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Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbands der Sinti und Roma Baden-Württemberg

© privat

Sinti und Roma: „Anerkennung macht uns sichtbarer“

Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbands in Baden-Württemberg, über zähe Vorurteile und die Macht von Politik

100 Tage Mahnmal. Hat sich etwas verändert?

Es bewegt sich schon seit geraumer Zeit etwas. Das hat natürlich auch mit dem Generationenwechsel zu tun, aufseiten unserer Minderheit wie der Mehrheitsgesellschaft. Die eigenen Eltern sind nicht mehr unmittelbar betroffen. Das macht es leichter, einander in die Augen zu sehen. Wir haben dadurch stärker das Gefühl, Teil des Ganzen zu sein.

Wie äußert sich das für Sie?

Zum Beispiel so: Sinti und Roma sind seit langem überall vertreten, auch als Bürgermeister oder Abgeordnete. Aber immer haben sie ihre Herkunft verborgen. Jetzt erlebe ich, dass eine junge Sintezza, die ich kenne, entschlossen ist, auch am Arbeitsplatz darüber zu reden. Zum nächsten Bundestag kandidiert erstmals ein Sinto, Romeo Franz für die rheinland-pfälzischen Grünen. Und ich selbst konnte vor ein paar Wochen im Landtag von Baden-Württemberg kurz auf Romanes sprechen – zur Eröffnung einer Ausstellung über die NS-Zigeunervernichtungspolitik.

Welche Bedeutung hat da das Mahnmal?

Es war eine Art Doppelpunkt. Es hat einen Punkt gesetzt, indem es den Holocaust an Sinti und Roma offiziell anerkennt. Es ist aber auch ein Punkt, von dem aus wir jetzt nach vorn schauen können.

Was bleibt zu tun?

Nach wie vor wird geleugnet, dass Antiziganismus, also Hass und Abneigung gegen Sinti und Roma, in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Und dass er auch nach dem Ende der Nazis derart weitergewirkt hat, dass drei Generationen von uns an wirklicher Teilhabe gehindert wurden.

Das liegt alles also noch gar nicht so weit zurück.

Ja, und es hat eine sehr lange Geschichte. Der Völkermord ist ja, wie der an den Juden, nicht vom Himmel gefallen. Er war möglich, weil es 400 bis 500 Jahre Antiziganismus gab. Und der Pfarrer, der Lehrer, der Bürgermeister, die zugeschaut, bei den Deportationen mitgeholfen oder sie gutgeheißen haben, die waren oft auch nach ’45 noch da.

Es braucht also immer noch Zeit?

Vermutlich. Es brauchte 37 Jahre, um den Völkermord anzuerkennen. Dann vergingen noch einmal 30 Jahre, bis das Mahnmal eingeweiht werden konnte. Vielleicht brauchen wir noch eine weitere Generation, bis der Antiziganismus auf ein erträgliches Maß reduziert werden kann oder geringere Auswirkungen hat. Es gibt Anzeichen, dass das gelingen kann: In Schleswig-Holstein ist seit kurzem der Minderheitenschutz in der Landesverfassung verankert, und in diesem Jahr will auch Baden-Württemberg ein verbindliches Abkommen schließen.

Helfen Ihnen Staatsverträge denn gegen Diskriminierung? Was nützt die Förderung von Romamusik gegen Anfeindungen im Alltag?

Verbindlicher Schutz vor Diskriminerung als Gruppe – und damit auch vor Assimilierung – und die Förderung als Gruppe sind Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Teilhabe als nationale Minderheit. Die Anerkennung macht uns auch sichtbarer. Wir gehören zu Deutschland wie Sorben oder Friesen, unsere Literatur, Musik, Sprache sind schützenswert, wir haben einen Platz in der Öffentlichkeit. Ich selbst beobachte das immer wieder an den Juden in Baden-Württemberg: Seit dem Staatsvertrag dort fühlen sie sich wirklich angekommen. Institutioneller Rückenwind ist wichtig. Aber natürlich muss er nach unten durchdringen. Interessant ist, dass es auch dort große Vorurteile gibt, wo tatsächlich keine Sinti und Roma leben.

Zum Beispiel?

In der ehemaligen DDR zum Beispiel. Dort ist das vorherrschende Bild der umherziehende Zigeuner.

Die deutschen Sinti und Roma sind überwiegend sesshaft.

Es gibt keine Nichtsesshaftigkeit unter deutschen Sinti und Roma. Etwa 20 Prozent der Sinti sind aber weiter beruflich unterwegs. Das war übrigens historisch das Ergebnis von Verboten – das erste stammt von 1497 –, die Zünfte waren ihnen verschlossen, es gab keine Handwerksbriefe, was die Handwerker unter ihnen zur Mobilität zwang. Wer heute unterwegs ist, wohnt oft in Hotels, aber wenn die Familie dabei ist, auch in Wohnwagen. Und immer noch bleiben ihnen dann Campingplätze verschlossen, sind Messeplätze leider gerade belegt oder es werden andere Hürden aufgebaut.

Was sollte aus Ihrer Sicht dagegen getan werden?

In Frankreich gibt es ein Gesetz, das Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern verpflichtet, Stellplätze für Durchreisende bereitzuhalten. Warum sollte das nicht auch für gewerbetreibende Sinti möglich sein?

Fürchten Sie nicht neue Spaltungen, gute Sinti, böse Roma? Hier in Deutschland erfährt Ihre Minderheit möglicherweise wachsende Anerkennung, aber die Roma vom Balkan werden desto massiver abgelehnt, ausgewiesen, erhalten kein Asyl?

Was die Roma vom Balkan angeht – mit denen wir jenseits der gemeinsamen Sprache und der gemeinsamen Wurzeln übrigens kulturell mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten haben: Da gibt es tatsächlich auch unter unseren Leuten die Angst, sie würden das Zigeunerbild der Mehrheitsgesellschaft bestätigen. Dazu kann ich immer nur sagen: Antiziganismus ist kein Problem der Roma, sondern eins der Mehrheitsgesellschaft.

Daniel Strauß ist neben seiner Verbandstätigkeit engagiert in der Bildungsarbeit und Mitgründer und Geschäftsführer des Mannheimer „RomnoKher - Haus für Kultur, Bildung und Antiziganismusforschung“. Mit ihm sprach Andrea Dernbach.

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