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Bundeskanzlerin Angela Merkel äußert sich zwei Wochen nach Beginn der Sondierungsgespräche erstmals zum Stand der Verhandlungen.

© Michael Kappeler/dpa

Update

Jamaika-Sondierungen: Merkel und Seehofer zeigen sich optimistisch, FDP und Grüne bleiben skeptisch

Die Kanzlerin hat sich erstmals öffentlich zur Jamaika-Sondierung geäußert. Sie glaubt, die "Enden zusammenbinden" zu können. FDP und Grüne teilen ihren Optimismus nicht.

Zwei Wochen nach Beginn der Sondierungsgespräche über eine Jamaika-Koalition hat sich Kanzlerin Angela Merkel zuversichtlich zu den Erfolgschancen geäußert. In ihrer ersten öffentlichen Stellungnahme zu den Verhandlungen mit CSU, FDP, und Grünen sagte die CDU-Chefin am Freitag in Berlin, sie gehe zwar von weiterhin schwierigen Beratungen aus. „Aber ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbinden können, wenn wir uns mühen und anstrengen.“ Jeder Partner solle dabei seine Identität zur Geltung bringen können, damit daraus etwas Gutes für das Land entstehe. „Die CDU ist jedenfalls dazu bereit“.

Auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer zog ein positives Zwischenfazit, forderte zugleich aber weniger Angriffe der Beteiligten untereinander. Hinter den Verhandlungspartnern liege eine "anstrengende" Zeit, sagte Seehofer am Freitag in Berlin. "Aber wir sind vorangekommen, und ich habe eine gehörige Zuversicht, dass wir auch am Ende zu gemeinsamen Ergebnissen kommen." Insgesamt sei er "eigentlich zufrieden". Jetzt müssten aus den wichtigen Dingen die besonders herausragenden Themen gefiltert werden, sagte Seehofer. Das seien die Themen, die für die Bildung einer möglichen Koalition entscheidend seien. "Das machen jetzt alle Parteien am Wochenende. Wir treffen uns dann am Montagabend, um das nebeneinander zu legen."

Als "große Brocken" nannte der CSU-Vorsitzende die Finanz- und Steuerpolitik, das Thema Migration und Sicherheit sowie den Bereich Klimapolitik inklusive Verkehr und Landwirtschaft. "Das sind sicherlich die drei größten Themenbereiche." Seriös könne aber noch kein Politiker eine Prognose abgeben, ob eine Jamaika-Koalition zustande komme. Es gebe noch "Gewaltiges" zu leisten. Mit Blick auf Streitigkeiten zwischen den Verhandlungspartnern sagte Seehofer, das müsse nun in der nächsten Etappe der Sondierungen nicht wiederholt werden. "Ich bin sehr für politischen Wettbewerb" und Diskussionen, aber "was ich nicht recht verstehe sind persönliche Dinge, wenn sich Personen gegenseitig angreifen oder herabsetzen", fügte der bayerische Ministerpräsident hinzu. "Das sollte man jetzt nicht tun, der Wahlkampf liegt hinter uns." Daran seien so ziemlich alle beteiligt gewesen. "Deshalb können wir auf den Reset-Knopf drücken."

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zeigte sich dagegen deutlich skeptischer als sein Parteichef: Er sieht zwischen den Jamaika-Parteien noch "riesengroße Differenzen". "Es müsste jedem klar geworden sein, dass romantische Gefühle für Jamaika nicht reichen. Es geht darum, dass die Inhalte stimmen müssen", sagte Dobrindt am Freitag vor der neuen Verhandlungsrunde. "Auch wenn das Gesprächsklima gut ist, wird Falsches deswegen noch lange nicht richtig", fügte der CSU-Politiker hinzu. Deswegen gehe es jetzt in den nächsten Tagen darum, die bei vielen Themen aufgeworfenen Fragen zu beantworten. "Nur dann kann eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob Jamaika eine Chance hat oder nicht." Eine Prognose über das Zustandekommen einer Jamaika-Koalition wollte Dobrindt nicht abgeben.

Grüne und FDP deutlich skeptischer als Merkel und Seehofer

Grüne und FDP schlugen skeptischere Töne zum Verhandlungsstand an. FDP-Chef Christian Lindner forderte von der nächsten Etappe der Jamaika-Sondierungen Antworten auf offene Fragen. "Denn wenn man diese Regierung bildet, dann muss sie und soll sie vier Jahre durchtragen", sagte Lindner am Freitag in Berlin. "Und zwar auch in konstruktivem Klima, in dem Probleme gelöst werden und nicht nur verwaltet und besprochen."

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sieht bei den Sondierungen über eine mögliche Jamaika-Koalition noch eine „ganze Reihe großer Brocken“. Sie nannte die Haushalts- und Finanzpolitik, die Migrationspolitik sowie die Klimapolitik mit den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr und Energie. In diesen Punkten gebe es “große Dissense“, sagte die Grünen-Politikerin am Freitag. Es sei nun notwendig, Schwerpunkte zu setzen, um die Sondierungen zu Ende zu führen. Es müsse ein Ergebnis geben, in denen sich alle Parteien wiederfinden könnten und bei dem es gemeinsame Ziele gebe.

