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Politik: Sollte ein Parallel-Geheimdienst aufgebaut werden? Wie ein verstecktes Waffendepot sich zur staatspolitischen Krise weitet

Der Mann ist Geheimdienstchef und glaubt an Wunder: "Wenn der Rechtsstaat funktioniert, dann bin ich in zwei Wochen wieder im Amt." Peter Regli steht mit seiner Meinung in der Schweiz so ziemlich alleine da.

Der Mann ist Geheimdienstchef und glaubt an Wunder: "Wenn der Rechtsstaat funktioniert, dann bin ich in zwei Wochen wieder im Amt." Peter Regli steht mit seiner Meinung in der Schweiz so ziemlich alleine da. Am Sonntag hatte ihn sein Vorgesetzter, Verteidigungsminister Ogi beurlaubt - auf Reglis Wunsch. Ogi macht den Berner Agentenchef für ein Schurkenstück im Geheimdienst verantwortlich, das zu einer Krise "mit staatspolitischem Ausmaß" eskaliert ist, wie die "Neue Zürcher Zeitung" schreibt. Inzwischen gerät Verteidigungsminister Ogi selbst unter Beschuss. Die Existenz des Geheimdienstes steht auf der Kippe.

Im Mittelpunkt des Skandals steht Hauptmann Dino Bellasi, ein Lebemann von schneidiger Erscheinung. Am 13. August wurde der 39jährige ehemalige Rechnungsführer im Nachrichtendienst auf dem Zürcher Flughafen verhaftet. Die Behörden warfen Bellasi vor, rund 8,6 Millionen Franken aus der Kasse des Verteidigungsministeriums unterschlagen zu haben. Seine Frau - eine ehemalige Prostituierte und von Bellasi mit Staatsgeldern verwöhnt - wanderte gleich mit in Untersuchungshaft. Der Berner Politbetrieb rümpfte die Nase über die sudelige Agentenstory. Mehr als eine Panne bei der Rechnungsführung schien nicht dahinterzustecken. Am Wochenende ging dann doch noch die Bombe hoch. Der "Sonntagsblick" schreckte mit einem Bericht über ein geheimes Waffenarsenal in Bern die Eidgenossen aus der Wochenendruhe auf. Dino Bellasi hatte Hunderte von Hochpräzisionsgewehre und dazu kistenweise Munition gehortet. Gegenüber der Staatsanwaltschaft hatte der Inhaftierte ausgepackt: Gemäß Order von Geheimdienstchef Peter Regli habe er eine Geheimarmee rekrutieren sollen. Auf der hastig vom Verteidigungsminister einberufenen Pressekonferenz am Sonntagabend stritt Regli jede Verstrickung ab: Bellasi habe ein "enormes, groteskes Lügengebäude" aufgebaut. "Wozu brauchen wir eine Geheimarmee?" fragte Regli. Nach dem Medientreffen musste sich Regli in den Zwangsurlaub begeben. Inzwischen konkretisierte Bellasis Anwalt die Vorwürfe. Sein Mandat habe im Auftrag Reglis einen zweiten, von der Regierung unabhängigen Geheimdienst aufbauen sollen. Warum Bellasi tatsächlich ein Geheimdepot anlegte, bleibt nebulös. Waffenlieferungen an die Mafia oder Terrorgruppen werden nicht ausgeschlossen. Der Version vom harmlosen Waffennarr hingegen gingen die Behörden schon einmal auf den Leim. 1994 hatte Bellasi Erwerbsscheine für 100 Waffen beantragt. Die Ermittler tappten im Dunkeln, begnügten sich schließlich mit der Story vom "Mann, der spezielle Hobbys pflegt". Geschlampt wird auch beim Geheimdienst selbst. "Wer einmal drin ist, wird so gut wie nicht mehr kontrolliert", weiß ein Insider.

Für den obersten Geheimdienstchef, Verteidigungsminister Ogi, wird es jetzt eng. Angetreten war der Ressortchef mit der Parole: "Integrität bis ins letzte Büro." Auf den Nachrichtendienst, von diversen Affären geschüttelt, dürfe nie mehr der Schatten eines Verdachtes fallen. Jetzt mußte er zugeben, von dem verhängnisvollen Waffenarsenal bereits seit Tagen gewusst zu haben. Im Vorfeld des schweizerischen Urnenganges am 24. Oktober ein willkommenes Eingeständnis für Ogis Gegner. Bevölkerung und Parlament würden an der Nase herumgeführt, zischte der Präsident der Christlichen Volkspartei, Durrer. Das Vertrauen seiner Partei in die Führung des Ogi-Ministeriums sei zutiefst erschüttert. Selbst Ogis Parteipräsident Maurer distanzierte sich von der "nicht sehr eleganten" Informationspolitik des Verteidigungsministers. Gleichzeitig werden die Rufe nach einer parlamentarischen Untersuchungskommission immer lauter. Allerdings konnte das bestehende sechsköpfige Kontrollgremium der Volksvertretung den Skandal auch nicht vereiteln.

Jan Dirk Herbermann

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