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Sigmar Gabriel hat das Votum zur Vorratsspeicherung innerhalb der SPD zur Machtfrage gemacht.

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SPD im Tief: Wenn es mal Sommer wird

Die SPD ist ein Musterkoalitionär, das hat sich beim Votum für die Vorratsdatenspeicherung wieder gezeigt. Und genau das ist auch ihr Problem. Ein Kommentar.

Das schönste Amt neben dem Papst – so nannte Franz Müntefering den SPD-Vorsitz. Natürlich war das immer Unsinn, sozialdemokratische Folklore, gedacht für die von Reformen geschundenen Seelen. Müntefering wird das wohl auch selbst nicht geglaubt haben. Aber selbst wenn, jetzt gilt der Satz gewiss nicht mehr. Oder so: Er taugt nicht zum Glaubenssatz.

Beweis? Wäre es anders, gäbe es mehr Genossen, die werden wollten, was Sigmar Gabriel ist. Und das wollen sie schon länger nicht, was sich daran zeigt, dass Gabriel der längstamtierende SPD-Chef seit Willy Brandt ist. Ein Rekord, den keiner feiert. Gabriel auch nicht. Dazu noch einmal zurück zum Papst: Wenn der etwas Unangenehmes zur Umwelt sagt, zum, sagen wir, Ausstieg aus der Kohle, um die Ressourcen der Welt zu schonen, dann jubeln die Massen. Kommt dasselbe vom Erzbengel der SPD, wird er von allen im Stich gelassen. Von den Christdemokraten sowieso, obwohl die es ja eigentlich mit der Bewahrung der Schöpfung haben müssten, aber auch von der eigenen Partei.

Die SPD ist mit 150 Jahren geradezu die Mutter der politischen Kontroverse

So ist Politik, kann man sagen. Aber doch nicht in der SPD, denkt die von sich. Sie will doch anders sein. 150 Jahre alt, geradezu die Mutter der politischen Kontroverse, zugleich zum Kompromiss begabt und zum Regieren. Irgendwas ist daran schon richtig, wie die Empirie belegt. Wo die SPD überall regiert. Und regiert hat. Was sie alles in der Gesellschaft verändert hat. Es waren SPD-Kanzler, die grundlegend Neues durchgesetzt haben, die Ostpolitik, die europäische Währungsschlange als Euro-Vorläufer, die Agenda 2010. Und, wie wird es ihr gedankt?

Bis heute muss die eigentlich staatstragendste aller Parteien gegen den Ruf ankämpfen, genau das nicht zu sein. Vaterlandslose Gesellinnen und Gesellen? Im Gegenteil, die SPD ist ein Musterkoalitionär. Wie man am Votum für die Vorratsdatenspeicherung sieht. Im Grunde geht ihr das Projekt contre coeur. Aber wat mutt, dat mutt, sagte schon ein Vorgänger Gabriels, Björn Engholm. Und schleifte die Asylgesetzgebung. Nur will dieses Staats-Gen weder die Partei noch die Bevölkerung wahrhaben. Die SPD jedenfalls muss von Zeit zu Zeit, um sich selbst noch zu spüren, aufbegehren, was dann unglückseligerweise das hartnäckige Vorurteil bekräftigt, bei der SPD sei doch fast alles Taktik. Für ihren Vorsitzenden gilt das ohnedies – weil Gabriel wie die Partei ist. Er ist der Sozialdemokrat schlechthin: staatstragend und davon ab und zu total genervt. Also von sich selbst.

Die SPD ist keine Partei der Extreme

Eben weil die SPD keine Partei der Extreme ist, hat sie solche Probleme, im Bund zuzulegen. Die Linke kann in Fragen des Sozialen ungestraft viel härter rangehen, die Grünen stehen immer noch, wenn auch unverdient, für Umweltschutz. Die Union hat die Wirtschaftskompetenz, obwohl sie schon seit gefühlten hundert Jahren keinen Bundeswirtschaftsminister mehr stellt.

Einerlei, im Moment befindet sich die SPD im Meinungstief. Im Moment ist sie auch daran schuld, dass der Sommer nicht kommt. Das sang schon Rudi Carrell. Was hilft? Nur durchhalten. Weitermachen. Weiterarbeiten. Erklären, wofür man steht und notfalls fällt. Das macht schon einen Unterschied. Macht ja sonst keiner. Es kommt der Tag, da fällt es (wieder) auf. Ob Sigmar Gabriel den Tag als SPD-Chef erlebt, hängt davon ab, ob beide die Nerven behalten, die Partei und er. Sicher ist das nicht.

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