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Sozialstaat: Für Langzeitarbeitslose lohnt sich Arbeit kaum

Die OECD kritisiert ein falsches deutsches Anreizsystem für Arbeitslose – aber nicht die Transfers sind zu hoch, sondern die Erwerbseinkommen zu gering.

Berlin - Langzeitarbeitslose haben hierzulande einen geringeren finanziellen Anreiz als in anderen westlichen Ländern, sich einen Job zu suchen, von dem sie leben können. Eine neue Stelle muss mehr als 60 Prozent des Durchschnittslohnes einbringen, damit Alleinerziehende oder Alleinverdiener mit jeweils zwei Kindern mehr Geld im Monat haben, als wenn sie Sozialtransfers beziehen. Das geht aus einer Studie hervor, die der Industrieländer-Verband OECD am Donnerstag in Paris vorgestellt hat. Zudem liegen die Bezüge für Arbeitslose aus dieser Gruppe über dem internationalen Schnitt.

Ein Arbeitsloser muss mit einer neuen Stelle nach OECD-Berechnungen also auf mindestens 2140 Euro brutto kommen, damit Arbeit attraktiver wird als die Sozialhilfe. „Das liege nicht an zu großzügigen Hartz-IV-Sätzen, sondern an der vergleichsweise niedrigen Erwerbseinkommen und der hohen Steuer- und Abgabenbelastung für Niedrigverdiener“, sagte der OCED-Experte Herwig Immervoll. Mit anderen Worten: Wer in Deutschland eine gering bezahlt Arbeit annimmt, darf nur einen kleinen Teil des zusätzlichen Einkommens behalten. „In anderen Ländern ist der kritische Punkt, ab dem sich Arbeit auszahlt, wesentlich früher erreicht“, sagte Immervoll weiter.

Der Ökonom schlug daher vor, die Zuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose zu ändern. So könnten etwa die Freigrenzen bei Steuern und Abgaben erhöht werden, damit den Betroffenen mehr Netto vom Brutto bleibt. Alternativ könne die Förderung an die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden gekoppelt werden – dadurch stiege der Anreiz, länger als nur ein paar Stunden pro Woche zu arbeiten. Im Gegenzug könne man die Regelungen für Mini- und Midijobs für Einkommen von bis zu 800 Euro im Monat verändern, bei denen für Steuern und Sozialabgaben nur eine Pauschale fällig wird. „Minijobs kommen vor allem bessergestellten Haushalten zugute, bei denen etwa die Ehefrau ein paar Euro dazuverdient.“

„Einige OECD-Länder schaffen es, eine relativ großzügige finanzielle Absicherung mit hohen finanziellen Anreizen zur Arbeitsaufnahme zu kombinieren“, befand Immervoll. Ein besseres System gebe es etwa in Irland, wo sich dank eines Kombilohnmodells deutlich schlechter bezahlte Jobs lohnten. Auch in Schweden oder Frankreich seien die Regelungen günstiger. Hier könnten Arbeitslose schon durch relativ geringe Verdienste ihr Gesamteinkommen aufbessern.

Die finanzielle Absicherung von Arbeitslosen in Deutschland ist nach OECD-Angaben insgesamt auf dem internationalen Durchschnitt, im europäischen Vergleich indes geringer als der Mittelwert. Es kommt allerdings auf den Einzelfall an: Familien mit Kindern oder Alleinerziehende sind besser gestellt als Singles oder kinderlose Paare – die liegen zum Teil deutlich unter dem Schnitt.

Auch das Einkommen vor dem Verlust des Jobs spielt eine Rolle. Ein Alleinverdiener mit Kindern, der zuvor durchschnittlich verdient hatte, bekommt 72 Prozent des letzten Nettolohns. Kam die gleiche Person zuvor nur auf einen geringen Verdienst, liegt das Transferniveau sogar bei 78 Prozent.

Nach fünf Jahren ohne Job hat sich die Situation geändert: Der ehemalige Durchschnittsverdiener kommt dann auf 63 Prozent des letzten Lohns, der Geringverdiener sogar auf 80 Prozent. Bei Alleinerziehenden sind die Größenordnungen ähnlich.

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