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Sparprogramm: Kraftprobe in Griechenland

Griechenlands Premier Papandreou kämpft gegen Gewerkschaften und die konservative Opposition um eine Mehrheit für sein Sparprogramm. Am Mittwoch fällt die Entscheidung. Auf dem Athener Syntagmaplatz spielen sich unterdessen Chaosszenen ab.

Im Athener Parlament beraten die Abgeordneten über das neue Sparprogramm, von dem abhängt, ob Griechenland weitere Hilfskredite bekommt oder pleitegeht. Aber davon bekommt Judith Kraemer nichts mit. Sie sitzt im Hafen von Piräus auf ihrem Koffer. Ab und zu spendet eine vorbeiziehende Wolke etwas Schatten. Eigentlich wollte die 24-jährige Deutsche mit ihrer Freundin längst auf dem Weg zur Kykladeninsel Naxos sein. Aber Mitglieder des kommunistischen Gewerkschaftsbundes Pame halten seit den frühen Morgenstunden die Rampen der Fährschiffe besetzt, die Piräus mit den Ägäisinseln verbinden. „Die Völker der Welt haben die Macht, und sie kapitulieren nie“ steht auf einem der Transparente der Kommunisten. Judith Kraemer schüttelt verständnislos den Kopf: „Warum müssen die Touristen darunter leiden?“

Während die 300 Abgeordneten des Athener Parlaments über das neue Sparprogramm beraten, lassen die griechischen Gewerkschaften die Muskeln spielen. Am Dienstag riefen sie zu zweitägigen landesweiten Streiks auf. Nicht nur die Fähren blieben in den Häfen, auch die meisten öffentlichen Verkehrsmittel in Athen standen still. Mit Ausnahme der U-Bahn. Die U-Bahn-Fahrer haben stattdessen beschlossen, die tausenden Demonstranten in die Innenstadt zu bringen. Im gesamten öffentlichen Dienst ruhte die Arbeit. In den meisten Krankenhäusern gab es nur einen Notdienst. Weil sich auch die Fluglotsen an dem Streik beteiligen, musste am Dienstag der griechische Luftraum für mehrere Stunden gesperrt werden. Hunderte Flüge fielen aus oder wurden verlegt.

Chaosszenen spielten sich unterdessen auf dem Athener Syntagmaplatz ab. Vermummte Jugendliche aus der Anarchistenszene begannen in der Umgebung des Platzes, mit Vorschlaghämmern Schaufensterscheiben zu zerstören, Müllcontainer in Brand zu stecken und die Sonnenschirme der Straßencafes abzufackeln. Die Polizei setzte Tränengasgranaten gegen die Randalierer ein. Die antworteten mit Steinwürfen und Molotowcocktails. Wie schon öfter während der vergangenen Wochen, glich das Athener Stadtzentrum einem Schlachtfeld.

Begonnen hatte es allerdings friedlich. Bereits am Vormittag hatten sich etwa 10 000 Demonstranten auf dem Syntagmaplatz vor dem Parlamentsgebäude versammelt. Dort sollen die Abgeordneten am heutigen Mittwoch über das neue Konsolidierungsprogramm der sozialistischen Regierung abstimmen. Es sieht für die Jahre bis 2015 weitere Ausgabenkürzungen, massive Steuererhöhungen und Privatisierungen von Staatsbetrieben vor. Auch Bezieher des Mindestlohns sollen künftig Steuern zahlen, was die Gewerkschaften besonders erbittert. Von der Abstimmung hängt viel ab, nicht nur für Griechenland: Nur wenn das Parlament den Sparplan billigt, wollen die Euro-Staaten und der Internationale Währungsfonds (IWF) weitere Hilfskredite nach Athen überweisen. Fällt das Sparprogramm im Parlament durch, versiegen die Gelder. Dann droht Griechenland binnen weniger Wochen die Staatspleite. Welche Folgen das für andere Schuldenstaaten wie Portugal, Irland und Italien hätte und was es für die Stabilität der Euro-Zone bedeuten würde, möchte man sich lieber nicht ausmalen. Allerdings halten sich Portugal und Irland, die ebenfalls von der Europäischen Union gerettet werden mussten, bisher noch an die harten Sparvorgaben von EU und IWF.

Es gehe um die Zukunft Griechenlands, aber auch die Finanzstabilität in Europa, mahnte EU-Währungskommissar Olli Rehn die Griechen. „Der einzige Weg zum Abwenden einer sofortigen Pleite ist für das Parlament die Annahme des Wirtschaftsprogramms“, sagte Rehn. Der finnische Kommissar unterstrich: „Lassen Sie es mich deutlich sagen: Es gibt keinen Plan B, um die Pleite abzuwenden.“ Darauf scheinen einige Athener Politiker jedoch insgeheim zu hoffen. Die Europäer würden Griechenland schon aus eigenem Interesse nicht untergehen lassen und weiterzahlen, selbst wenn das Sparprogramm durchfällt, so das Kalkül. Das ist ein gefährliches Vabanquespiel. Der konservative Oppositionsführer Antonis Samaras scheint dennoch bereit zu sein, alles auf eine Karte zu setzen. Er bleibt weiterhin bei seinem nein zu dem Sparprogramm, trotz massiven Drucks seiner konservativen Parteifreunde in Europa. Samaras verspricht den Griechen trotz leerer Staatskassen Steuersenkungen, und er will sogar die Bedingungen für die bereits ausgezahlten Hilfskredite von 53 Milliarden Euro rückwirkend neu aushandeln – ein völlig illusionärer Plan, wie es in Brüssel heißt. Allerdings sind nach aktuellen Umfragen zwischen 70 und 80 Prozent der Griechen gegen das von der Regierung geplante Sparprogramm.

Ministerpräsident Giorgos Papandreou möchte sich dennoch nicht auf Abenteuer einlassen. Er appellierte an seine Parlamentsfraktion: „Hört auf das, was euch eure Seele und Euer patriotisches Gewissen sagen“. Der Premier mahnte die Abgeordneten: „Legt die Hand auf euer Herz und stimmt für Hellas.“ Zwar hat die sozialistische Regierung im Parlament eine Mehrheit von 155 der 300 Sitze. Aber mindestens drei Abgeordnete gelten als mögliche Abweichler. Finanzminister Evangelos Venizelos bemühte sich bis zuletzt, die wankelmütigen Abgeordneten zur Zustimmung zu bewegen.

Die meisten Beobachter gingen am Dienstag allerdings davon aus, dass sich trotz des Drucks der Gewerkschaften und trotz der Massenproteste bei der entscheidenden Abstimmung im Parlament doch eine Mehrheit für das Sparpaket finden werde. Denn angesichts des drohenden Staatsbankrotts könnten sich einige Abgeordnete kleiner Oppositionsparteien entschließen, für das Gesetz zu stimmen – so zumindest die Erwartung. Aber dennoch dürfte die Abstimmung zu einer Zitterpartie werden, zu einem Schicksalsvotum – nicht nur für die Griechen, sondern für ganz Europa.

Griechenland erlebt derzeit die schwerste Rezession seit den 1970er Jahren. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 40 Prozent, die Arbeitslosenquote insgesamt ist auf 16 Prozent geklettert. Die öffentliche Verschuldung Griechenlands liegt bei 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. mit rtr

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