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© dpa

SPD: Korrigieren und Kümmern

Neuausrichtung der SPD: Wie Sigmar Gabriel und Andrea Nahles in der Provinz für die Revitalisierung der Sozialdemokraten kämpfen und einen Aufstand verhindern wollen.

„Die Rückkehr zur Rente mit 65 macht überhaupt keinen Sinn“, ruft Sigmar Gabriel. Ein paar Meter weiter sitzt Andrea Nahles und nickt beifällig. Samstagnachmittag in einer Turnhalle in Loxstedt bei Bremerhaven: Der SPD-Bezirk Nord-Niedersachsen hat seine Mitglieder eingeladen. Mehr als 250 sitzen an langen Tischen, die dominierende Haarfarbe ist grau, aber die Genossen wirken weder müde noch milde. Sie sind gekommen, um mit dem künftigen SPD-Chef und seiner designierten Generalssekretärin über die Zukunft der Partei zu sprechen. Über die Ursache für das verheerende Ergebnis bei der Bundestagswahl. Und über inhaltliche und personelle Konsequenzen.

Gabriel und Nahles wiederum sind hier, um für ihre Wahl an die SPD-Spitze auf dem Bundesparteitag Mitte November in Dresden zu werben. Es ist das vierte Treffen des neuen Duos mit der SPD-Basis nach dem 27. September, weitere werden folgen. Gabriel und Nahles wollen den Parteimitgliedern vor dem Delegiertentreffen Gelegenheit geben, sich Luft zu machen. Es soll in Dresden nicht zum Bruch mit der Reformpolitik der vergangenen Regierungsjahre kommen, den sich manche in der SPD wünschen.

Genossen wie Theo Nordbruch zum Beispiel. Nordbruch war einmal Bürgermeister von Loxstedt. Jetzt ist er einer der ersten, die sich nach den Reden von Gabriel und Nahles zu Wort melden. „Die Rente mit 67 wird der SPD noch in den nächsten 25 Jahren nachhängen. Spätestens bis zur kommenden Bundestagswahl muss das weg“, ruft Nordbruch. Und dann schiebt er noch einen Namen nach, den die Basis-Reisenden Nahles und Gabriel nicht zum letzten Mal hören werden bei ihrer Tour. Es ist der Name des gescheiterten Spitzenkandidaten und heutigen Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier. Wenn die Abschaffung der Rente mit 67 „mit Frank-Walter Steinmeier nicht möglich ist“, sagt Nordbruch, „dann muss da eben ein anderer hin.“

Weg mit der Rente mit 67, weg mit Hartz IV, weg mit Steinmeier – das wäre aus Sicht von Gabriel und Nahles der größte Unfall, der den Sozialdemokraten in Dresden passieren kann. Wer Gabriel kennt, weiß, dass der recht energisch werden kann, wenn er es für nötig hält. „Ich bin nicht in der Abteilung Weichei zu Hause“, beginnt er seine Replik. Die Rente mit 67 sei keine Erfindung Steinmeiers, auch sperre der sich nicht gegen eine „Weiterentwicklung“. Außerdem wolle er, Gabriel, nicht Vorsitzender einer Partei werden, die am Freitag vor dem Brandenburger Tor dem Spitzenkandidaten zujuble, um ihn am Montag fallen zu lassen.

Es gibt Applaus für Gabriel, nicht nur, wenn er Steinmeier verteidigt. Auch sein Plädoyer, die Rente mit 67 und Hartz IV zu korrigieren, statt pauschal zu den alten Regelungen zurück zu kehren, löst Beifall aus. Allerdings muss er hart dafür kämpfen. Man bekommt an diesem Nachmittag in Loxstedt eine Ahnung davon, wie turbulent der Parteitag in Dresden werden könnte – nicht nur für Steinmeier.

Es ist überhaupt ein gigantisches Projekt, dass sich Gabriel und Nahles mit der „Revitalisierung der SPD“ vorgenommen haben. Den Dauerstreit über die Agenda 2010 hinter sich zu lassen, ist ein schwerer, aber nur ein erster Schritt. Danach müssen beide dafür sorgen, dass die Wähler der SPD das alte Versprechen wieder abnehmen: Es besteht Gabriel zufolge darin, dass die SPD sozialen Aufstieg ermöglicht und zugleich vor Abstieg schützt.

Für Andrea Nahles geht es vor allem darum, die SPD wieder zur „Partei der Kümmerer“ zu machen, sie setzt auf Empathie und Offenheit. „Wir haben mit den Leuten wie die Oberlehrer geredet. Das muss aufhören.“ Und noch etwas verspricht sie: das Ende der Grabenkämpfe in der SPD- Spitze. Kooperationsgeist und Vertrauen im SPD-Präsidium – das wäre neu.

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