Göring-Eckardt, Lindner und Dobrindt äußerten sich kurz vor Beginn einer neuen Sondierungsrunde von Union, FDP und Grünen. Dabei wollen die Parteien eine Zwischenbilanz ihrer bisherigen zweiwöchigen Gespräche ziehen, bevor sie die Verhandlungen in der kommenden Woche fortsetzen. In der ersten Phase sei es nicht darum gegangen, bereits Lösungen für Streitpunkte zu finden, sagte der FDP-Vorsitzende. Jetzt stehe die Aufgabe an, "Brücken zu bauen, Verbindendes und Gemeinsames zu suchen, bei den Themen, die den vier Parteien jeweils wichtig sind". Die Grünen müssten etwa die Frage beantworten, wie sie deutsche Kohlekraftwerke abschalten wollten, ohne Strom aus Polen oder Frankreich importieren zu müssen.

Bei Migration und Klimaschutz liegen die Verhandler weit auseinander

In ihrem Statement vor der Sitzung sagte Merkel, es habe sich bisher gezeigt, „dass der Angang der einzelnen Partner unterschiedlich ist, aber dass uns natürlich auch Dinge gemeinsam leiten“. Ihr Leitmotiv für die weiteren Verhandlungen sei, „dass wir heute dafür die Voraussetzungen schaffen, dass wir auch in zehn Jahren noch gut in Deutschland leben können“. So ähnlich lautete auch der Wahlkampfslogan der CDU: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“

Als wichtigste Themen nannte Merkel Beschäftigung, „gute Arbeit“, soziale und innere Sicherheit, Integration und die Erfüllung internationaler Verantwortung, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Fluchtursachen. Für die CDU seien Familie und Bildung besonders wichtig. Die Kanzlerin kam am Freitag zunächst mit CSU-Chef Horst Seehofer, FDP-Chef Christian Lindner und dem Grünen-Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt zusammen. Danach versammelte sich das große Sondierungsteam zu einer mehrstündigen Sitzung.

Bis Donnerstagabend hatten die Parteien alle Themenblöcke für eine mögliche Jamaika-Koalition mindestens einmal beraten. Allerdings liegen sie auf vielen Politikfeldern noch weit auseinander - unter anderem bei der Migrations- und der Klimaschutzpolitik. In den kommenden zwei Wochen sollen die Sondierungen so weit abgeschlossen werden, dass die Parteien über einen Eintritt in formelle Koalitionsverhandlungen entscheiden können.

Die Zwischenbilanz des Grünen-Politikers Jürgen Trittin fiel negativ aus. „Wir haben zehn Tage zusammen gesessen. Zwölf Themen. Das Ergebnis sind acht Papiere mit langen Listen von Dissensen, also zu klärenden Fragen“, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“. „Und in vier Bereichen hat man es nicht mal geschafft, sich darauf zu verständigen, worüber man sich nicht einig ist.“ Diese Meinungsunterschiede in den nächsten zwei Wochen abzuarbeiten, sei ein "schon sportives Programm". Trittin äußerte den Eindruck, die CDU wolle offenbar möglichst lange geschäftsführend in der Regierung bleiben. Er frage sich, ob Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel klar sei, dass sie auf die Grünen in zentralen Punkten zugehen müsse, um eine neue Regierungskoalition zu erreichen.

FDP-Generalsekretärin: Chancen bei 50:50

FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sieht die Chancen einer Jamaika-Koalition nach rund zwei Wochen Sondierung bei 50:50. „Wir haben erste Ansätze gefunden für Gemeinsamkeiten, aber wir werden ab nächster Woche bei den Konfliktherden in die Details gehen, um auszuloten ob es auch möglich ist, die Brücke auch fertig zu bauen“, sagte sie im Bayerischen Rundfunk. So lägen etwa FDP und Grüne bei den Themen Asyl und Einwanderung noch weit auseinander. Als "Problem" benannte Beer, "dass wir auf Seiten der Grünen oft erlebt haben, dass sie nach den Verhandlungen die Zwischenstände anders kommentiert haben als das, was zwischen den vier Partnern abgesprochen war."

Bayerns FDP-Chef Albert Duin zeigte sich dagegen extrem skeptisch. „Ich sehe kaum eine Chance. Jamaika ist eine Totgeburt“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitag). „Der ideologische Hypermoralismus der Grünen macht jede Form einer gemeinsamen Regierungsbildung unmöglich.“

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther von der CDU zeigte sich zuversichtlich, dass die Sondierungen wie geplant in den kommenden zwei Wochen abgeschlossen werden können. Die rheinland-pfälzische CDU-Landeschefin Julia Klöckner sagte, bisher seien die Verhandlungen „durchwachsen gut“ gelaufen. „Manchmal geht es drei Schritte vor, dann wieder zwei zurück“, sagte sie.

SPD-Chef Martin Schulz warf Union, FDP und Grünen Selbstbezogenheit und Ignoranz gegenüber den Problemen der Menschen vor. „Alle Beteiligten kreisen mit großer Eitelkeit nur um sich selbst und inszenieren ein unwürdiges Schauspiel zwischen royalen Balkonbildern und angeblichem Streit“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Verlierer sind die Menschen in Deutschland, weil es sichtbar bei den Gesprächen nicht um ihre Interessen geht“, beklagte er. (AFP, dpa)

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