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Thomas Oppermann, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

© Mike Wolff

SPD-Fraktionschef Oppermann: "Trumps nationalistische Antrittsrede war abstoßend"

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann über den neuen US-Präsidenten, das Steuerkonzept seiner Partei und die Klärung der K-Frage. Ein Interview.

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Die SPD geht mit zwei großen Versprechungen in den Wahlkampf: Sicherheit und Gerechtigkeit. Ist Deutschland nach vier Jahren sozialdemokratischer Regierungsarbeit unsicher und ungerecht?

Deutschland ist ein wirtschaftlich starkes Land mit einem im internationalen Vergleich hohen Wohlstand. Gleichwohl – wir leben in schwierigen Zeiten, die Welt verändert sich dramatisch. Wir müssen die liberale Demokratie und die offene Gesellschaft verteidigen. Und ich finde zudem: Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit.

Wer genau wird ungerecht behandelt?

Familien, Frauen, Arbeitnehmer – es gibt viele Gruppen in unserer Gesellschaft, bei denen wir für mehr Gerechtigkeit sorgen müssen. Aber es gibt auch Zustände, da haben alle das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht. Ein Beispiel: Manche Manager verschaffen sich exorbitante Gehaltsprämien in Millionenhöhe selbst dann, wenn ihr Unternehmen in Schwierigkeiten gerät. Und das wird auch noch indirekt vom Steuerzahler subventioniert. Das finde ich nicht richtig.

Aber Spitzenmanager kriegt man nicht für kleines Geld, oder?

Wir wollen keine Neiddebatte führen. Hervorragende Leistung müssen hervorragend bezahlt werden. Aber wir müssen zurück zu Maß und Mitte. Deshalb werden wir die Steuerabzugsfähigkeit von solchen Gehaltsprämien beschränken. Wenn die Firmen sie zahlen wollen, dann bitte aber aus dem versteuerten Gewinn und nicht zulasten der Steuerzahler.

Wäre das ein Vorhaben, das ein SPD-Kanzler nach dem Wahltag sofort in Angriff nehmen würde?

Das könnten wir auch jetzt gleich machen, aber die Union will das bisher nicht. Ein SPD-Kanzler würde auf jeden Fall etwas tun für mehr Steuergerechtigkeit. Menschen, die arbeiten, müssen heute mehr Steuern auf ihre Einkünfte zahlen als Leute, die ihr Geld arbeiten lassen. Wer 53.000 Euro im Jahr verdient, zahlt für jeden weiteren Euro 42 Cent Steuern. Auf jeden Euro Kapitalgewinn werden nur 25 Cent fällig. Dieser Rabatt gehört abgeschafft.

Den haben aber die SPD und ihr Finanzminister Peer Steinbrück selbst eingeführt!

Damals hatten wir massive Kapitalflucht in Niedrigsteuerländer. Damals galt: 25 Prozent von X sind besser als 42 Prozent von nix. Heute tauschen die Steuerbehörden international alle notwendigen Informationen aus, um Steuervermeidung zu stoppen. Deshalb ist heute nicht mehr nötig, was damals richtig war.

Warum denn nicht gleich eine Vermögenssteuer?

Eine Vermögenssteuer erscheint vielen plausibel, und sie wäre ja auch gerecht. Sie birgt aber ein großes Risiko: Wir können derzeit nicht ausschließen, dass wir damit jedes Jahr an das Eigenkapital mittelständischer Betriebe herangehen. Aber deren Stärke ist gerade ihre solide Eigenkapitalbasis.

Was bleibt dann als Alternative?

Ich halte die Erbschaftsteuer für besser geeignet. Grundsätzlich sollte jede Generation einen Teil des Wohlstands, den sie genießen möchte, selbst erwirtschaften. Mit einer Kette bequemer Erbengenerationen würde unsere Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit erlahmen. Deshalb sollten wir Erben im Erbfall einmalig zur Finanzierung des Gemeinwesens heranziehen. Ich plädiere dabei für sehr großzügige Freibeträge.

Das alles nimmt Vermögenden Geld ab – aber wer soll’s denn kriegen?

Ich finde es zum Beispiel grob ungerecht, dass Eltern ohne Trauschein deutlich mehr Steuern zahlen müssen als Eltern mit Trauschein. Denn beide haben die gleiche Verantwortung. Deshalb wollen wir im Steuersystem einen Familientarif einführen unabhängig davon, ob Vater und Mutter verheiratet sind. Auf die Kinder kommt es an.

