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Teilnehmer einer Demonstration von Unterstützern des Internetportals "Netzpolitik.org".

© dpa

Skandal um Blogger: Netzpolitik.org: Wer hat den Schwarzen Peter?

Der Fall "Netzpolitik.org" ist ein Politikum. Viele sehen den Fehler - aber keiner will ihn begangen haben. Eine Spuren - und Tätersuche.

Von Robert Birnbaum

Der Generalbundesanwalt ist vorläufig in Teilen abgeschaltet. Nicht Harald Range in Person natürlich, aber seine Webseite: Wer Ranges letzte Pressemitteilung zum Landesverratsverfahren gegen „Netzpolitik.org“ nachlesen will, erfährt nur: „Datenbank existiert nicht.“ Der Internetauftritt, sagt seine Sprecherin, sei gehackt worden, man habe den Zugang abgeschaltet. Gut möglich, dass hinter dem Cyber-Einbruch digitale Sympathisanten stecken. Aber Range kann sich um den Blackout seines Pressestellen-Archivs im Moment nicht so richtig kümmern. Deutschlands oberster Ankläger hat ein größeres Problem, und mit ihm alle, die von dem Verfahren gegen zwei Blogger-Journalisten wussten oder wissen müssten. Den meisten schwant inzwischen, dass da etwas mächtig schief lief. Aber keiner will’s gewesen sein.

DER ANFANG
Zwei Artikel im Internet-Blog „Netzpolitik.org“ befassen sich mit Plänen des Kölner Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) zur Überwachung des Internets, und beide liefern als Belege Kopien aus vertraulichen Unterlagen – ein Haushaltsplan, ein Organigramm. Amtschef Hans- Georg Maaßen erstattet im März und April zwei Strafanzeigen gegen „Ungekannt“. Er richtet sie an die Staatsschützer beim Berliner Landeskriminalamt (LKA). Die leiten sie zur Bundesanwaltschaft nach Karlsruhe weiter. Damit ist der Pfad zum Landesverrat-Vorwurf vorgezeichnet – für ein bloßes Dienstvergehen wäre die normale Staatsanwaltschaft zuständig gewesen.

In beiden Anzeigen ist der Chef von „Netzpolitik.org“, Markus Beckedahl, namentlich erwähnt, in der zweiten auch der Verfasser der Artikel, Andre Meister. Das sei aber, versichert das Bundesinnenministerium als Vorgesetzter des Verfassungsschützers, nur als Hinweis an die Ermittler auf „potenzielle Zeugen“ gedacht gewesen – angezeigt hat Maaßen nicht die beiden, sondern eben „Unbekannt“. Auch sein Antrag, „nach allen in Betracht kommenden Richtungen“ zu ermitteln, sei gezielt gewesen auf die undichte Stelle im Amt, in der Regierung oder im Parlament.

Die zu finden ist freilich fast unmöglich. Die als „Verschlusssache“, also mit der niedrigsten Geheimstufe geschützten Dokumente, berichtet ein Ministeriumssprecher am Montag, kannte „ein dreistelliger Kreis“ von Personen. Der Verfassungsschutz habe Range inzwischen alle Namen mitgeteilt.

Und noch etwas bekam Range, ebenso wie das Berliner LKA: Eine Einschätzung von Maaßens Juristen, dass es sich bei den Dokumenten um „Staatsgeheimnisse“handele. Beide Ermittlungsbehörden hatten bei dem Kölner Amt diese Expertise in eigener Sache erbeten, um sicher zu gehen, dass sie überhaupt zuständig sind.

