zum Hauptinhalt

Politik: Soll man Haider ignorieren oder mit ihm koalieren? Er regiert längst mit! (Kommentar)

Einer wie Haider riecht den Sieg. Er genießt diesen Augenblick.

Einer wie Haider riecht den Sieg. Er genießt diesen Augenblick. Mit tiefen Zügen saugt er die Gunst der Stunde in seine Seele. Die Zuversicht zu triumphieren, verleiht ihm ruhige Überlegenheit, die lässige Grandezza eines Scharfschützen, der lange auf der Lauer gelegen hat und nun in seinem Visier das ahnungslose Opfer fokussiert; es bedarf nur noch des leisen Drucks seines Fingers am Abzugshahn, um den Fangschuss auszulösen. Die Pose des Dominators - sie ist Jörg Haiders Lebensziel.

Er, der soziale und politische Außenseiter, hatte sich an die Spitze einer Bewegung gesetzt, die kein eigentliches politisches Ziel verfolgt. Sie ist sich lediglich in der Ablehnung des Bestehenden einig. Dieser Anti-Establishment-Kurs ist sachlichen Argumenten kaum zugänglich, er lässt sich von Fakten nicht beeinflussen.

Das politische System in Österreich besteht aus einem Beharrungsmodell. Es ist kaum flexibel und in einer Interessenkoalition begründet, die den verschiedenen eingesessenen Machtsegmenten erlaubt, ihre Besitzstände zu verteidigen. Dagegen rannte Jörg Haider zeit seines politischen Wirkens mit erbitterter Entschlossenheit an. Er, ein Ausgeschlossener, der an den Verteilungsmechanismen der politischen Klasse nicht teilhatte, musste mit aller Kraft versuchen, das System insgesamt aus den Angeln zu heben; ein System, in dem für ihn keine Rolle vorgesehen war.

Im demokratischen Prozess, in dem sich die Kräfteverhältnisse stets nur in einer langsamen Meinungsevolution verschieben können, bot sich ihm keine Erfolgsaussicht, seine ehrgeizigen Ansprüche zu befriedigen. Er musste ein gewagtes Spiel riskieren, alles auf eine Karte - seine Person - setzen und das Machtkartell wie ein Desperado zum Duell fordern.

Haider sammelte Argumente und Anhänger auf der Straße. Jeder war willkommen, den dumpfer Groll oder das österreichische Gelegenheitsrebellentum veranlasste, mit den herrschenden Zuständen zu hadern. Trotz - oder vielleicht sogar gerade wegen - der vielen verbalen und symbolischen Entgleisungen in den Nazismus hatte sich Haider an die Spitze einer erstaunlich ideologiefreien Bewegung gesetzt. Er schrieb all das auf seine Fahne, worüber sich die kritische Masse der Unzufriedenen empörte. Er appellierte, meist im derben Ton eines Stammtischdemagogen, an jedes Ressentiment, das einigermaßen Breitenwirkung versprach. Er formulierte seine Politik nach den Gesetzen der Show: Gib dem Publikum, wonach es giert, und zünde Pointen so rasant, dass kein Augenblick der Leere entstehen kann.

Jörg Haider konnte seinen langen Marsch vom Putsch in der Provinz in das Zentrum der Macht allerdings nicht aus eigener Kraft bewältigen. Er erntete bloß Sturm, wo das österreichische Beharrungskartell versucht hatte, Windstille zu säen. Nun unterscheidet sich Haiders Schaustellertruppe nicht im geringsten von den Akteuren der Staatsbühne, eher im Gegenteil - sie sind noch marktschreierischer und posenbesessener als die Platzhirsche. Doch das blaue Ensemble ist noch nicht der Gauklerei überführt, es sonnt sich noch in der Gnade aller Spätberufenen, die bloß alte Sünden zu denunzieren brauchen, um selbst rein zu erscheinen.

Die letzten Mohikaner dieser Republik klagen nun, dass die Widerstandskraft gegen den rechtspopulistischen Aufmarsch erlahmt sei, sich die einstige Phalanx zu einigen Resistence-Nestern ausgedünnt habe. Wie denn nicht? Apathie steckt an.

Keine der Konstellationen, die nach der Wahlentscheidung vorstellbar wären, gestattet darum einen zuversichtlichen Blick nach vorne. Eine Epoche ist in Österreich jedenfalls zu Neige gegangen - jene des Selbstverständnisses der Zweiten Republik, die in einer unverrückbaren Machtkonstellation das Wohl des Landes erblickte und eine einzige Devise anerkannte: Möglichst lange möglichst jede Entscheidung hinauszuzögern.

Die Frage: Haider integrieren oder ignorieren? ist darum falsch gestellt. Das österreichische Dilemma besteht nämlich gar nicht darin, lediglich die Wahl zwischen zwei oder drei wenig erfreulichen Möglichkeiten zu besitzen, sondern es hat eine Dimension erlangt, in der diese Wahl selbst zu einem absurden Akt geworden ist. Sollte beispielsweise letztendlich doch kein Pakt mit dem blauen Teufel unterzeichnet werden, bedeutete das nicht gleichzeitig, dass die "Stop der Überfremdung"-Parolen ausgedient hätten. Im Gegenteil: Sie wären, wie schon bisher, fester Bestandteil der Regierungspolitik. In einem Land, in dem 87 Prozent einem Zuwanderungsstopp zustimmen, konnte sich solch tiefsitzender Rassismus ausbreiten, dass es wahrlich keines Kanzlers Haider bedürfte, um das Land in weltweiten Verruf zu bringen. Andererseits haben sich die Wendehälse natürlich gehörig den Kopf verdreht, wenn sie meinen, mit dem Ende der rot-schwarzen Gewohnheitsregierung würde ein frischer Wind in der Republik wehen; provinzlerischer Stammtischmief breitete sich aus. Die Verelendung der österreichischen Politik lässt weder eine Reformpartnerschaft zu, noch ein Regierung, in der kein Stein auf dem anderen bleibt, wie Haider einmal versprach.

Österreich, dieser Guiness-Rekordhalter des Paradoxen, ist ein wohlhabender und ein wohlverwalteter Staat, obwohl es eine Regierung hat. Es verfügt nämlich über eine Regierung, die verwaltet und über eine Verwaltung, die regiert. Dieser Verordnungsstaat dürfte sich für absehbare Zeit durch ein Tal der Tränen schleppen. Vielleicht muss Österreich tatsächlich erst von einem Haufen von Monomanen, Skirennfahrern, Theaterdiven, Gigolos, Dorfgendarmen oder Fernsehsprecherinnen regiert werden, bevor es zur Besinnung kommt.

Joachim Riedl ist Chefredakteur des Wiener Nachrichtenmagazins "Format".

Joachim Riedl

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false