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© dpa, bearbeitet von Tsp

Sorgerecht: Vater sein dagegen sehr

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat die Rechte lediger Väter in Deutschland gestärkt. Warum war das nötig?

In der langjährigen rechtspolitischen Diskussion um das Sorgerecht für nichteheliche Kinder hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein Machtwort gesprochen: Ledige Väter werden in Deutschland diskriminiert. Sie müssen sich das Sorgerecht vor Gericht erstreiten können dürfen.

Wie sieht das Sorgerecht bisher aus?

Seit der Reform des Kindschaftsrechts 1998 steht das Sorgerecht bei Verheirateten automatisch Vater und Mutter zu, bei Unverheirateten muss sich die Mutter schriftlich mit der gemeinsamen Sorge einverstanden erklären. Tut sie es nicht, gilt eine besondere Art des Mutterschutzes: Sorgerechtsklagen der Männer sind aussichtslos. Eheleute können sich im Fall ihrer Trennung vor Gericht wie die Besenbinder streiten. Dem unverheirateten Vater bleibt dagegen oft nur ein Umgangsrecht.

Welche Gründe hat das Urteil?

Zunächst: Die Europarichter hatten einen Einzelfall zu beurteilen. Ihre daraus abgeleitete Kritik daran hat aber grundsätzlichen Charakter. Die Bundesrepublik ist nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verpflichtet, den Urteilen Folge zu leisten, bis hin zu neuen Gesetzen. Der Gerichtshof räumt ein, die deutsche Regelung solle gewährleisten, dass das Kind ab seiner Geburt eine Person hat, die klar als gesetzlicher Vertreter handeln kann. Konflikte würden vermieden. Damit verfolge man ein legitimes Ziel. Auch könne es stichhaltige Gründe geben, dem Vater die Mitsorge abzusprechen. Im vorliegenden Fall habe sich der Vater aber um sein Kind gekümmert.


Wer hat entschieden?

Eine kleine Kammer des Gerichtshofs mit Richterinnen und Richtern aus Dänemark, Tschechien, Liechtenstein, Monaco, Mazedonien und Estland – und Deutschland. Richter Bertram Schmitt stimmte als einziger gegen das Urteil und schrieb ein Sondervotum. Er trat dafür ein, den Deutschen ihre Regeln zum Sorgerecht für nichteheliche Kinder zu erhalten. Dies sei besser als per Gerichtsbeschluss „erzwungene Harmonie“.

Wie lief der Fall in Deutschland?

Richter Schmitt war eigentlich nur eingesprungen. An seiner statt hätte die deutsche Richterin am EGMR, Renate Jaeger, ein Votum abgeben müssen. Doch Jaeger hatte einen Grund, sich fernzuhalten: Sie war Verfassungsrichterin in Karlsruhe, als dieser konkrete Fall 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wurde. Nun galt sie als befangen. Karlsruhe ließ die Regeln damals passieren, regte die Politik aber an, die Lebenswirklichkeit der unehelichen Eltern zu beobachten. Dennoch gab es viel Kritik. Das Urteil zementiere ein althergebrachtes Rollenbild, hieß es. Der EGMR widersprach jetzt ausdrücklich dem Verfassungsgericht, ein gemeinsames Sorgerecht gegen den Willen der Mutter laufe dem Kindeswohl zuwider. Prozesse könnten auf Kinder zwar verstörend wirken, dies gelte aber auch für Verheiratete, die ums Sorgerecht stritten.


Wer ist der Kläger?

Horst Zaunegger lebt in Pulheim bei Köln und kämpft seit acht Jahren darum, mitreden zu dürfen im Alltag seiner 1995 geborenen Tochter. Schule, Arzt, Geldangelegenheiten, Aufenthalt, all das, wo das normale Umgangsrecht endet. Zaunegger wohnte mit seiner Partnerin unter einem Dach, als die Tochter zur Welt kam, drei Jahre später ging die wilde Ehe zu Bruch. Noch einmal drei Jahre später zog die Mutter weg. Zaunegger klagte sich durch die Instanzen und verlor. Es steht ja im Gesetz, dass er verlieren musste.

Welche Probleme hat die Politik?

Moralisch, rechtlich, lebenspraktisch – es bleibt eine vertrackte Situation. Die EGMR-Richter hatten es jetzt vergleichsweise einfach, sie hatten den Einzelfall Zaunegger zu beurteilen. Aber ein Gesetzgeber muss die Fälle typisieren, Wertungen vornehmen, Schwächere schützen; er ist kein Gericht, er muss die Probleme nicht einschätzen, wenn sie da sind, er muss sie voraussehen. Wenn das Sorgerecht nichtehelicher Eltern jetzt neu geregelt werden muss, kann es beim Vorzug der Mutter bleiben – nur eben nicht mehr mit jener Ausschließlichkeit, die bisher statuiert wurde.

Wie viele Väter betrifft das Urteil?

So genau ist das nicht zu ermitteln. Schließlich raten Anwälte bisher von Klagen wegen der geringen Erfolgsaussichten für unverheiratete Väter ab. Aber über die Geburt und die Zahl der nichtehelichen Kinder in Deutschland kann man sich nähern. Im Jahr 2008 wurden laut Statistischem Bundesamt 218 887 nichteheliche Kinder in Deutschland geboren, 1993 waren es noch 118 284 – Tendenz weiter steigend. Die meisten davon werden in den alten Bundesländern zur Welt gebracht. 2008 waren es dort 141 864. Allerdings wächst nicht jedes Kind, das unehelich geboren ist, auch unehelich auf. Sprich: Viele Paare heiraten erst, nachdem sie ein Kind bekommen haben. Etwas genauer ist der Blick auf die Zahl nichtehelicher Kinder. Im Jahr 2008 lag sie laut Mikrozensus bei 12 360 (Kinder bis zu 18 Jahren). Die größte Altersgruppe bilden dabei die Zehn- bis 15-Jährigen (3425). Bei den unter Dreijährigen sind es 1538.

Wie ist das Sorgerecht in anderen Ländern geregelt?

In Europa geht jedes Land seinen Weg. Ungarn, Irland und Monaco zwingen die Eltern zusammen. In Österreich, Norwegen und Serbien sorgen sie auch zusammen, aber jeder Partner hat in Einzelfragen ein Veto. Andere Länder haben dazu keine Gesetze, sondern nur Urteile. Eine Gemengelage, die aber nach Ansicht des EGMR vielfach in einer Grundentscheidung münden: Das Wohl des Kindes kommt zuerst, und der Vater hat ein Recht, seinen Fall prüfen zu lassen.

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