Maaßen rechtfertigt seine Anzeige mit seinen Dienstpflichten: „Um die weitere Arbeitsfähigkeit meines Hauses ... sicherzustellen“, müsse er sich gegen Durchstechereien wehren. Er reicht den Schwarzen Peter weiter: „Alles Weitere ist nun eine Angelegenheit der Justiz.“

Ab ins Innenministerium

AB INS INNENMINISTERIUM

Auf der politischen Ebene wurde der ganze Vorgang zum ersten Mal bekannt, als noch gar nichts passiert war. Maaßen informierte die Innen-Staatssekretärin Emily Haber und den zuständigen Abteilungsleiter über seine Absicht, wegen der Durchstechereien Strafanzeige gegen Unbekannt zu erstatten. Das passierte, so ein Ministeriumssprecher, am Rande „anlässlich eines anderen Termins“. Danach habe Haber nie wieder von der Sache gehört. Weder die Anzeigen selbst noch das „Staatsgeheimnis“-Gutachten sei im Ministerium bekannt gewesen, auch andere zuständige Mitarbeiter hätten dort nichts gewusst – bis zu dem Moment am Ende letzter Woche, als „Netzpolitik.org“ das Verfahren öffentlich machte.

Offenbar gar nichts erfahren hatte bis dahin der Minister Thomas de Maizière (CDU). Am Montag früh ließ er sich von seinem Urlaubsort telefonisch von Haber unterrichten. Danach stellte er sich im Prinzip hinter seinen Verfassungsschutzchef: Gegen Maaßens Anzeige gegen „Unbekannt“ habe er auch im Nachhinein keine Einwände. Die Frage, ob de Maizière nicht viel früher hätte ins Bild gesetzt werden müssen, gibt sein Sprecher zurück: Warum, wo doch ein Verfahren gegen Amtspersonen nichts sei, das eine „herausgehobene Sensibilität“ erfordere? Und: „Ermittlungen gegen Journalisten standen nicht im Fokus der Anzeige.“

Ob Maaßen wusste oder sogar aktiv beförderte, dass sich eben dieser Fokus in Richtung der Presseleute verschob, ist unklar. Klar ist, dass der Verfassungsschutzchef einen politisch-medialen Komplex im Gange sieht, bei dem aus dem politischen Raum Interna durchsickern und deren Urheber, so argwöhnt er selber, den Dienst „sturmreif schießen“ wollten.

Sein Dienstherr, der Innenminister reicht den Schwarzen Peter jedenfalls nach Karlsruhe weiter: Ob die beiden Blogger die Absicht gehabt hätten, „die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen“, darüber herrsche auch im Innenressort Skepsis.

Das ist ein ganz zentraler Punkt in der Affäre: Landesverrat ist eine Vorsatztat. Nur wer seinem Land bewusst schaden will, fällt unter den Straf-Paragrafen 94. Wer Staatsgeheimnisse aus anderen Motiven ausplaudert – zum Beispiel aus gutbürgerlicher Sorge vor überbordender Überwachung –, ist kein Landesverräter. Zum objektiven Tatbestand – Staatsgeheimnis – muss der subjektive – böse Absicht – hinzukommen.

Der Justizminister und die "voller Unterstützung"

DER JUSTIZMINISTER

Diesen Einwand hat auch der zweite politisch Betroffene vorgetragen – und zwar schon vor Monaten. Am 13. Mai hat Chefankläger Range förmlich Ermittlungen aufgenommen gegen die Journalisten Beckedahl und Meister sowie gegen „Unbekannt“. Justizminister Heiko Maas (SPD) und sein Haus bekamen davon am 27. Mai Kenntnis. Die Berliner sahen sofort die juristische wie die politische Dimension und äußerten „Zweifel“. Maas war im Bilde. Mehr als Ratschläge erteilte der SPD-Politiker aber nicht. Hätte er nicht den Skandal stoppen müssen? Doch auch Maas mag den Schwarzen Peter nicht nehmen. Sein Sprecher sagt: „So lange ein Staatsanwaltschaft nicht rechtswidrig handelt, kommt eine Weisung des Justizministers nicht in Frage.“

„VOLLE UNTERSTÜTZUNG“
Maas bekommt inzwischen Rückendeckung von der Kanzlerin. Der Minister habe Angela Merkels „volle Unterstützung“ für sein jetziges Vorgehen, teilte Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz mit. Dabei hätte Merkel durchaus Grund, in ihrem Urlaub in Südtirol auf Maas etwas säuerlich zu sein. Denn „das Kanzleramt“, berichtet die Sprecherin noch, „hat von den Ermittlungen durch die Medien erfahren.“

