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In der Parlamentarischen Gesellschaft direkt neben dem Reichstag rangen CDU und SPD um gemeinsame Positionen - mit Erfolg, wie es scheint.

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Sondierung, Streit und Versöhnung: Amtsverhandlung auf dem Weg zur großen Koalition

Es wächst ein Vorrat an Gemeinsamkeiten für eine große Koalition. Dabei hätte es zwischen CDU und SPD auch schief gehen können. Schwarz-Grün wurde als Option immer schöner, sogar für Horst Seehofer. Es gab da diesen Moment am Verhandlungstisch.

Dieser frische Wind! Er fegt durch die Straßen, in die Bäume, mit einer Kraft, dass sich sogar die Blätter neu sortieren. Vor den Gebäuden, den wuchtigen, imposanten, majestätischen im Regierungsviertel liegen sie wie Teppiche, vereinzelt scheinen manche grünen blässlich und manche leicht rötlich. Politische Illumination der Sonne, die sich ihren Weg bahnt.

In der Parlamentarischen Gesellschaft, dem Bundestag gegenüber gelegen, früher das Reichstagspräsidentenpalais, sind heute die Vorhänge aufgezogen. Keiner muss sich dahinter verbergen, keine Miene dahinter der Ausdeutung entzogen werden; heute ist alles offen. Auch der Ausgang.

Die Türen sind offen. Keiner muss daran rütteln wie vor kurzem noch Sigmar Gabriel, als er in die Gesellschaft Seit an Seit mit seinen Genossen zum ersten Sondierungsgespräch mit den Unionsparteien einziehen wollte. Welch ein Bild: Gabriel will da rein … Aber er ist kein Gerhard Schröder, der an den Gitterstäben des Kanzleramts rüttelte und dabei rief „Ich will da rein“, damals, lang ist es her, im vorigen Jahrhundert in Bonn. Schröder ist ja auch schon wieder draußen.

Damals wie heute ist das Kanzleramt fest in den Händen der CDU

Gabriel ist geduldig, geduldiger geworden, und er rüttelt nicht, weder da noch dort. Geschichte wiederholt sich zwar nicht, diese allerdings lehrt etwas. Damals wie heute ist das Kanzleramt fest in den Händen der CDU, und damals wie heute kommt die SPD erst da rein, wenn die Deutschen es wollen, wenn sie den oder die, die da drin sitzen, nicht mehr wollen. Das kann dauern. Erfahrungsgemäß. 25,7 Prozent von gut 71 Prozent bei der jüngsten Bundestagswahl sind nicht die Mehrheit, bei Weitem nicht.

Am Anfang wollte die SPD das noch nicht so richtig verstehen. Da trat sie auf, im ersten Gespräch mit den 14 von der Union war das, als hätte sie eine Art sozialer Ungerechtigkeit dorthin verschlagen. Die Laune war entsprechend, ihre Laune. Die der Union, voran die der Kanzlerin, war logischerweise anders. Ihr Experiment war aufgegangen, keine Experimente anzubieten, ein vertrautes Gesicht. Wohltemperiert, könnte man bei ihr sagen. „Sie kennen mich“, wir Deutsche kennen sie, und man kennt einander bei Union und SPD.

Schwarz-Grün wurde als Option immer schöner

Es hätte schiefgehen können. Die Grünen sind ja doch noch da. Politisch leicht blässlich, das schon, aber mit ihnen zu sprechen war schon nicht lässlich. Die SPD hätte noch einmal verlieren können, nicht nur das Gesicht als politische Profis, die regieren können, regieren könnten. Ganz knapp war es. Schwarz-Grün wurde als Option immer schöner. Sogar für Horst Seehofer, den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden, der vorher wenig bis nichts davon wissen wollte.

