens gleiche Ausgangsbedingungen zwischen allen Bundesländern schaffen. Davon kann aber keine Rede sein. Wenn heute der Wettbewerb losginge, würden die Ost-Länder zurückfallen. So wie es Bayern 1950 ergangen wäre. Die Verfassungsväter haben sich schon etwas dabei gedacht, als sie einen solchen Wettbewerb verhinderten.

Die Schere in den Lebensverhältnissen zwischen Ost und West geht wieder auseinander. Bleibt die Angleichung noch politisches Ziel?

Natürlich. Das muss immer Ziel unseres Handelns bleiben. Zu diesem Unterschied tragen die strukturellen Nachteile der neuen Länder bei und auch die Fehler, die nach 1990 gemacht worden sind. Das zeigt, dass wir noch nicht in der Situation sind, wo wir fröhlich den freien Wettbewerb zulassen können. Den würden wir nicht gewinnen.

Manche haben erwartet, dass es mit dem neuen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck eine starke Stimme für den Osten geben wird, wie das Ihr Vorgänger Manfred Stolpe war. Warum füllen Sie diese Lücke nicht?

Ich melde mich immer dann zu Wort, wenn ich es für angebracht halte. Grundsätzlich gesagt: Ich halte nichts davon, ständig die Ost-Fahne hochzuziehen, weil es gegenteilige Wirkungen haben kann. Das muss man heute subtiler machen, wenn man Erfolg haben will.

Regine Hildebrandt war das Gegenmodell.

Ja, das war aber eine andere Zeit. Damals konnten wir noch auf Helmut Kohl schimpfen. Jetzt haben wir einen SPD-Kanzler.

Sie halten sich also zurück, um den Kanzler nicht zu vergrätzen?

Wenn es nötig ist, vergrätzen wir auch die Bundesregierung. Es ist nicht gerade auf Begeisterung gestoßen, dass wir vor dem Vermittlungsverfahren zur vorgezogenen Steuerreform und zur Agenda 2010 eine Allianz der Ostländer geschmiedet haben. Die Türen für den Osten sind im Westen nicht mehr offen, weder mental noch finanziell. Wir müssen versuchen, trotzdem durchzukommen – auf diffizileren Wegen. Da hilft der Holzhammer nicht mehr.

Waren Sie bei der Artikulation von Ost-Interessen persönlich zu zurückhaltend?

Nein. Ich sehe, dass sich hier eine ganz bestimmte Stimmung breit macht. Wenn wir im Vermittlungsausschuss nur darum bitten, die Bedingungen in den neuen Ländern zu berücksichtigen, murren schon einige laut und sagen, sie könnten diese Klagen nicht mehr hören. Wir haben trotzdem einen Teilausgleich für die Steuerreform bekommen, und wir haben einen Sonderausgleich für die Arbeitsmarktreform bekommen, der mit einer Milliarde Euro pro Jahr höher ausfiel und mit fünf Jahren Laufzeit länger gewährt wird, als zuvor abzuschätzen war. Unsere öffentlichen Ansagen und Forderungen haben vielen nicht gefallen. Aber sie haben Wirkung gezeigt.

Am Ende des Reformjahres 2003 steht Ihre Partei ziemlich zerrissen und gebeutelt da, wird sie auch Ende 2004 noch so leiden?

Nein. Sie wird besser dastehen. Was wir der Partei zugemutet haben, war neu für sie. Das war eine echte Herausforderung. Wir haben gemerkt, dass viele Fragen, die manche Sozialdemokraten schon ein für allemal für beantwortet hielten, nun doch anders gestellt und neu beantwortet werden müssen. Wir haben Antworten gefunden. Aber es braucht auch Zeit, bis sie durchdringen. Das ist für viele schwer zu begreifen, für den Verstand so schwer wie für das Gemüt.

Im kommenden Jahr drohen der SPD weitere Nackenschläge bei 14 Wahlen.

Warten wir das mal ab, ob es Nackenschläge werden. Ich glaube das nicht. Schon bei der ersten Landtagswahl im Februar in Hamburg haben wir gute Chancen, wieder die Regierung zu übernehmen. Es wird insgesamt sehr davon abhängen, wie sich die Konjunktur entwickelt, ob die einzelnen Reformgesetze greifen und ob die Menschen Vertrauen gewinnen. Und es wird auch davon abhängen, ob Menschen auch das Zutrauen fassen, dass diese Regierung und diese Partei Deutschland wirklich zukunftsfähig machen mit den Reformen. Deshalb bin ich dafür, dass wir als SPD weiter zukunfts- und reformfreudig sind. Auf keinen Fall dürfen wir im kommenden Jahr den Eindruck vermitteln, wir würden aufhören und angstvoll schweigen. Den Fehler haben wir vor ein paar Jahren ja schon einmal gemacht.

Das Selbstbewusstsein der SPD hängt also von der Konjunkturentwicklung ab?

Ich habe mehrere Gründe genannt. Es hängt auch von der Konjunktur ab. Wenn die in den Keller gehen sollte, hätten wir ein sehr viel größeres Problem.

Hängt das Selbstbewusstsein der Partei auch von Personen ab – etwa von den Hoffnungsträgern der SPD?

Sie machen sich Gedanken über die Zeit nach Gerhard Schröder. Der Bundeskanzler hat gerade ein wichtiges, ein mutiges und erfolgreiches Jahr hingelegt, das ihm manche nie zugetraut hätten. Deshalb stehen Gedanken über die Zeit nach Gerhard Schröder nicht im Vordergrund.

