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Bei dem Protest vor der russischen Botschaft am Tag der Urteilsverkündung entstand diese Aufnahme.

© dapd

Update

Solidaritätsaktion in Berlin: "Pussy Riot"-Unterstützer wollen vor Kathedrale demonstrieren

Unterstützer der russischen Band "Pussy Riot" wollen an diesem Sonntag vor der russisch-orthodoxen Kathedrale in Berlin protestieren. Zuvor hatten Demonstranten einen Gottesdienst im Kölner Dom gestürmt - die Kirche reagierte mit einer Anzeige.

Die katholische Kirche hat Anzeige gegen drei junge Leute erstattet, die am vergangenen Sonntag während eines Gottesdienstes in den Kölner Dom stürmten. "Die Ruhe im Kölner Dom wurde gestört - das können und wollen wir nicht hinnehmen", so der Kölner Domdechant Robert Kleine in seiner Presseerklärung. "Das Recht auf Demonstrationsfreiheit darf nicht über das Recht auf Religionsfreiheit und die religiösen Gefühle der Gottesdienstfeiernden gestellt werden." Die Aktion einer 20-jährigen Frau und der beiden 23- bzw. 25-Jahre alten Männer, die in bunten Strickmützen und mit „gebetsähnlichen Gesten und lauten Rufen“ für die Freiheit der verurteilten Moskauer Punkband vor dem Domaltar protestierten, hat nur ein paar Minuten gedauert. "Es ist legitim und sicherlich auch angebracht, gegen das Urteil in Russland zu protestieren - in der Öffentlichkeit, beispielsweise auf Plätzen. Aber es gibt Grenzen: dann, wenn das Recht anderer beschnitten wird", so Kleine.

Auf Facebook wird unterdessen zu einer Solidaritätsaktion für Pussy Riot in Berlin aufgerufen: An diesem Sonntag um 15 Uhr wollen sich Demonstranten vor der russisch-orthodoxen Kathedrale am Hohenzollerndamm 166 treffen. "Kommt mit bunten Wollmützen über dem Kopf zur Russisch-Orthodoxen Kathedrale Berlin und sprecht euer Gebet zu Ehren der verurteilten Pussy Riot", heißt es in dem Aufruf. Am Sonntagmorgen hatten 86 Facebook-Nutzer ihre Teilnahme zugesagt.

Das Oberhaupt der Berliner Diözese der russisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, Erzbischof Feofan von Berlin und Deutschland, sagte dem Tagesspiegel zu den Plänen: „Die Leute, die an solchen Aktionen teilnehmen, tun mir leid. Sie wissen nicht, was sie tun, und verstehen nicht, dass sie missbraucht werden. In Russland hat dieser Prozess bis auf einen engen Kreis von Putins Gegnern keinen wirklich interessiert. Das Ganze ist künstlich aufgeblasen worden, jeder versucht, Kapital daraus zu schlagen. Natürlich hat jeder das Recht auf eigene Meinungsäußerung. Die Kirche ist kein Gerichtsorgan und verurteilt keinen. Aber wir haben auch das Recht auf Religionsausübung. Die Kirche ist unser Heiligtum und wir werden sie schon beschützen können. Wenn es sein muss, mit Hilfe der Polizei.“

Sollte es zu der Aktion kommen, wäre es nicht die erste Solidaritätsaktion für Pussy Riot in Berlin: Die Berliner Sängerin Peaches hat mit der Unterstützung von 400 Menschen ein Protestvideo für Pussy Riot produziert, und am Tag der Urteilsverkündung zogen Demonstranten vor die russische Botschaft.

Mitglieder der russischen Band waren kürzlich zu zwei Jahren Straflager verurteilt worden. Sie hatten in einer Kirche ein putinkritisches Punkgebet aufgeführt, das von Seiten der Staatsmacht als Gotteslästerung aufgefasst wurde. Auch hierzulande kommt es immer wieder zum Protest in Gotteshäusern - doch der Blick in die Geschichte zeigt: Die Reaktionen fallen verhalten, wenn nicht sogar musikalisch hochwertig aus.

"Wir singen jetzt: 'Großer Gott, wir loben Dich.'" Der Evangelische Landesbischof Markus Dröge rettete die Situation. Vor zwei Jahren, beim ökumenischen Aschermittwoch der Künstler in der Schöneberger Sankt-Matthäus-Kirche am Kulturforum, hatte der damalige Erzbischof von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, gerade mit der Predigt begonnen. Da lief ein Mann durch den Mittelgang nach vorn und stellte sich neben den Kardinal. Er begann, gegen den Zölibat zu wettern – und zog sich aus. Während die Gemeinde sang, begleitete ihn der Berliner Künstlerseelsorger Christhard-Georg Neubert sanft, aber bestimmt nach draußen. Als die Polizei kam, um die Personalien aufzunehmen, war der Unbekannte schon verschwunden.

