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Politik: „So haben wir uns Freiheit nicht vorgestellt“

Das Geschäftsleben in Bagdad ist fast völlig zusammengebrochen. Kaum einer traut sich noch aus dem Haus

Abdul al Sudani lässt die schwere Eisentür seines Geschäftes in der KarradaStraße in Bagdad geschlossen. Er hat Angst um sein Leben und das seiner Familie. Jeden Tag werden in Bagdad im Durchschnitt fünfzig Iraker entführt. „Wir haben in Bagdad eine Kidnapping-Industrie, und jeder, der wohlhabend aussieht oder ein Geschäft hat, läuft Gefahr, von Banden entführt zu werden“, sagt er. Die Familie muss den Entführten wieder freikaufen. „Über die Summe wird verhandelt wie auf dem Basar. Spätestens wenn sein abgeschnittener Finger morgens vor der Tür liegt, wird bezahlt.“

Im vergangenen Jahr war der Irak ein wenig aufgeblüht. In der Karrada-Straße stapelten sich vor den Geschäften Fernseher und Klimaanlagen. Besonders Satellitenempfänger waren der Renner. Sie waren unter Saddam Hussein verboten. In den renovierten Kinos wurden Filme aus dem Westen gezeigt, die Restaurants waren voll. An allen Ecken wurde gebaut.

Doch seit drei Monaten ist Bagdads Hauptgeschäftsstraße verwaist, die Läden sind geschlossen. Selbst Lebensmittelgeschäfte haben nur wenige Stunden geöffnet. Es sind kaum Menschen auf den Straßen. „Wir verlassen das Haus nur noch, um das Allernotwendigste zu besorgen, wie Essen und Getränke oder Medikamente. Ich schicke meine Kinder seit drei Monaten nicht mehr zur Schule. Es ist viel zu riskant“, sagt der Geschäftsmann Hikmat Basmaji. „Mehrmals am Tag vibrieren unsere Fensterscheiben, wenn Bomben im Zentrum explodieren. Was ist das für ein Leben? So haben wir uns die Freiheit nicht vorgestellt, die uns Herr Bush versprochen hat.“

Walid Hamani hat sich einen gebrauchten Opel Omega gekauft, der aus Deutschland kam. Das Auto ist sein ganzer Stolz, er wäscht ihn täglich. Wenn Walid Benzin braucht, nimmt er Decken, Essen und Getränke mit und campiert vier Tage im Auto in einer Schlange vor der Tankstelle, bis er dreißig Liter bekommt. „Wir sind eines der reichsten Ölländer und haben kein Benzin. Das ist eine Schande für die Besatzer und Präsident Allawi.“

Eine funktionierende öffentliche Ordnung mit Behörden, Gerichten und Polizei gibt es im Irak immer noch nicht. In den Schulen ist der Lehrstoff noch nicht auf Demokratie umgestellt: Aus den Büchern hat man nur das obligatorische Bild von Saddam Hussein auf der ersten Seite herausgerissen. Die Polizei ist damit beschäftigt, sich selbst zu schützen. Iraker können die Polizei nicht einmal bei Gefahr anrufen, weil es kein funktionierendes Telefonnetz gibt. Hussein Tallal ist Polizist auf dem Al-Alwaja-Revier. „Wir haben Straßensperren schon dreihundert Meter vor dem Revier, damit kein Selbstmordattentäter durchrasen kann“, berichtet er. Alle Besucher würden auf Sprengstoffgürtel untersucht. Fast jeden Tag hätten er und seine Kollegen Opfer zu beklagen, sagt der 24-Jährige. „Für uns Polizisten ist täglich Krieg. Aber wir erkennen den Feind oft erst, wenn es zu spät ist.“

Erwin Decker[Suleimanija]

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