Widerspricht das nicht der Sonderstellung der Ehe im Grundgesetz?

Wir werden die Ehe ja nicht belasten. Die Verfassung verlangt von uns, die Ehe besonders zu schützen. Das heißt aber nicht, dass wir sie bevorzugen müssen. Außerdem dient unsere Maßnahme ausdrücklich dem Schutz der Familie, und der steht an der gleichen Stelle in der Verfassung. Außerdem bin ich dafür, ganz gezielt die unteren und mittleren Einkommen mit rund zehn Milliarden Euro pro Jahr spürbar zu entlasten. Das wäre nicht nur gerecht, sondern auch wirtschaftspolitisch absolut vernünftig. Neben dem Export ist die starke Binnennachfrage, nicht zuletzt als Folge des Mindestlohns, inzwischen zum zweiten Standbein der Konjunktur geworden.

Steuersenkungen greifen aber am unteren Einkommensende gar nicht.

In der Tat, viele Arbeitnehmer haben Einkommen, auf die nur wenig oder keine Steuern entfallen. Dagegen müssen sie in jedem Fall Sozialabgaben zahlen. Auf 2000 Euro Verdienst entfallen 400 Euro Abgaben. Das ist viel. Natürlich brauchen die Sozialkassen das Geld, wir können also nicht einfach darauf verzichten. Wir erwägen daher, Menschen mit niedrigem Einkommen einen Teil der Sozialabgaben aus Steuermitteln wieder zu erstatten.

Von welchem Geld – neuen Schulden?

Nein, Schuldenpolitik ist vorbei. Steuerentlastungen über Schulden zu finanzieren, wäre ungerecht gegenüber künftigen Generationen. Wir wollen weiterhin ausgeglichene Haushalte. Wir müssen aber die Steuerkraft verbessern. Ich sehe beim Spitzensteuersatz von 42 Prozent Luft nach oben. Gleichzeitig muss dann natürlich der Punkt verändert werden, ab dem dieser Satz greift. Heute liegt er für Alleinstehende bei 53.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen – das ist eindeutig zu früh.

Derzeit verzeichnet der Bundesfinanzminister sogar Überschüsse – warum ist die SPD so vehement dagegen, mit diesen sechs Milliarden Euro Schulden zu tilgen?

Ich habe nichts gegen Tilgung. Aber im Moment haben wir einen gewaltigen Investitionsstau. Mit sechs Milliarden Euro könnten wir aber zum Beispiel 3500 Schulen sanieren und sie für einen zeitgemäßen Unterricht digital ausstatten. Die Union versündigt sich gerade an den zukünftigen Generationen, weil sie die notwendigen Investitionen verweigert. Es ist doch absurd: Wir sind eines der reichsten Länder der Erde und vernachlässigen Bildung, Digitales und Verkehrsinfrastruktur.

Die Union wendet ein, neue Investitionszusagen seien im Moment sinnlos, weil es an Planungs- und Baukapazität fehle.

Richtiger Einwand – nur gibt es dafür eine Lösung: Wenn wir diese Mittel in einen Fonds einstellten, gäbe das Planungssicherheit und würde zum stetigen Abfluss der Mittel führen.

Bundespräsident Joachim Gauck hat die Politik zum Abschied zum Umdenken aufgerufen – die Furcht vor dem starken Staat sei überholt, heute brauche die Demokratie mehr Sicherheit zu ihrem Schutz. Einverstanden?

Joachim Gauck hat recht, die Bundesrepublik ist nicht mehr der Obrigkeitsstaat der 50er Jahre. Unsere selbstbewusste Bürgergesellschaft muss keinen starken Staat fürchten. Das ist letztlich wieder eine Frage der Gerechtigkeit. Einen schwachen Staat können sich nur die Reichen leisten. Die anderen sind darauf angewiesen, dass ein starker Staat sie schützt.

Hat die SPD das denn insgesamt schon verstanden?

Ja, trotzdem finde ich den Reflex nicht schlecht, erst einmal zu fragen, ob bestehende Gesetze nicht ausreichen. Ich habe oft den Verdacht, dass Konservative nur deshalb gleich nach neuen Paragrafen rufen, weil sie von Defiziten beim Vollzug ablenken wollen.

