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Schwanger

© dpa

Spätabtreibung: Parlamentarier streiten sich

Wie ist Schwangeren am besten beizustehen, die mit der Diagnose fertig werden müssen, dass ihr Kind behindert sein könnte? Über die Frage wie lang die Bedenkzeit und ob eine Beratung verpflichtend sein sollte, will der Bundestag am Mittwoch entscheiden.

Vorgeburtliche Untersuchungen sind heute eine Selbstverständlichkeit. Stolz werden 3D-Ultraschallfotos im Bekanntenkreis herumgezeigt. Doch für manche werdenden Eltern endet der Gang in die Praxis des Spezialisten mit einem Albtraum. Dann nämlich, wenn der Arzt nicht die erhoffte Entwarnung geben kann, sondern mitteilen muss, dass das ungeborene Kind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gesund auf die Welt kommen wird.

Und auch wenn sich wohl kein Paar die Entscheidung leicht macht: Immer häufiger wird in diesen Fällen ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen, auch dann, wenn das Kind trotz Krankheit durchaus lebensfähig wäre. Nach Schätzungen des Vereins Lebenshilfe, einem der größten Behindertenverbände in Deutschland, werden beispielsweise 90 Prozent aller Föten, bei denen das Down-Syndrom diagnostiziert wird, abgetrieben.

Ein Abbruch, weil das Kind behindert sein könnte, das ist in Deutschland im Prinzip noch bis kurz vor der Geburt möglich. Ab der 22. Schwangerschaftswoche spricht man von Spätabtreibungen. Zu diesem Zeitpunkt wären die Kinder außerhalb des Mutterleibes schon lebensfähig.

Nur dem Gewissen verpflichtet

Es sind vor allem diese Fälle, die in Deutschland die Politik auf den Plan gerufen haben. Schon im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD sich vorgenommen, in dieser Frage aktiv zu werden. Nach vierjährigem Streit wird nun an diesem Mittwoch im Bundestag doch noch eine Entscheidung fallen.

Nicht um ein Verbot geht es dabei, sondern um die Frage wieviel Bedenkzeit eine solch schwerwiegende Entscheidung erfordert und wieviel Beratung den werdenden Eltern angeboten werden soll. Den Fraktionszwang haben die Parteien in dieser wie in anderen Entscheidungen, wo es um grundlegende Fragen von Leben und Tod geht, aufgehoben. Nur ihrem Gewissen sind die Abgeordneten verpflichtet.

Dementsprechend bunt ist die Gruppe, die den Antrag mit den besten Erfolgsaussichten eingebracht hat. Der erzkonservative CSU-Familienpolitiker Johannes Singhammer gehört ihr an, aber auch die SPD-Parteilinke Andrea Nahles, die, was weniger bekannt ist, bekennende Katholikin ist, unterstützt das Papier. Auch Grüne- und FDP-Politiker gehören zu den Unterzeichnern. Geht es nach dieser Gruppe soll die Feststellung der medizinischen Indikation durch den Arzt - das ist die Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung nach der zwölften Schwangerschaftswoche - künftig frühestens drei Tage nach der Diagnose möglich sein. Drei Tage, in denen die Eltern Zeit haben, sich über die veränderte Situation klar zu werden.

Große Teile der SPD wollen keine Änderung

Der Arzt wiederum soll verpflichtet werden, die Eltern nicht nur selbst zu beraten sondern auch an spezialisierte Beratungsstellen zu vermitteln. Annehmen müssen die Eltern das Angebot nicht. Kommt es am Ende aber zu einem Abbruch, soll allerdings dokumentiert werden, dass der Arzt seinen Verpflichtungen nachgekommen ist. Ist das nicht der Fall, muss er mit einem Bußgeld rechnen.

Den Müttern helfen und die Zahl der Spätabtreibungen senken wolle er mit diesem Gesetz, sagt Singhammer. Die SPD-Politikerin und Vorsitzende des Familienausschusses des Bundestags, Kerstin Griese, die den Antrag maßgeblich mit vorbereitet hat, formuliert es vorsichtiger: "Wir wollen", sagt sie, "dass Frauen die Chance haben, in dieser Konfliktsituation eine Entscheidung zu fällen, mit der sie später leben können". Dass die Entscheidung am Ende häufiger für das Leben mit einem behinderten Kind ausfalle, werde man aber nicht über Gesetze erreichen, schränkt sie ein.

Doch vor allem in der SPD stößt der schwarz-rot-grün-gelbe Gruppenantrag auf breiten Widerstand. Die Entscheidungsfreiheit der Frauen sieht zum Beispiel die für Familie zuständige Vize-Fraktionsvorsitzende Christel Humme in Gefahr, wenn ihre Fraktionskollegin Griese erfolgreich sein sollte. Sie, wie der größere Teil der SPD-Fraktion und auch der Grünen, hatte ursprünglich gar keine Gesetzesänderung gewollt.

Wer sich durchsetzen kann, ist noch nicht sicher

Um den Gesetzentwurf der anderen noch zu verhindern, haben Humme und weitere Abgeordnete nun doch noch einen eigenen Antrag eingebracht. Statt einer Drei-Tage-Frist ist darin nur von einer "angemessenen Bedenkzeit" die Rede. Der Arzt soll die Beratung nicht vermitteln, sondern lediglich auf diese hinweisen müssen.

Die wenigsten Abbrüche würden kurz nach der Diagnose vorgenommen, argumentiert Humme. Doch ihre Parteifreundin Nahles widerpricht: "40 Prozent der Spätabtreibungen finden in den ersten drei Tagen statt", behauptet sie.

Wer im Bundestag das Rennen machen wird, ist wegen der fehlenden Fraktionsdisziplin noch keineswegs ausgemacht. Zwar haben Griese und Singhammer mit 302 Unterstützern ein weit größeres Lager hinter sich als der Humme-Antrag, den 158 Abgeordnete unterzeichnet haben. Doch der Bundestag hat insgesamt 612 Abgeordnete. Es gibt also noch viele, die bisher keinem Lager zuzuordnen sind.

Immerhin in einer Frage könnte die großkoalitionäre Zusammenarbeit am Ende gut funktionieren. Humme fordert in einem weiteren Antrag, dass die Beratung noch vor den pränatalen Untersuchung verbessert werden soll. Dagegen hat auch CSU-Politiker Singhammer nichts. So könnten am Ende beide Lager wenigstens ein bisschen siegen.

Mit freundlicher Genehmigung von Zeit Online

Katharina Schuler

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