Wo es aus Sicht des Kanzleramts sonst noch ein Problem gibt? Merkels Sprecherin mag nicht direkt nach Karlsruhe zeigen. Aber Range bekommt – anders als sein Minister – keine Ehrenerklärung. „Zunächst“ stünden jetzt erst einmal Sachaufklärung und Prüfung im Vordergrund. „Zunächst“ heißt auf gut Deutsch: Da kann noch was kommen – später.

Zurück auf Start

ZURÜCK AUF START
Der Schwarze Peter ist am Montag also wieder dort gelandet, wo er zu Beginn der Affäre aufgetaucht ist: Bei Harald Range. Der 67-Jährige war seinerzeit von der FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an die Spitze der obersten Anklagebehörde geholt worden, nächstes Jahr endet seine Amtszeit aus Altersgründen. Am Sonntag hatte Range sich verteidigt. Auch er hatte wohl so seine Zweifel, als ihm Maaßens Anzeigen auf den Tisch kamen. Deshalb die Bitte, darzulegen, ob es überhaupt um „Staatsgeheimnisse“ gehe. Dass der Ermittler den Anzeige-Erstatter fragte, findet de Maizières Sprecher nicht abwegig: Die Verfassungsschützer könnten eine „ziemlich kompetente Erstabschätzung“ über ihr eigenes Material liefern.

Als das Gutachten eintraf, sah Range „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine möglicherweise strafbare öffentliche Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses“. Darum sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als ein Verfahren einzuleiten.

Aber sicher war der Generalbundesanwalt offenkundig seiner Sache nicht. Er verbot bis auf Weiteres alle „Maßnahmen“ gegen die beiden Blogger mit Rücksicht auf das „hohe Gut“ der Presse- und Meinungsfreiheit. Und am 19. Juni gab Range ein weiteres, diesmal unabhängiges Gutachten bei einem Wissenschaftler in Auftrag, ob hier wirklich Staatsgeheimnisse verraten worden seien. Die Aussage, dieses Gutachten sei erst in einem förmlichen Ermittlungsverfahren möglich, klingt freilich nach Schutzbehauptung; Maas’ Sprecher merkt an, es gebe „sicherlich auch Möglichkeiten, sich im Vorfeld zu informieren“.

Das Gutachten ist jedenfalls noch nicht fertig, angeblich ist sein Verfasser im Urlaub. Aber die Zeit drängt. Wohl in der Sorge, dass die Sache verjähren könnte, hat die Anwaltschaft Beckedahl und Meister über das Verfahren gegen sie in Kenntnis gesetzt. Ab dem Moment ruhen alle Verjährungsfristen – um den Preis, dass der Vorgang öffentlich wurde.

Den Schwarzen Peter behalten möchte der Generalbundesanwalt allerdings auch nicht. Am vorigen Freitag hatte Maas angekündigt, dass sein Ministerium selbst ein Rechtsgutachten zu dem ganzen Fall erstellen will. Das dürfte Ende der Woche vorliegen, und auch der Inhalt dürfte niemanden überraschen: Kein Landesverrat, schon aus Mangel an üblen Motiven der zwei Blogger-Journalisten.

Range gedenkt diese Expertise als Berliner Weisung zu interpretieren, das hat er bereits mitgeteilt. Das sehen sie im Hause Maas indessen deutlich anders. Man werde die eigene rechtliche Einschätzung beisteuern und begrüße die Ankündigung der Karlsruher Behörde, dass sie dieses Gutachten berücksichtigen wolle, sagt ein Ministeriumssprecher. Aber die Suppe, die er sich eingebrockt hat, soll Range selber auslöffeln: „Am Ende entscheidet der Generalbundesanwalt dann frei, wie es mit dem Ermittlungsverfahren weiter geht.“

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