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SPD-Fraktionschef Steinmeier: "Die Regierung muss ihre Selbstblockade aufgeben"

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier spricht im Interview über die Notwendigkeit von Wachstum in Europa, die Verhandlungen über den Fiskalpakt und Diskussionen in der Führung seiner Partei.

Herr Steinmeier, Hand aufs Herz: Ziert sich die SPD mit der Zustimmung zum europäischen Fiskalpakt nicht vor allem deshalb, weil sie sich vom Kurs der Kanzlerin absetzen will?

Glückwunsch, wenn Sie da einen Kurs erkennen. Ich sehe keinen. Bisher ist noch jede Ankündigung nach drei Monaten kassiert worden. Kein Cent für Griechenland, kein dauerhafter Rettungsschirm, keine Aufstockung des ESM – nichts davon hatte Bestand. Die roten Linien dieser Regierung sind zu Wanderdünen geworden. Jüngstes Beispiel: Am Donnerstag geht Schäuble mit einer Gesamthaftung von 211 Milliarden für Deutschland ins Parlament, am Freitag ist sie plötzlich 40 Milliarden höher. So geht das seit Jahren: Was gestern noch galt, gilt schon morgen nicht mehr. Dieser Irrfahrt werden wir uns nicht anschließen. Wir bleiben bei unserem Kurs und sagen den Menschen, was auf unser Land zukommt.

Die SPD bekennt sich seit 1925 zu Europa. Ist es wirklich vorstellbar, dass Sie dem Fiskalpakt am Ende nicht zustimmen?

Wir haben uns da nichts vorzuwerfen. Auch in der Opposition haben wir unsere europapolitische Verantwortung ernst genommen. Aber deshalb gibt es noch keine Blankoschecks. Wir sagen: Haushaltsdisziplin muss sein, weniger Schulden auch. Aber richtig ist doch auch: Wenn 27 Staaten in Europa gleichzeitig und völlig fantasielos sparen, entsteht daraus kein Wachstum. Und ohne Wachstum kein Ausweg aus der Krise. Das ist keine sozialdemokratische Erfindung, das ist eine ökonomische Binsenweisheit. Und an der kommt erst recht keine Volkswirtschaft vorbei, die so stark auf den Export angewiesen ist wie wir.

Das müssen Sie uns erklären.

Wir leben auf keiner Insel der Seligen. Unsere Wirtschaftsdaten sind momentan gut, weil wir notwendige Reformen im letzten Jahrzehnt gemacht haben. Aber es kann uns auf Dauer nicht gut gehen, wenn es Europa rings um uns herum schlecht geht und keine Autos, keine Maschinen, keine Medizintechnik aus Deutschland mehr kauft. Wohlstand bei uns gibt es nicht ohne Wachstum in Europa. Wenn wir nicht den Weg der anderen gehen wollen, müssen wir etwas dafür tun.

Sie plädieren für staatliche Konjunkturprogramme, die das Wachstum ankurbeln?

Wenn es so einfach wäre. Für das Fehlen von Wachstum gibt es ganz unterschiedliche Ursachen. In einigen Ländern ist es ganz sicher auch der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit. Das kennen wir aus eigener Erfahrung. Da ist eine Modernisierung der eigenen Strukturen unvermeidlich. Wir haben zehn Jahre gebraucht, um vom Schlusslicht der europäischen Wachstumstabelle wieder nach oben zu kommen. Und die Reformen beim Arbeitsmarkt und den sozialen Sicherungssystemen gehörten dazu.

Eine "Brücke für Europa" soll gegen die Krise helfen

Sie empfehlen eine Agenda 2010 für ganz Europa?

Die Voraussetzungen in den europäischen Staaten sind dazu zu unterschiedlich. Jedes Land wird seinen eigenen Weg gehen müssen – mit Mut und Beharrlichkeit. Wir sollten dabei nicht vergessen, dass auch wir Zeit gebraucht haben und dass die, die jetzt starten, sich unter ungleich schwierigeren Bedingungen reformieren als wir im letzten Jahrzehnt.

Wie wollen Sie helfen?

Europa braucht eine Brücke, um über die Krise hinwegzukommen. Mit fünfzig Prozent Jugendarbeitslosigkeit in weiten Teilen Europas werden wir nicht durchkommen.

Wie soll diese Brücke aussehen?

Im ersten Schritt müssen die Mittel aus den Europäischen Fonds von Blockaden befreit werden, die ihrer Auszahlung im Weg stehen. Das sind zum Beispiel Bestimmungen zur Ko-Finanzierung, die viele Länder momentan aus eigener Kraft nicht leisten können. Zweitens muss die Europäische Investitionsbank in der bestehenden Notlage einen größeren Kreditrahmen erhalten. Das wird nicht ohne eine Aufstockung des Eigenkapitals gehen. Und drittens brauchen wir finanzielle Impulse für Wachstum, die die europäischen Länder nicht wieder in den Weg der Neuverschuldung treiben. Denn wir wollen ja mehr und nicht weniger Unabhängigkeit von den Finanzmärkten.

Wer soll dann bezahlen, Herr Steinmeier?

Einen Vorschlag wiederholen wir seit zwei Jahren gebetsmühlenartig: Bei uns ist jedes Frühstücksbrötchen mit einer Mehrwertsteuer belegt. Anlagegeschäfte, viele davon, die uns in die gegenwärtige Krise geführt haben, sind von keiner Umsatzsteuer erfasst. Das ist erstens nicht gerecht. Und zweitens brauchen wir ein paar finanzielle Ressourcen für Investitionen. Deshalb ist eine Besteuerung der Finanzmärkte nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Drittens würden wir auch ein zusätzlich wichtiges Signal setzen: Nämlich Vorrang der wertschöpfenden vor der wertabschöpfenden Wirtschaft.

