zum Hauptinhalt
Soldaten sitzen im Camp Marmal in Masar-i-Scharif in einer Transall-Transportmaschine, um nach Deutschland zurückzufliegen.

© DPA

Soldaten nach Auslandseinsätzen: Krieg im Kopf

Jeder vierte Soldat, der mit der Bundeswehr auf einem Auslandseinsatz war, hat Studien zufolge psychische Probleme. Viele wollen sich ihre Probleme nicht eingestehen, doch die Erlebnisse im Einsatz kommen in ganz alltäglichen Situationen wieder hoch.

Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben offenbar weit schwerwiegendere Folgen für Soldaten und ihre Familien als bisher angenommen. Bekannt ist, dass die Zahl der Soldaten, die durch Einsätze in Afghanistan oder dem Kosovo psychische Probleme bekommen, seit Jahren steigt. Nun gibt es Hinweise, dass Einsatzsoldaten vermehrt straffällig werden. Und Belege dafür, dass Kinder oder Lebenspartner betroffener Soldaten oft ebenfalls psychisch erkranken.

Peter Zimmermann, Leiter des Psychotraumazentrums im Berliner Bundeswehrkrankenhaus, geht davon aus, dass bis zu 25 Prozent der deutschen Soldaten mit Einsatzerfahrung unter psychischen Störungen leiden, wie er dem Tagesspiegel unter Verweis auf vorläufige Studienergebnisse mitteilte. Viele von ihnen seien möglicherweise schon vor dem Einsatz belastet gewesen, nicht alle seien behandlungsbedürftig – doch auch schwere Depressionen, Angstzustände und Suchterkrankungen sind bei Einsatzsoldaten verbreitet, und immer mehr erkranken an einer sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS. Sie werden nach ihrer Rückkehr über Jahre hinweg von Ereignissen aus dem Einsatz verfolgt, die oft in normalen Alltagssituationen ins Bewusstsein zurückkehren.

Ein Viertel der Soldaten leidet nach der Rückkehr vom Auslandseinsatz unter psychischen Störungen

2012 waren nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums allein wegen PTBS mehr als 1140 Soldatinnen und Soldaten in Behandlung. Tatsächlich liegt die Zahl deutlich höher, denn Zeitsoldaten, die sich nach ihrem Ausscheiden aus der Bundeswehr in zivilen Einrichtungen behandeln lassen, sind in der offiziellen Statistik nicht erfasst. Die Dunkelziffer ist dem Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der TU Dresden zufolge doppelt so hoch.

Viele Soldaten scheuen sich demnach, einen Arzt oder Psychologen aufzusuchen, weil sie sich die Krankheit selbst nicht eingestehen, nach außen keine Schwäche zeigen wollen oder aber schlicht um ihre Karriere fürchten. Die Dresdner Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass insgesamt rund zwei Prozent aller Einsatzsoldaten an PTBS erkranken, pro Jahr rund 300. Das sind immerhin deutlich weniger als in der US-Armee, die im Irak und in Afghanistan massiv in Kampfhandlungen verwickelt war.

Der Augsburger Anwalt Christian Steffgen, der als Vertragsanwalt des Deutschen Bundeswehrverbands Soldaten vertritt, hat festgestellt, dass auch Straftaten von Soldaten immer häufiger mit Einsatzerlebnissen in Verbindung stehen. „Das sind Soldaten mit vorbildlicher Karriere, die plötzlich persönlichkeitsfremde Taten begehen“, sagte Steffgen dem Tagesspiegel.

Viele Bundeswehrsoldaten reagieren unverhältnismäßig aggressiv

Gemeint ist: Soldaten, die nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, beleidigen oder bedrohen plötzlich andere Verkehrsteilnehmer oder werden gewalttätig. „Die Hemmschwelle für ein solches Verhalten scheint durch Ereignisse im Einsatz, die nicht verarbeitet wurden, herabgesetzt zu werden“, sagt der Anwalt. Fühlen sich die Soldaten im Straßenverkehr oder beim Gerangel an der Supermarktkasse provoziert, kann sie das „triggern“, wie es im Fachjargon heißt. Sie werden mental in den Einsatz zurückversetzt und reagieren unverhältnismäßig aggressiv – im Extremfall mit unkontrollierten Gewaltausbrüchen.

Wie viele Einsatzsoldaten straffällig werden, ist nicht bekannt. Weder Bundeswehr noch Bundeskriminalamt erfassen diese Daten. In den USA sind Veteranen schon Amok gelaufen. „Denkbar ist das auch bei uns“, sagt der Psychotherapeut Thomas Kleinheinrich, der die von Einsatzsoldaten gegründete Deutsche Kriegsopferfürsorge berät. Er sieht auch Parallelen zur Zeit nach 1945, als ganze Familien unter den Traumata der Kriegsheimkehrer gelitten hätten. „Auch heute gibt es Fälle, wo Kinder und Partner Probleme bekommen“, sagt er. Kinder würden verhaltensauffällig oder machten plötzlich wieder ins Bett, wenn der Vater „emotional ausfalle“. Auch häusliche Gewalt sei heute wie damals ein Thema.

In den USA werden die Veteranen besser betreut

Genau analysieren lassen sich die Auswirkungen der Einsatzbelastungen bisher nicht. Der von PTBS-Geschädigten gegründete Bund Deutscher Veteranen fordert daher, dass alle Einsatzheimkehrer zentral erfasst und wie in den USA auch nach dem Ausscheiden aus der Armee betreut werden. Denn gerade psychische Störungen sind langwierig und treten oft erst Jahre nach dem Einsatz auf.

Doch so weit ist man in Deutschland noch nicht. Lange wurden PTBS und andere psychische Erkrankungen oft nicht einmal als Wehrdienstbeschädigung anerkannt. Sogar das Verteidigungsministerium gibt zu, dass es für die Soldaten in der Vergangenheit schwierig gewesen sei, einen Zusammenhang ihrer Erkrankung mit einem Einsatz zu belegen.

Ein „Gutachten-Pingpong“ habe sich über Jahre hingezogen, sagt eine Sprecherin. Heute wird zunächst ein Zusammenhang zwischen Einsatz und Erkrankung angenommen und es obliegt dem Dienstherren, also der Bundeswehr, das Gegenteil zu beweisen. Künftig sollen alle Soldaten außerdem vor dem Einsatz ein psychologisches Screening durchlaufen, so dass vorbelastete Soldaten erst gar nicht in den Einsatz geschickt werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false