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Spähangriffe: Der Staat will wachsam sein – auch im Wohnzimmer

Die BKA-Novelle ermöglicht die Videoüberwachung sogar in Räumen Nichtverdächtiger. Einzelne Politiker sehen die Balance der Güter Freiheit und Sicherheit gefährdet. Doch Verfassungsrechtler halten Klagen für aussichtslos.

Von
  • Frank Jansen
  • Michael Schmidt

Monatelang haben Politik und Medien kaum Notiz von ihr genommen – dabei stand die Klausel zur Videoüberwachung von Wohnungen Terrorverdächtiger schon in den Entwürfen des Bundesinnenministeriums zur Änderung des BKA-Gesetzes aus dem vergangenen Sommer. Die öffentliche Diskussion über die Gesetzesnovelle aber wurde allein von den Online-Durchsuchungen bestimmt. Jetzt, nachdem sich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) auf den Entwurf zur Ausweitung der BKA-Kompetenzen verständigt haben, streiten die Angehörigen der Koalitionsparteien wieder um die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit.

Im Zentrum der Querelen um den „Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ steht Paragraf 20h. Dort heißt es, das BKA könne „zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert“ durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen „Lichtbilder und Bildaufzeichnungen“ über einen Terrorverdächtigen herstellen. Mit anderen Worten: Beamte des BKA sollen nicht nur eine Wohnung betreten und Wanzen anbringen dürfen, sondern auch Minikameras, die eine terrorverdächtige Person filmen, auch in den Wohnungen unbescholtener Bürger, wenn die Verdächtigen dort verkehren. Bei der Beweissicherung außerhalb von Wohnungen darf das BKA bis zu drei Tage ohne richterliche Genehmigung heimlich filmen. Spähangriffe innerhalb von Wohnungen dürfen nur auf Antrag von einem Gericht angeordnet werden. Ist Gefahr im Verzug, reicht es, wenn der Richter im Nachhinein zustimmt. Der Spähangriff ist auf einen Monat befristet, doch Verlängerungen sind zulässig. Wie beim Lauschangriff müssen die Beamten auch beim Filmen den „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ respektieren.

Der Computer ist besser geschützt als die Wohnung

FDP-Politiker Gerhart Baum setzt nun auf die Abgeordneten im Bundestag: Als Gesetzgeber müssten sie sich fragen, „ob die Einbuße an Freiheit in einem angemessenen Verhältnis zum Gewinn an Sicherheit“ stehe. Er könne in dem Entwurf nur einen „weiteren Schritt auf der Rutschbahn der sicherheitspolitischen Aufrüstung in den Präventivstaat zulasten der Freiheit“ sehen. Sollte der Entwurf Gesetz werden, behalte er sich vor, dagegen zu klagen.

Christian Graf von Pestalozza, Verfassungsrechtler von der Freien Universität in Berlin, macht ihm allerdings nicht allzuviel Hoffnung: „Die prinzipielle Entscheidung wird man nicht kippen können.“ Artikel 13 des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiere, biete keine Handhabe. Denn: Artikel 13 Absatz 3 erlaube bei der Verfolgung schwerer Straftaten den Einsatz technischer Mittel – wenn auch nur zur akustischen Wohnraumüberwachung. Und Artikel 13 Absatz 4 erlaube zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit sogar den, wie Pestalozza sagt, „unbegrenzten“ Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen: „Ob mit Wanze oder mit Kamera – die einzige Beschränkung bei präventiven Maßnahmen liegt in dem Gebot der Verhältnismäßigkeit der Mittel“.

Warum das Verfassungsgericht im Februar dennoch das Eindringen in Wohnungen zur Installation von Überwachungsprogrammen für Online-Durchsuchungen verboten hat? Für das Urteil, sagt Pestalozza, bezogen sich die Karlsruher Richter nicht auf Artikel 13 des Grundgesetzes, sondern schufen extra das neue Grundrecht auf „Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme“. Das heißt, sagt der Verfassungsrechtler, „sie haben den Computer stärker geschützt als die Wohnung“.

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