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Politik: SPD-Parteitag: Alte Werte neu entdeckt

Renate Schmidt, die am Montag mit eindrucksvollem Ergebnis zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt worden ist, hat schon viele Parteitage erlebt und viele Reden zur Familienpolitik gehalten. Bereits in den 80er Jahren konnte man von ihr hören, was sie auch heute wieder sagt: Familie müsse als Leistungsträger der Gesellschaft Anerkennung finden, die SPD dürfe nicht nur für die "Problemfälle" zuständig sein.

Renate Schmidt, die am Montag mit eindrucksvollem Ergebnis zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt worden ist, hat schon viele Parteitage erlebt und viele Reden zur Familienpolitik gehalten. Bereits in den 80er Jahren konnte man von ihr hören, was sie auch heute wieder sagt: Familie müsse als Leistungsträger der Gesellschaft Anerkennung finden, die SPD dürfe nicht nur für die "Problemfälle" zuständig sein. Oder: "Familienpolitik spaltet die Gesellschaft nicht, sondern führt sie zusammen."

Früher waren solche Sätze Ausdruck innerparteilichen Pluralität. Doch an diesem Mittwoch, am Ende ihrer kurzen, inhaltsreichen und leidenschaftlich vorgetragenen Einführung in den familienpolitischen Leitantrag der SPD, erfährt die Rednerin derart herzlichen, lang anhaltenden Beifall, dass sie erst mal schlucken muss. Renate Schmidt ist sichtlich gerührt.

Der Saal ist gut gefüllt, das Vorstandspodium nicht - umso mehr fällt auf, dass der Parteivorsitzende Gerhard Schröder nicht wie sonst bei Programmdebatten in irgendwelchen Papieren raschelt oder mit dem Nachbar ein kleines Schwätzchen hält, sondern konzentriert dem Vortrag folgt. Bemerkenswert ist auch, dass jene, die gerade nicht aus dem stammen, was früher einmal "geordnete Familienverhältnisse" genannt wurde, aus ganzem Herzen eine "sozialdemokratische Familienoffensive" führen wollen. Dass Familienpolitik "eines der wichtigsten Themen des nächsten Jahrzehnts sei", wie Gerhard Schröder spontan vor Beginn der Aussprache den Delegierten erklärt, klingt nicht einfach daher gesagt.

Tatsächlich vollzieht sich in der früher gern als Lehrerpartei verspotteten SPD, die ehedem in der klassischen Familie eher ein Relikt zu überwindender gesellschaftlicher Machtstrukturen gesehen hat, fast so etwas wie eine kleine Kulturrevolution. Nicht zuletzt der Lehrer wegen, die tagtäglich in ihrem Schulalltag die elende Hinterlassenschaft zerbrochener Sozialstrukturen und Wertagenturen - vor allem der Familie - sehen und erleiden.

Nach Renate Schmidt kommt Karin Junker zu Wort, um einen Gleichstellungsantrag einzubringen. Auch sie erhält einigen Beifall, doch der wirkt im Kontrast zur Zustimmung, die ihre Vorrednerin erfahren hat, fast wie eine gern absolvierte Pflichtübung. Natürlich ist dies für die SPD, die bei der Besetzung der eigenen Führungspositionen mit glaubwürdigem Beispiel vorangegangen ist, immer noch ein wichtiges Thema. Doch die alte Zuspitzung und Gegenstellung zieht nicht mehr. Ein paar Juso-Frauen haben zu Beginn der Debatte an diese alte Zeit nochmals erinnert: Eine Abordnung postierte sich vor den Delegierten - bekleidet mit roten T-Shirts, bedruckt mit Parolen von gestern: "Ich will Chefin werden, nicht (nur) Mutter".

Wie wenig die Entdeckung der Familie durch die SPD mit einem Rekurs auf konservative Positionen zu tun hat, konnten die wenigen, die beim ökumenischen Gottesdienst zur Eröffnung des Nürnberger Parteitags zugegen waren, leicht erkennen. Dort hatte nämlich der Eichstätter Bischof Mixa in seiner Predigt noch einmal die traditionelle, wertüberfrachtete Institution beschworen. Der neue Weg der Sozialdemokratie hat andere Ausgangspunkte: Er gründet in konkreter Gegenwartserfahrung.

Peter Siebenmorgen

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