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Politik: Späte Wende

Wie künftig mit den Stasiakten umgegangen werden soll, ist wieder offen

Von Matthias Schlegel

Berlin - Es wäre ein seltsames Signal gewesen: Am Donnerstag gedenkt Deutschland der Maueröffnung vor 17 Jahren als dem Anfang vom Ende der DDR, am Freitag beschließt der Bundestag ein Gesetz, das Stasiüberprüfungen im öffentlichen Dienst nur noch im konkreten Verdachtsfall erlaubt. Aber das ist nun erst einmal vom Tisch und hat gleichsam die große Koalition in einen Konflikt gestürzt, dessen Ende noch nicht absehbar ist. Denn nachdem die Union am Montagabend signalisiert hat, dass sie der geplanten – und ursprünglich von ihr mitgetragenen – Novellierung des Stasiunterlagengesetzes nun doch ihre Unterstützung versagt, ist ein Kompromiss in weite Ferne gerückt.

Im Kern geht es um zwei Grundfragen, die plötzlich unterschiedlich beantwortet werden: Soll die Möglichkeit von Regelüberprüfungen im öffentlichen Dienst, die nach dem geltenden Gesetz Ende Dezember dieses Jahres ausläuft, aufrechterhalten werden? SPD-Politiker wieBundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sehen darin eine fortgesetzte Benachteiligung Ostdeutscher durch den Rechtsstaat. Längere sogenannte Regelüberprüfungen seien mit der SPD nicht zu machen, sagt er. Es müsse bei der im Novellierungsentwurf geplanten Überprüfung im Verdachtsfall bleiben.

Die Union hat sich derweil auf die Seite des Bundesrats geschlagen, der für eine Verlängerung der Überprüfungspraxis um fünf Jahre plädiert – im Übrigen eine Kann-Regelung: Öffentliche Stellen können eine solche Überprüfung beantragen, sie müssen es nicht.

Die zweite Frage, die nun als brisant erkannt wird: Soll es eine gesetzliche Regelung geben, wonach von 2007 an einem Mitarbeiter eine frühere Stasimitarbeit „im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden“ darf? Die Befürworter der Gesetzesnovelle halten eine solche Verjährungsregelung aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten für überfällig. Opferverbände, Aufarbeitungsinitiativen, Wissenschaftler und Journalisten fürchten dagegen für die Zukunft eine Welle von juristischen Auseinandersetzungen mit jenen, die als Stasimitarbeiter enttarnt wurden. Sie, so die Mahner, würden nachträglich die Deutungshoheit über die Vergangenheit übernehmen, weil sie sich unter Berufung auf das novellierte Stasiunterlagengesetz gegen die Nennung ihres Namens in Veröffentlichungen wehren und in Beschäftigungsverhältnisse einklagen könnten. Sie warnen vor den unabsehbaren Folgen, die die gewieften juristischen Berater der früheren Eliten erzwingen könnten.

Zunächst ist nur ein bisschen Zeit gewonnen. Eigentlich sollte sich der für das Gesetz federführende Bundestagsausschuss für Kultur und Medien wie alle mitbeteiligten Ausschüsse am Mittwoch mit der Novelle befassen. Der Tagesordnungspunkt wurde gestrichen. Voraussichtlich in zwei Wochen wird er wieder dort auftauchen. Bis dahin müssen sich Union und SPD, die sich beide offenbar der Tragweite des Verfahrens nicht bewusst waren, auf kompromissfähige Regelungen einigen. Die Crux ist: Bleibt das Gesetz hinter der vom Bundesrat gewünschten Verlängerung der Stasiüberprüfungen zurück, kann die Länderkammer das Gesetz ins Vermittlungsverfahren schicken – dann ist eine Novellierung in diesem Jahr nicht mehr zu erreichen. Ringt man sich in der Koalition zu einer – vielleicht fünfjährigen – Verlängerung der Überprüfungspraxis durch, verliert die SPD ihr Gesicht. Die Union hat das wegen ihrer späten Wende schon hinter sich.

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