Als Innenminister Hans-Peter Friedrich beim Treffen mit den Grünen auf CSU-Seite die Forderung nach der doppelten Staatsbürgerschaft als das größte Problem beschrieb, überfuhr ihn Seehofer. Rücksichtslos, wie er am Tisch sein kann, sagte er „für die ganze CSU“, dass das kein Hinderungsgrund sein müsse. Der bayerischen Schwäbin Claudia Roth, noch Parteichefin der Grünen, blieb erst der Mund offen stehen, ehe sie ein Wort der Überraschung fand. Und sie ist um Worte für gewöhnlich nicht verlegen.

Aber es war auch keine gewöhnliche Situation. Eine Auszeit der Grünen, um sich in der Sondierung mit den Schwarzen noch einmal intern zu beraten, geriet länger und länger, so dass Cem Özdemir zwischendurch bei ihnen um Verständnis bat. Da brauchte er nicht lange zu bitten. Angela Merkels Vize im Parteiamt, Thomas Strobl, Julia Klöckner, Armin Laschet, allesamt CDU-Länderchefs, hatten schon vorab ihre Sympathien bekundet. Aber auch die anderen, auf die es ankommt, hatten nichts dagegen, Volker Kauder, der Fraktionschef, Wolfgang Schäuble, Volker Bouffier aus Hessen, der selbst an eine schwarz-grüne Regierungsoption denkt. Selbst er!

Da war dieser Moment, der an dem Abend länger und länger wurde

Vielleicht war es in diesem Fall so: Ist Ablehnung gesichert, fällt Zustimmung umso leichter. Denn die Grünen hatten vorab ja doch schon einiges erklärt. Und geklärt. So zum Beispiel, dass ihr Wahlergebnis von etwas mehr als acht Prozent ihrer Kernwählerschaft zu danken sei, und die ist in der Mehrheit links. Das verträgt sich schwer mit Schwarz-Grün. Und doch, da war dieser Moment, der an dem Abend länger und länger wurde. Wenn da einer bei den Grünen mehr als das Abgeordnetenmandat gehabt hätte, nämlich das Mandat, die Abordnung und mit ihr die Partei zu führen, dann … Die Grünen kamen danach gesammelt zurück, nur der Moment ging vorbei.

Der Vorrat an Gemeinsamkeiten wächst

In der Parlamentarischen Gesellschaft direkt neben dem Reichstag rangen CDU und SPD um gemeinsame Positionen - mit Erfolg, wie es scheint.
In der Parlamentarischen Gesellschaft direkt neben dem Reichstag rangen CDU und SPD um gemeinsame Positionen - mit Erfolg, wie es scheint.

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Und jetzt ist die SPD wieder da. Nicht das erste Mal, nicht wie beim ersten Mal. Da wollten deren starke Regierungschefs vor allem, so schien es, erst einmal sehen, ob sie nicht Kasse machen könnten für ihre Länder. So sehr, dass sich die Kanzlerin veranlasst sah, darauf hinzuweisen, dass eine Bundestagswahl stattgefunden habe und es darum gehe, eine Regierung für den Bund zustande zu bringen! Tatsächlich war es wie ein Aufruf zu verstehen. Das haben alle gehört, gemünzt war es nicht zuletzt auf Olaf Scholz aus Hamburg und Hannelore Kraft aus Düsseldorf. Ein klein wenig wahrscheinlich auch auf Stanislaw Tillich aus Dresden. Der ist aus der CDU, regiert in Sachsen und hat besonders dessen Wohl im Blick. Eine kleine schwarz-rot Länderkoalition hatte sich schon gebildet, gewissermaßen.

Wer dann mit wem aneinandergeriet, ist bekannt. Mit der Kraft der Überzeugung, dass es aber doch gemeinsam zu schaffen sein könnte, zueinander zu finden, ging es dann weiter. Heiter weiter. Sogar Alexander Dobrindt lachte und widersprach nicht, als er auf die Versöhnung mit Kraft angesprochen wurde.