Den Fall Anis Amri hätte man auch ohne neue Gesetze verhindern können?

Das werden wir erst nach Abschluss der Untersuchungen wissen. Auf jeden Fall waren aber die Regelungen für den Umgang mit Gefährdern nicht klar genug. Dass ein ausreisepflichtiger Islamist wie Anis Amri, noch dazu ein mehrfach Krimineller, monatelang frei im Land umherreist, darf nicht wieder passieren.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat gleich nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz erklärt, man habe gar nicht anders handeln können. Glauben Sie das auch?

Genau dafür haben wir eine Ermittlergruppe im Parlamentarischen Kontrollgremium eingesetzt. Ich will eine zügige Prüfung, um dann eventuell vorhandene Sicherheitslücken schnell schließen zu können.

Eine Konsequenz könnte heißen, die Propaganda für Terrororganisationen wieder unter Strafe zu stellen. Was spricht denn dagegen, Hassprediger aus dem Verkehr zu ziehen?

Das alte Gesetz gegen Sympathiewerbung für Terroristen war doch weitgehend wirkungslos. Wo wir ansetzen müssen: Es wird viel zu wenig gegen die Ausbreitung salafistischer Ideen getan. Moscheen, in denen zum Hass aufgerufen wird, müssen nach Vereinsrecht konsequent geschlossen werden. Aber vor allem müssen wir verhindern, dass zehntausende junge Flüchtlinge in die Arme von Hasspredigern geraten. Die beste Prävention dagegen sind Ausbildungsplätze, Beschäftigung und Integration. Junge Menschen, egal ob Deutsche oder Flüchtlinge, brauchen eine Perspektive auf einen Platz in der Mitte der Gesellschaft.

Die Unsicherheit in der Welt rührt ja auch daher, dass auf wichtige Verbündete kein Verlass mehr zu sein scheint. Zwingt uns der neue US-Präsident Donald Trump dazu, unsere Sicherheit in die eigene Hand zu nehmen?

Ich fand die nationalistische Antrittsrede des neuen Präsidenten abstoßend. Wir dürfen uns aber auf die Provokationen von Donald Trump nicht einlassen. Deutschland und Europa müssen sehr genau darauf achten, dass ihre Interessen auch unter den neuen Machtverhältnissen in den USA gewahrt bleiben. Europa muss enger zusammenrücken.

In Zeiten der Unsicherheit wechseln die Wähler nur ungern die Führenden aus. Warum sollte das bei der Bundestagswahl anders sein?

Wir haben seit Jahren unsichere Zeiten – denken Sie an die Besetzung der Krim, den Aufstieg des „Islamischen Staats“, die Terroranschläge in Frankreich, Belgien und jetzt in Deutschland. Die Flüchtlingskrise hat aber gezeigt, dass aus kritischen Situationen nicht automatisch die Kanzlerin gestärkt hervorgeht. In schwierigen Zeiten werden die bestehen, die klare Vorstellungen haben und wissen, wo es langgehen muss.

Befördert die Aussicht auf Rot-Rot-Grün eine Wechselstimmung?

Wir führen keinen Koalitionswahlkampf. Wir kämpfen für eine starke Sozialdemokratie. Über mögliche Koalitionen entscheidet am Ende der Wähler.

Haben Sie noch Zweifel, dass der SPD- Kanzlerkandidat Sigmar Gabriel heißen wird?

Auch eine Woche vor Ablauf der von uns selbst gesetzten Frist bleibt es dabei: Der Parteivorsitzende wird am nächsten Sonntag einen Vorschlag machen, und unser Kanzlerkandidat wird mit inhaltlichen Botschaften antreten, die keinen Zweifel daran lassen, wie wir dieses Land sicherer und gerechter machen werden.

In Ihrer eigenen Fraktion fürchten etliche, dass die SPD mit Gabriel nicht über 20 Prozent hinauskommt. Was halten Sie den Zweiflern entgegen?

Sigmar Gabriel ist ein starker Parteivorsitzender und ein höchst erfolgreicher Wirtschaftsminister. In seiner Zeit sind viele Arbeitsplätze neu entstanden und andere gerettet worden. Und Sigmar Gabriel kann Wahlkampf wie kein anderer. Wir können seinen Vorschlag in Ruhe abwarten.

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