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Politik: Skandal – oder mutiges Gespräch?

Von Christian Böhme Das Podium ist prominent besetzt. Und der Tag der Veranstaltung hat große Symbolkraft, nicht nur in Deutschland.

Von Christian Böhme

Das Podium ist prominent besetzt. Und der Tag der Veranstaltung hat große Symbolkraft, nicht nur in Deutschland. Am kommenden Mittwoch, dem Tag, an dem sich zum 57. Mal das Kriegsende jährt, will Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Funktion als SPD-Vorsitzender mit dem Schriftsteller Martin Walser diskutieren. Ihr Thema: Nation, Patriotismus, Demokratische Kultur in Deutschland 2002.

Ein lohnendes Gespräch, glaubt die SPD, die dazu ins Willy-Brandt-Haus eingeladen hat. Das sieht das Berliner „Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus“ aber ganz anders. „Es ist ein Skandal, dass der Kanzler sich mit einem Mann unterhalten will, der 1998 in der Frankfurter Paulskirche eine antisemitische und revisionistische Rede gehalten hat“, sagt Arne Behrensen. Walser hatte anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels von Auschwitz als „Moralkeule“ und der „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ gesprochen. Das Bündnis fordert deshalb, die Veranstaltung am 8. Mai abzusagen. Ein entsprechender Appell, der von der jüdischen Gemeinde zu Berlin unterstützt wird, soll Anfang der Woche in Form von Zeitungsanzeigen veröffentlicht werden. Findet die Diskussion dennoch statt – und aus Sicht der SPD spricht nichts dagegen –, ist eine Demonstration vor der Parteizentrale in Kreuzberg geplant.

Einem möglichen Protest blicken die Initiatoren der Gesprächsrunde gelassen entgegen. Überhaupt kann man bei der SPD die Aufregung nicht nachvollziehen. Die Diskussion mit Walser bedeute doch keinesfalls einen Schulterschluss mit seinen Thesen. Mitnichten setze die Sozialdemokratie auf die nationalistische Karte. Im Gegenteil. Es sei mutig und nötig, mit einem zu reden, der eine andere Position als die übliche beziehe. Und dass Walser, „zweifellos ein großer Dichter“, zu einem Nazi stilisiert werde, könne auch nicht angehen. Erst einmal abwarten, was er sagen wird, lautet die Devise.

Abwarten will das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus, das vor kurzem die Pro-Israel-Demonstration in Berlin mit organisierte, nicht. Der im vergangenen Jahr gegründete Zusammenschluss linker Organisationen und Einzelpersonen glaubt zu wissen, welche Richtung das Gespräch nehmen wird. Schon der Text der Einladung verrate, wohin die Reise gehe. „Kampfparolen der Revisionisten“ tauchen nach Behrensens Auffassung auf in Sätzen wie: „Wir in Deutschland – das sagen wir mit Stolz auf unser Land, selbstkritisch, aber auch selbstbewusst patriotisch“ und „Wir wollen unserer veränderten Rolle in Europa und der Welt gerecht werden, als normale Nation“. Das Bündnis befürchtet, dass der 8. Mai als Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus umgedeutet wird in einen Tag der „Befreiung von deutscher Verantwortung“.

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