Und das soll dann reichen?

Außerdem sollten wir überlegen, ob wir für einen beschränkten Zeitraum – sagen wir fünf Jahre – die nicht verausgabten Mittel der europäischen Strukturfonds in einem Aufbau- und Investitionsfond stehen lassen und nicht an die Mitgliedstaaten zurückfließen lassen. Der Fonds könnte auch von der Europäischen Investitionsbank gemanagt und dort als Stärkung des Kreditrahmens genutzt werden.

Glauben Sie, die schwarz-gelbe Koalition nimmt diese Anregungen auf?

Es gibt zu einzelnen Fragen durchaus positive Signale aus den Regierungsfraktionen. Insofern will ich den Verhandlungen um den Fiskalpakt, die jetzt beginnen, eine Chance geben.

Die SPD hat für Verwirrung gesorgt: Stellen Sie nun ein Junktim her zwischen der Finanztransaktionssteuer und der Zustimmung zum Fiskalpakt oder nicht?

Sozialdemokratischer Politik geht es immer darum, die Situation der Menschen konkret zu verbessern. Wenn wir neben mehr Haushaltsdisziplin in Europa, die wir auch wollen, etwas zur Sicherung von Arbeitsplätzen und mehr soziale Gerechtigkeit erreichen können, verhandeln wir darüber.

Warum sich die SPD-Troika beim Fiskalpakt nicht einigen kann

Viele Länder in Europa wollen die Finanztransaktionssteuer nicht …

Das ist die These von Finanzminister Wolfgang Schäuble, und die ist falsch. Wir werden kaum 27 Länder dafür begeistern, solange Großbritannien sich sperrt. Aber für die übrige EU gilt: Es ist Bewegung in die europäische Debatte über die Finanztransaktionssteuer gekommen. Vor zwei Jahren wollte das noch niemand, heute sind viel mehr Länder dafür. Auf der Ebene der Eurozone sollten wir es deshalb weiter versuchen. Klappt das nicht, besteht immer noch die Möglichkeit, es in einer Koalition der Willigen innerhalb der Eurozone zu machen. Dann sind es eben 16 und nicht 17 Länder, die diese Steuer einführen.

Muss die Regierung die Finanztransaktionssteuer durchsetzen oder nur anstreben?

Die Regierung muss ihre Selbstblockade aufgeben. Wir lassen uns nicht noch einmal abspeisen mit dem Hinweis, Schäuble sei ja dafür, aber Rösler dagegen. Wir wollen den Beschluss von Union und FDP sehen, in dem sie sich ohne Ausflüchte zu diesem Ziel bekennen und es dann verfolgen. Darum geht es.

Herr Steinmeier, die Zeitungen sind voll von Berichten über Zwist innerhalb der Troika. Es geht um den Streit zwischen Ihnen und Sigmar Gabriel über die SPD-Strategie beim Fiskalpakt. Was ist da los?

Machen Sie sich mal keine Sorgen. Im Vergleich zu den Zuständen in den Regierungsfraktionen geht es in der SPD sehr gesittet zu. Natürlich wird bei uns hart diskutiert, manchmal auch streitig. Alles andere wäre doch lebensfremd. Worauf es ankommt ist doch, dass wir gemeinsam und kollegial, mit Leidenschaft und Verstand, an Lösungen arbeiten, die unser Land besser machen. Und das tun wir!

Wann entscheiden Sie denn persönlich, ob Sie Kanzlerkandidat werden wollen?

Unser Zeitplan steht. Wenn sich die Dinge nicht anders entwickeln, wird im September 2013 gewählt. Ende Januar 2013 wird die SPD ihren Kanzlerkandidaten präsentieren. Jeder, der als Kandidat gehandelt wird, wird mit sich bis dahin im Reinen sein müssen.

Sie haben einmal angekündigt, bei wichtigen Entscheidungen würden Sie zuerst Ihre Frau konsultieren. Diese Woche sagten Sie, wenn es schnell gehen müsse, könnten Sie innerhalb von 24 Stunden entscheiden. Haben Sie schon mit Ihrer Frau gesprochen?

Ich habe dort auf die Frage geantwortet, was passiert, wenn es zu vorzeitigen Neuwahlen kommt. Und da bin ich sehr zuversichtlich, dass ich meine Frau innerhalb von 24 Stunden rechtzeitig treffe.

Das Gespräch führten Hans Monath und Antje Sirleschtov.

FRAKTIONSCHEF

Seit 2009 ist Frank-Walter Steinmeier Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Zuvor war der heute 56-jährige Jurist in der großen Koalition Außenminister und Vizekanzler unter Kanzlerin Angela Merkel.

WAHLKÄMPFER

Im Wahlkampf 2009 war der langjährige Mitarbeiter und Vertraute des Ex-Kanzlers Gerhard Schröder Spitzenkandidat der SPD, die bei 23 Prozent landete. „Seitdem ist viel passiert, politisch und privat“, sagte Steinmeier diese Woche: „Solche Einschnitte können einen auch stärken.“

KANDIDATENKANDIDAT

Wer Merkel 2013 herausfordert, will die SPD im Januar 2013 entscheiden. Steinmeier gilt als einer der möglichen Kanzlerkandidaten – neben Ex-Finanzminister Steinbrück und Parteichef Gabriel. In der SPD wächst der Zuspruch für den Fraktionschef – auch weil Gabriel vielen als zu sprunghaft gilt.

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