Der Ton wird versöhnlicher

So ist denn der Ton insgesamt versöhnlich geworden. Gabriel, Scholz und Kraft, sie haben sich für die Union in der SPD als die herausgestellt, auf die es in besonderer Weise ankommt. Der wiedergewählte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat keine von außen erkennbare Rolle, er hält sich, für manche überraschend, für andere weniger, in der Sondierungsphase mit der Union zurück. Der nicht gewählte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auch, weitgehend, bis auf ein Mal, als er seinem Nachfolger im Amt des Finanzministers zustimmt. Da geht es um „vernünftige“ Finanzpolitik und wo sie welchen Spielraum eröffnet: für gute Arbeit schon, aber bestimmt keinen bei der Auslegung der Schuldenbremse. Keine Neuverschuldung bedeutet null Neuverschuldung, das findet nicht nur Wolfgang Schäuble. Null ist für die gesamte Union nicht 0,35 Prozent mehr.

Nun wächst über alle mählich ein Vorrat für Gemeinsamkeiten. Vor allem eben deshalb, weil der Haushalt in Ordnung ist. Dass sich die Ausgaben des Bundes über eine Legislaturperiode nicht erhöhen, das hat es noch nie gegeben; eine strukturelle Ersparnis von acht Milliarden Euro auch noch nicht. Das hat Schäuble der Unionsfraktion vor der Wahl erklärt, und das ist nach der Wahl als Grundlinie geklärt. Dazu passen der finanzpolitische Rahmen und das Herbstgutachten wie gemacht für weitere Gemeinsamkeit.

Guten Lohn für gute Arbeit und mehr für die Rente

Sie werden jetzt weiter beraten mit den Sozialdemokraten, verhandeln, aushandeln, Inhalte und Ämter. Die SPD hat ihren Preis benannt, sie will nicht billig zu haben sein. Sie erwartet guten Lohn für gute Arbeit, weil das mindestens sieben Millionen Menschen zugutekommt. Mehr für die Rente will sie auch, und damit ist die Zeit des Taktierens vorbei, wenn die des Regierens kommen soll. Wer für sie regieren soll? Allein schon die Frage ist verboten. Denn das muss die SPD nach den Inhalten erst einmal untereinander aushandeln.

Aber der Wind, den einige machen, trägt denen, die draußen vor der Tür warten, manche Nachricht zu. Sechs Ministerien, wie der Chef der „Seeheimer“ bei den Sozialdemokraten, Johannes Kahrs, fordert – das findet sofort Widerspruch. Aus den eigenen Reihen. Es ist doch nicht einmal klar, ob beispielsweise ein Frank Steinmeier überhaupt in die Regierung wechseln oder nicht doch lieber Fraktionschef bleiben will. Das behaupten nämlich manche. Dass er mit seiner Erfahrung auf vielen Posten, im Kanzleramt, im Außenamt, Finanzminister werden könnte, bestreitet keiner.

Nur ist es halt so, dass auch die Union ihre Preise hat. Sie bemessen sich an ihrem Abschneiden bei der Wahl: Es war ein klarer Sieg. Auch dank Wolfgang Schäuble, der Spitzenkandidat der sehr erfolgreichen CDU in Baden-Württemberg war. Erfolgreich auch im Blick auf SPD und Grüne. Und die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende hat bei den Baden-Württembergern längst erkennen lassen, dass sie doch schon auf Schäuble in diesem Amt Wert legt. Was alle als deutliche Wertschätzung verstanden haben, alle, die jetzt auch verhandeln werden.

Vielleicht nur noch nicht jeder draußen. Wie auch nicht jeder erkannt hat, dass über die Inhalte für die SPD noch anderes zu holen ist. Ein Wirtschaftsministerium womöglich, das der Energiewirtschaft und der Infrastruktur in Deutschland aufhilft; das nebenbei die SPD mit dem DGB zusammenbringt, der mit vielen, allen Mitteln eine Deindustrialisierung verhindern will. Dazu als Ministerium das für Arbeit und Soziales – das passte als Rahmen für Gemeinsamkeit auch wie gemacht. Für staatstragende Gemeinsamkeit, wie sie die Antipoden Hannelore Kraft und Alexander Dobrindt auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft vor dem nächsten Konvent, dem der SPD, schon demonstriert haben: die Hand drauf.

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