Die Berliner Sängerin Peaches hat ein Protestvideo für Pussy Riot produziert - sehen Sie hier Bilder des Drehs:

"Er wollte darauf aufmerksam machen, dass wir vor Gott alle nackt sind", erinnert sich Neubert heute. Eine Strafanzeige, wie in Moskau, gab es für diese Aktion nicht. Die evangelische Kirche laufe nicht gleich zum Staatsanwalt, sagt Neubert. "Ich erinnere mich noch gut an die Aktion in den 60er Jahren, als Studenten die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche besetzten, um in einem Weihnachtsgottesdienst auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen." In bestimmten Situationen habe die Kirche eben Verständnis für "höchst ungewöhnliche Maßnahmen, die, selbst wenn sie nicht rechtens sind, ein legitimes Mittel der Grenzüberschreitung sein können, um auf Missstände aufmerksam zu machen." Wichtig dabei sei allerdings, dass die religiösen Gefühle der Gläubigen nicht verletzt werden.

Der Pfarrer und ehemalige Sektenbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Thomas Gandow, widerspricht Neubert in seiner Erinnerung an diesen Zwischenfall in der Gedächtniskirche 1967. In seinem Leserkommentar (siehe Debatte unter diesem Artikel) zitiert er den Biographen Dutschkes so: "Am Heiligen Abend 1967 versuchten Rudi Dutschke und ein paar weitere Studenten in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin eine Diskussion über den Frieden in der Welt zu erzwingen. Besucher der Mette hinderten sie daran und riefen: 'Wascht euch erst mal!', 'Raus, ihr Schweine!'. Rudi Dutschke wurde von der Krücke eines Diplom-Ingenieurs aus Neukölln am Kopf getroffen und musste sich im Krankenhaus eine dreieinhalb Zentimeter lange Platzwunde nähen lassen. Ausführlich und noch peinlicher für die Kirchengemeinde hier."

Gandow weist auch darauf hin, dass die Pussy-Riot-Mitglieder nach ihren Videoaufnahmen aus der Kirche geleitet und dabei weder verletzt noch festgehalten wurden. Verhaftet worden seien drei von ihnen erst zwei Wochen später. Nach dem Urteil sagte die Kirche: " "Without subjecting the rightfulness of the court's decision to any doubt, we call on the state authorities to show mercy to the people convicted within the framework of the law, in the hope that they will refrain from repeating blasphemous actions."

Aktionen von Menschen wie Andreas Roy bewertet Christhard-Georg Neubert hingegen als "eine Form von Blasphemie", erinnert sich Neubert. Zusammen mit zwei Kumpanen störte der arbeitslose Sozialhilfeempfänger in den Jahren um 2005 die Gottesdienste in den Kirchen der Hauptstadt. Die Trauerfeier für Hildegard Knef, der Abschlussgottesdienst des Ökumenischen Kirchentags 2003, die Heilige Messe in der Hedwigs-Kathedrale. Vor Roy war keine Kirche sicher. Vor allem Fernsehgottesdienste und ökumenische Feiern hatten es ihm angetan. Wüste Endzeitpamphlete, lautstarkes Wettern gegen Abtreibungen und sein Schlachtruf "Tut Buße" waren typisch für den einigermaßen korpulenten Selbstdarsteller. Seine Richterin nannte er "Mutter Brinkmann", und während er aus einem dicken Aktenordner vorlas, drehte er ihr den Rücken zu.

Sehen Sie hier das fertige Protestvideo von Peaches:

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Davongekommen ist Andreas Roy am Ende nicht. Hausfriedensbruch, Störung der Religionsausübung, Sachbeschädigung. Es hagelte Geldstrafen, Ersatzfreiheitsstrafen, Bewährung. Mehrere Monate saß Roy in Tegel ein. 15 Monate Haft auf Bewährung lautete 2008 sein letztes Urteil. Danach wollte er heiraten – und seitdem ist es ruhig geworden um den Mann, der eine Zeit lang der personifizierte Alptraum aller Pfarrer war.

In aller Welt protestieren Menschen für Pussy Riot:

Noch anders ist es dem prominentesten Veranstalter eines Happenings in einem Berliner Gotteshaus ergangen. Johannes Baader, auch bekannt als "Oberdada", inszenierte sich als der wiedererstandene Christus.

Als im November 1918 der damalige Domprediger Ernst von Dryander die rhetorische Frage "Was ist uns Jesus Christus?" an seine Gemeinde richtete, schrie Baader mit voller Kraft: "Er ist uns wurscht". Und schon damals wusste der Prediger, was zu tun war: Zum brausenden Orgelklang stimmte die Gemeinde "Ein feste Burg ist unser Gott" an. Der Oberdada kam dagegen nicht an. Eine Haftstrafe erhielt er für die Störung trotzdem nicht – denn schon damals galt Baader als unzurechnungsfähig. Heute dagegen wird er nicht als Störer, sondern als Künstler verstanden: Vor einigen Jahren spielte der Evangelische Kunstdienst sogar die Störung Baaders nach. Bis so etwas allerdings in der Moskauer Erlöser-Kathedrale mit dem Punkgebet von Pussy Riot passieren wird, dürfte wohl noch einiges Wasser die Moskwa herabfließen.

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