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Spaniens neuer alter konservativer Premierminister Mariano Rajoy

© Susana Vera/rtr

Spanien hat wieder eine Regierung: Ende der Blockade, nicht der Spaltung

Fast ein Jahr lang war Spanien ohne reguläre Regierung. Nun bekommt der Konservative Mariano Rajoy eine zweite Amtszeit - die konfliktreich beginnt.

Die Karikatur der Renommierzeitung „El País“ sprach am Sonntag Bände. Ein finster dreinblickender Mariano Rajoy schreit darin ins Telefon: „Ich weiß, dass du das Klingeln hörst. Geh’ ran!“. Für eine Legislatur, die „nur vier Monate oder so“ dauern werde, werde es dem in Spanien für eine zweite Amtszeit gewählten konservativen Ministerpräsidenten sehr schwer fallen, Politiker für das neue Kabinett zu finden, meint Starkarikaturist Forges.

Ja, sicher: Im Madrider Parlament gab es nach dem Abstimmungssieg bei Rajoys Volkspartei Partido Popular (PP) kein Halten mehr. Jubel, Applaus und ein strahlender neuer Regierungschef: Endlich, nach mehr als zehn Monaten, darf der konservative Politiker wieder ganz regulär die Zügel des Schuldenlandes in die Hand nehmen. Doch von Madrid bis Barcelona, von A Coruña bis Córdoba herrschen Skepsis und Sorge vor.

Für Rajoy beginnt nach dem Jubel der Ernst des Lebens, am Donnerstag will er sein neues Kabinett vorstellen – und der Regierungschef gibt zu: „Das wird nicht leicht.“ Im Parlament, dem „Congreso de los Diputados“, besetzen die Konservativen nur 137 der 350 Sitze. 176 wären für eine absolute Mehrheit notwendig. Die Sozialisten (PSOE) ebneten Rajoy nach dem langen Widerstand den Weg, um erneute Neuwahlen zu verhindern. Aber PSOE-Sprecher Antonio Hernando warnte Rajoy vor der Abstimmung: „Sie bekommen keine Schonfrist.“

Jetzt gibt es wieder eine Regierung - ob sie auch Entscheidungen durchbringt, bleibt unklar

Der Regierungschef wird viel diplomatisches Verhandlungsgeschick an den Tag legen müssen – eine Eigenschaft, die der oft als stur und unnachgiebig kritisierte 61-Jährige aus Galicien in seiner ersten Amtszeit nicht gebraucht hat und die ihm viele absprechen. „Rajoy weiß nicht, was paktieren heißt, er kann nicht verhandeln“, sagt zum Beispiel Politikwissenschaftler Fernando Vallespín von der Madrider Universidad Autónoma.

Er prophezeit eine „kurze und unheimlich konfliktreiche Legislatur“. Solgar Albert Rivera, der Führer von Ciudadanos – jener Fraktion, die der PP am nächsten steht – nahm kein Blatt vor den Mund: „Wenn Sie ihre Versprechen nicht erfüllen, kann das sehr kurz dauern. Es liegt einzig und allein an Ihnen.“

Die erste, vielleicht entscheidende Feuerprobe steht schon in den nächsten Wochen an: der Haushalt 2017. Erst am Dienstag mahnte die EU-Kommission Einsparungen in Höhe von 5,5 Milliarden Euro an, damit das zugesagte Defizitziel von 3,1 Prozent der Wirtschaftsleistung tatsächlich erreicht wird. Der Schuldensünder entging schon im Sommer den von Brüssel angedrohten Sanktionen nur sehr knapp.

Aber hier kommt der Haken: Um das Budget durchbringen zu können, reichen alle Stimmen der PP- und der Ciudadanos-Abgeordneten nicht aus. Die Sozialisten (PSOE), die sich nach langem Widerstand zu einer Duldung einer Rajoy-Regierung durchgerungen hatten, signalisieren für die Zukunft wenig Kooperationsbereitschaft. „Es ist kaum vorstellbar, dass wir für den Haushalt stimmen werden“, meinte PSOE-Sprecher Hernando.

Das Land kam ohne Regierung gut klar, finden viele

Eine schwache Regierung ist allerdings dann doch besser als gar keine, sollte man als Außenstehender zumindest meinen. In Spanien stimmen aber nicht alle mit dieser These überein. Schon im Juli, als die Krise in ihren siebten Monat ging, forderte der bekannte Ökonom Gabriel Calzada in der Zeitung „Expansion“: „Bleiben wir ohne Regierung!“

Denn paradoxerweise lief die Wirtschaft während der politischen Blockade wie am Schnürchen – und das tut sie noch. Kaum ein EU-Land wächst so stark wie Spanien (2015: 3,2 Prozent, Prognose für 2016 laut Wirtschaftsminister Luis de Guindos 3,5 Prozent). Diese Woche wurde bekannt, dass die Arbeitslosenquote mit 18,9 Prozent auf den tiefsten Stand seit Ende 2009 fiel.

Ob die erfreulichen Zahlen aber allen Spaniern zugute kommen, sei dahingestellt. Der Gewerkschaftsbund UGT klagt, die vermeintliche Erholung von der 2008 ausgebrochenen schlimmen Finanz- und Wirtschaftskrise sei „nicht reell“. Die Erwerbsbevölkerung sei etwa in den vergangenen zwölf Monaten um gut 50.000 zurückgegangen.

Hinter diesen Zahlen verstecken sich viele Schicksale. Ob Regierung oder keine Regierung ist Ana zum Beispiel völlig egal, ihr geht es wie vielen Spaniern : „Es ist aussichtslos hier, ich gehe nun wie meine Schwester weg nach London“, sagt die Kunststudentin. Trotz Wirtschaftswachstums und politischer Stabilität kehrten vergangenes Jahr etwa 100.000 Spanier ihrem Land den Rücken – die höchste Auswanderer-Zahl seit Beginn der Krise. (E. Rappold und C. Frentzen/dpa)

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