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Gabriel

© dpa

SPD: Fordern, Fördern, Fortschreiben

Mit Korrekturen der Hartz-IV-Reformen will die SPD die Abwanderung der Wählerschaft stoppen.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Am „Kern“ der rot-grünen Arbeitsmarktreformen, sagt Sigmar Gabriel, „muss sich nichts ändern“. Bei dem von ihm ganz wesentlich mitentwickelten Papier, sagt Olaf Scholz, handele es sich um „konsequente Fortentwicklung unserer Politik“. Offenkundig spüren der SPD-Chef und sein Vize einen Rest von Rechtfertigungszwang. Sieben Jahre und einen Tag nach Gerhard Schröders Rede im Bundestag, in der der SPD- Kanzler zum ersten Mal von der Agenda 2010 sprach, leiten seine Erben den schrittweisen Rückzug ein. Etliche Wahlniederlagen hinter sich und die schwierige Landtagswahl im Schlüsselland Nordrhein- Westfalen vor sich, wollen Gabriel und die Genossen die Abwanderung der Wählerschaft stoppen und umkehren.

Die „Korrekturen“ (Scholz) am Hartz- IV-System zielen vor allem auf die Menschen, die noch gar nicht langzeitarbeitslos sind, aber fürchten müssen, es zu werden. Dieser Personengruppe – klassische SPD-Klientel mithin – gilt der spektakulärste Vorschlag in dem Papier, das die Partei in den nächsten Monaten debattieren und der Parteitag im September beschließen soll. Die SPD will nämlich künftig bei Hartz-IV-Empfängern auf Vermögensprüfung völlig verzichten. Egal ob einer ein Haus hat, ein Konto oder anderes von Wert – er soll es auch als Hartz-IV- Empfänger behalten dürfen. Nur „Missbrauch“ soll verhindert werden – und natürlich werden laufende Erlöse, etwa Zinsen oder Mieteinnahmen, angerechnet.

Gabriel begründet die Idee einerseits mit „monströsem“ Verwaltungsaufwand und den wenigen Fällen, in denen Langzeitarbeitslose über Besitztümer oberhalb der schon geltenden Schonvermögensgrenzen verfügen. Andererseits gehe es ums Prinzip: Wer vorgesorgt habe, statt alles Geld immer gleich auszugeben, dürfe dafür nicht bestraft werden.

Auch die zweite Schwerpunktforderung zielt auf Menschen, die gerade erst – vielleicht als Opfer der Finanzkrise – arbeitslos geworden sind. Ihnen soll das Arbeitslosengeld I bis zu zwölf Monate länger gezahlt werden als bisher. Ältere Arbeitslose können dann bis zu 36 Monate lang ALG I beziehen, das sich am letzten Lohn orientiert und meist höher ist als Hartz IV. Bedingung ist die Teilnahme an einer Qualifikationsmaßnahme. Einen „aktivistischen Vorschlag“ nennt Scholz das, aus der ursprünglichen Idee des „Förderns und Forderns“ entwickelt. Dazukommen soll eine Aufstockung des Personals in den Arbeitsagenturen auf ein Verhältnis von einem Vermittler auf 75 Arbeitslose. Für die Staatskasse, so Scholz, bleibe beides kostenneutral – die Einsparungen durch kürzere Arbeitslosigkeit finanzierten den Mehraufwand von selbst.

Nicht von selbst zahlt sich die dritte große Maßnahme aus, die die SPD fordert. Binnen zwei Jahren sollen von Staats wegen 200 000 Stellen für solche Langzeitarbeitslose geschaffen werden, die kaum mehr Aussicht auf einen normalen Job haben. Damit werde, sagt Gabriel, der Vorschlag der nordrhein-westfälischen SPD-Chefin Hannelore Kraft für einen öffentlichen Arbeitsmarkt konkretisiert. Für die drei Milliarden Euro, die das kosten soll, wollen die Sozialdemokraten demnächst konkrete Sparvorschläge im Bundeshaushalt machen.

Ob das alles reicht, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen? Die SPD, gibt Gabriel zurück, mache diese Vorschläge ja nicht, weil sie von ihrer Wirkungslosigkeit ausgehe. Kritik im Vorstand habe es auch nicht vom Parteilinken Ottmar Schreiner gegeben. Die Linkspartei klingt sogar etwas unfroh. Der designierte Vorsitzende Klaus Ernst spottet zwar über einen „Treppenwitz der Geschichte“, dass die Abkehr von der Agenda der gleiche Scholz predige, der als Generalsekretär 2004 die Hartz-Kritiker „aus der SPD geworfen“ habe. Andererseits, sagt Ernst dem Tagesspiegel: „Es ist gut, dass die SPD in der Opposition Fehler aus der Regierungszeit korrigiert.“

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