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Politik: Solide – das wäre ja was

Von Gerd Appenzeller

Helmut Schmidt, von 1974 bis 1982 Kanzler des damals noch nicht wiedervereinten Deutschland, wird der Grundtenor der gestrigen Veranstaltung im Reichstag gefallen haben: Illusionen sind an der Garderobe abzugeben, Visionen werden bitte beim Hausarzt abgeklärt, Frustrationen bringen uns nicht voran, Ziele müssen erkennbar und vor allem präzise benannt sein. Da waberten keine großen Gefühle, für Emotionen blieb nur kärglicher Raum. Empathie blitzte lediglich einmal auf, als alle Redner das Schicksal der im Irak verschleppten Deutschen und ihres Fahrers ansprachen.

Angela Merkel versteht sich als Chefin einer Arbeitsregierung, deren Aufgaben für die kommenden vier Jahre sie gestern beschrieb. War es zu wenig, was und wie sie es ansprach? Pathos und Demagogie sind in ihr nicht angelegt. Eine mitreißende Rednerin wird aus ihr auch nicht mehr werden. Aber manchmal gelingt ihr jener beschwörende Unterton, der die Menschen zuhören lässt. Das sind die Momente, in denen die Botschaft hinter dem öfter eher an eine Gebrauchsanweisung für politisches Handeln gemahnenden Text aufblitzt. Aber was soll’s: Sie wurde ja zur Bundeskanzlerin und nicht zur Staatsschauspielerin gewählt.

Vieles an Merkel erinnert an Horst Köhler, etwa, wenn sie, so Vorbilder zeichnend und große Maßstäbe setzend, die Erfindungen und gesellschaftspolitischen Errungenschaften der Deutschen aufzählt. Menschen, die auf ihrem Bildungsweg eher mit Zahlen als mit Worten beschäftigt waren, haben offenbar ein fast kindlich-unbeschwertes Vertrauen in die Machbarkeit der Dinge, sind weit weniger zweifelbelastet als weltanschauungs- oder gar ideologiegeprägte Zeitgenossen. Bei Merkel kommt aber noch etwas anderes hinzu, was sie mit Matthias Platzeck vereint, beide sprechen ja auch darüber: Wer, wie diese zwei, schon einmal von etwas so Überwältigendem wie der plötzlichen Freiheit überrascht worden ist, der hält viel, fast alles an Veränderung für möglich.

Und genau da ist dann plötzlich doch jene Angela Merkel, die aus dem Statuarischen ausbricht, mitreißende Begeisterung vermitteln will. Sie setzt geschickt Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ in Bezug zu ihrem Leitmotiv „Mehr Freiheit wagen“, um damit zwei jener Eckwerte der modernen Bundesrepublik zu beschreiben, die ihr vorschweben.

Da sie aber gelernt hat, aus den Fehlern Köhlers in seiner Frühphase und den eigenen in ihren letzten Wahlkampfwochen, macht sie jetzt ein Thema zum weiteren Tragpfeiler ihrer Rede, das bis dahin zu kurz kam: Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeige sich an ihrem Umgang mit den Schwachen. Ob das eigene Erkenntnis war oder eine der sozialdemokratischen Komponenten dieser Regierungserklärung, ist zweitrangig, wenn es denn nur den Tag überdauert.

Wird das ein Parlament ohne hörbare Opposition sein, nicht nur wegen der schieren Überzahl von Schwarz-Rot, sondern auch – wie von 1966 bis 1969 – wegen der rhetorischen Brillanz vieler herausragender Politiker der großen Koalition? Nein, da sind diesmal Guido Westerwelle, Gregor Gysi und Fritz Kuhn schon auch intellektuelles Gegengewicht genug, wobei sich gestern bereits abzeichnete, dass die größte Oppositionspartei, die FDP, vermutlich auch die sein wird, die inhaltlich am ausgefeiltesten in die Debatten geht.

War das nun wirklich, wie Kritiker meinen, eher uninspiriert, was wir hörten? War es weit von jenen Reformen entfernt, deren Notwendigkeit Angela Merkel immer beschworen hatte, als sie noch auf Schwarz-Gelb hoffte? Die Kanzlerin erklärte gestern die vielen kleinen Schritte, die man statt des einen, großen, gehen wolle, zum eigentlich klügeren Weg beim Umbau des deutschen Hauses. Vor allem verlässlich wolle man sein. Wenn es nur handwerklich solide würde, was die Regierung der großen Koalition in den kommenden vier Jahren abliefert, wäre das mehr als kleine Münze. Es wäre ein deutlicher Fortschritt gerade nach einer Regierung, die nicht zuletzt wegen der mangelnden Solidität und Berechenbarkeit ihrer Sozialpolitik das Vertrauen der Wähler verloren hatte.

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