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Politik: „Sozialstaat ist nicht nur für Arme“

Norbert Blüm missfällt an der CDU, dass heute das Neoliberale dominiert

Die CDU wird 60. Was ist noch von der Ursprungspartei geblieben?

Es wäre ein Zeichen von Verkalkung, wenn sie sich nicht verändert hätte. Aber es wäre auch ein Zeichen von Flucht, wenn sie mit der Gründungspartei nichts mehr zu tun hätte. Begonnen hat die CDU mit der originellen ideengeschichtlichen Symbiose von liberal, konservativ und christlichsozial. Heute dominiert das Liberale in seiner neoliberalen Degenerationserscheinung. Dessen Programm ist in drei Worten enthalten: Kostensenkung, Deregulierung, Privatisierung. Aber ich bin ein geborener Optimist. Eine Globalisierung, die als Olympiade veranstaltet wird nach dem Motto „Wer produziert am billigsten?“, das werden sich die Leute nicht gefallen lassen.

Die CDU hat das Soziale verloren?

Das ist keine Spezialkrankheit der CDU, der Virus hat sich in allen Parteien eingenistet. Das hat auch historische Gründe. Solange der Sozialismus der große Konkurrent war im Ost- West-Gegensatz, solange war der Sozialstaat Legitimationsgrundlage für das westliche System. Aus dem Zusammenbruch des Sozialismus ziehen jetzt manche den fatalen Schluss, man könne den Kapitalismus von der Kette lassen. Aber das ist nicht die Zukunft. Die neoliberale Vorhut ist schon die Nachhut, sie hat’s nur noch nicht gemerkt.

Kardinal Meisner sagt, das „C“ passt nicht mehr zur CDU.

Ich habe das C im Parteinamen nie als Monopolanspruch auf christliche Politik verstanden. Das ist mehr Maßstab, an dem wir uns orientieren müssen. Auch die christliche Soziallehre sagt mir nicht, wie die Rente organisiert werden muss. Sie ist kein Rezeptbuch, aber sie hat unverrückbare Grundsätze. Etwa den, der etwas in Vergessenheit geraten ist: Der Starke schützt den Schwachen.

Wie optimistisch sind Sie, dass sich die CDU wieder stärker dem Grundgedanken der sozialen Marktwirtschaft zuwendet?

Ich kann’s ihr nur raten. Ich bin dafür, dass die CDU gewinnt. Aber mit Schröder hoch zwei ist sie bald dort, wo der jetzt auch ist. Was würden Sie mit einem Arzt machen, der Ihnen Tabletten gegen Fieber gibt, und die Temperatur steigt weiter? Sie würden ihn wechseln. Ich höre dauernd, der Sozialstaat müsse sich auf die Armen konzentrieren. Mein Sozialstaat muss auch die Fleißigen und Sparsamen belohnen. Hartz IV ist das Gegenteil. Der Maurer, der 40 Jahre auf dem Gerüst gestanden hat und arbeitslos wird, ist in kurzer Zeit im selben Status, als hätte er sein Leben lang gesoffen. Das verletzt.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

Norbert Blüm (69) war einst das „soziale Gewissen“ der CDU. Der frühere Arbeitsminister prägte bis 1998 die Gesundheits- und Rentenpolitik der Partei. Heute ist er nicht mehr mehrheitsfähig.

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