Sie wissen aber, dass sich Teile der SPD genau diese Gedanken machen?

Wer verantwortlich handelt, muss sich immer um die Zukunft kümmern.

Wer sind also die Hoffnungsträger der SPD?

Für mich ist und bleibt Sigmar Gabriel ein Hoffnungsträger. Von ihm werden wir weiter hören, da bin ich mir hundertprozentig sicher. Genauso wie Harald Schartau, Ute Vogt und Christoph Matschie. Ich könnte auch etliche SPD-Ministerpräsidenten nennen. Oder Wolfgang Tiefensee. Er ist ja in einem Alter, wo noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist, auch wenn er sich nun zunächst um die Olympiabewerbung kümmern muss.

Wie ist es mit Ihnen?

Ich habe ja hier ein Amt und dem widme ich mich mit aller Kraft. Das werde ich auch die kommenden neun Monate tun. Dann wird der Wähler entscheiden.

Sie wollen die Zahl der deutschen Bundesländer halbieren – von 16 auf 8. Ist das die Flucht nach vorn, weil die Fusion von Brandenburg und Berlin nicht klappt?

Das ist nicht mein Ansatz, in die nächste Ebene zu flüchten, weil wir unsere Hausaufgaben nicht schaffen. Ich bin überzeugt, dass das Zusammengehen von Berlin-Brandenburg sinnvoll, gut und vernünftig ist. Wir können gemeinsam unsere Probleme besser lösen. Ich halte aber keine Sonntagsreden und benenne klar Probleme. Wir wären schlecht beraten, in eine Volksabstimmung zu gehen, so lange Berlins Finanzprobleme nicht gelöst sind. Dann wäre die Fusion endgültig tot, weil wir die Volksabstimmung verlieren würden. Aber selbst wenn das Finanzproblem gelöst ist, wäre das erst der Start für eine groß angelegte Überzeugungsarbeit. Einen Fadenriss zur Bevölkerung wie 1996 darf es nicht noch einmal geben.

Warum ist dennoch seit der ersten gescheiterten Volksabstimmung so wenig passiert?

Nirgendwo arbeiten Behörden so eng zusammen wie in Berlin-Brandenburg. Jetzt haben wir die Fusion der Rundfunksender realisiert und die Fusion der Obergerichte sowie weiterer Behörden beschlossen. Aber Behördenfusionen sind mit riesigen Widerständen verbunden. Als Nächstes wollen wir uns der Wirtschaftsförderung widmen.

Sie regieren anderthalb Jahre. Ihre Strategie, wie Brandenburg aus der Krise geführt werden soll, ist bisher vage geblieben.

Wir sind nicht in der Lage, mit Paukenschlägen und viel Geld einen Strategiewechsel zu untermauern. Wir können nur tun, was unsere Potenziale hergeben. So haben wir, obwohl es uns schwer fällt, Hochschulen und Forschungseinrichtungen von Kürzungen ausgenommen. Wir verbessern die Technologieförderung und kümmern uns stärker um den Mittelstand. Es geht um harte Arbeit im Detail und viele kleine Schritte.

Trotzdem bekommt die Landesregierung nach einem Länder-Vergleich der Bertelsmann-Stiftung schlechte Noten für ihr Engagement. Hat Brandenburg ein Führungsproblem?

Ich verhehle überhaupt nicht, dass die Chipfabrik in den letzten zwei Jahren wie ein schwarzer Samtvorhang war, der alles überdeckt hat. Alles hat sich darauf fokussiert. Aber untersucht wurden die Jahre 1999 bis 2001, also die ersten Jahre der Großen Koalition, als ich noch nicht Ministerpräsident war. Interessant ist, dass die Wirtschaftspolitik der vorherigen SPD-Alleinregierung besser abschnitt. Fest steht trotzdem, dass es uns gelungen ist, Luftfahrt- und Optikindustrie mit erheblichen Wachstumsraten zu stabilisieren.

2004 wählt Brandenburg. Läuft alles auf Rot-Rot hinaus, da die SPD bei einer Niederlage nicht als Juniorpartner der CDU mitregieren will?

Nein, wir gehen davon aus, dass wir stärkste politische Kraft bleiben. Wenn SPD und CDU weiter miteinander vernünftig umgehen und diese Koalition ordentlich zu Ende führen, wenn wir unser Wahlziel erreichen, wäre das eine Bestätigung für die Große Koalition.

Wäre sie auch im Bund der beste Weg, um nötige Reformen schneller durchzusetzen?

Eine Große Koalition steht nicht per se für Reformfreude. Eher besteht die Gefahr, dass CDU und SPD schon von vornherein Reformpakete neutralisieren, in dem die einen dies und die anderen das wegschneiden. Wenn man das wie jetzt am Schluss im Bundesrat machen muss, geht das nicht anders.

Spielen dabei Ihre Erfahrungen mit der Brandenburger Koalition eine Rolle?

Nein, Große Koalitionen in Bund und Ländern sind etwas völlig unterschiedliches. In Brandenburg war es sinnvoll. Wir haben eine Menge auf den Weg gebracht, aber das ist kein Modell für die Bundesregierung.

Stünden sie persönlich für eine Große Koalition unter einem Ministerpräsidenten Jörg Schönbohm zur Verfügung?

Die Frage wird sich nicht stellen.

Die Fragen stellten Michael Mara, Hans Monath und Gerd Nowakowski. Die Fotos machte Thilo Rückeis.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false