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SPD-Chef Sigmar Gabriel neben NRW-Landeschefin Hannelore Kraft.

© dpa

SPD-Parteitag: Sigmar Gabriel wieder zum Vorsitzenden gewählt

SPD-Chef Sigmar Gabriel zielt in seiner Rede nicht auf das Herz seiner Partei, sondern den Kopf. Das brachte ihm ein schlechteres Ergebnis als vor zwei Jahren, das er aber selbst als "ehrlich" bezeichnete.

Von Hans Monath

Nach einer Viertelstunde muss Sigmar Gabriel doch etwas sagen zu der skeptischen Haltung, mit der die Delegierten seine Gedanken entgegennehmen. Der Satz steht nicht in seinem Manuskript: „Ich weiß, bei der Rede zu applaudieren ist schwer“, sagt der Parteichef und fügt hinzu: „Ist aber nicht schlimm.“ Dann macht er weiter mit seinem Programm.

Gabriel ist dafür bekannt, dass er ganze Parteitage besoffen reden kann. Doch diesmal zielt er nicht auf die Seele, er zielt auf den Kopf der Partei. Nur ganz zum Schluss, nach mehr als 80 Minuten, wird er ein bisschen emotional, redet mit Pathos von der 150 Jahre alten Geschichte seiner Partei und zitiert den  sozialdemokratischen Übervater Willy Brandt: „Wir müssen uns auf unsere eigene Kraft besinnen, damit Gutes entsteht.“

Nicht im Ton, aber im Inhalt ist es eine Zumutung, was der Vorsitzende den 600 Delegierten bietet: Er will Irrtümer ausräumen, wonach für die Wahlniederlage der falsche Kandidat verantwortlich gewesen sei oder vor allem noch immer die Last der Agenda-Politik. Ihm geht es um mehr. Denn er hat sich vorgenommen, gefährliche Fehlentwicklungen in der SPD zu beschreiben, die weit schwerer wiegen als nur ein Bundestagswahlergebnis von 25,7 Prozent.

Vielen Sozialdemokraten erscheint große Koalition so attraktiv wie ansteckende Krankheit

Die SPD muss gegenwärtig durch eine schwierige Phase: Es gibt kein einziges fest vereinbartes Ergebnis aus den Koalitionsverhandlungen, das Gabriel den Delegierten präsentieren könne. Den meisten Sozialdemokraten erscheint eine große Koalition etwa so attraktiv wie die Aussicht auf eine hässliche, ansteckende Krankheit, die zum Tode führen kann. Manche SPD-Politiker klagen sogar über einen Hang zum apokalyptischen Denken in den eigenen Reihen nach dem Motto: Eine Neuauflage unter Merkel kann nur schief gehen, muss schief gehen.

Solche düsteren Erwartungen gibt es in der Tat. Der Chefredakteur des Magazins Cicero, Christoph Schwennicke, verglich die Gefahren für die SPD kürzlich mit der Jagdtechnik der Blackfoot-Indianer, die in Kanada Büffelherden auf einen Felsen namens „Head-Smashed-In Buffalo Jump“ treiben, wo die Tiere dann entweder abgeschossen werden oder in die Tiefe stürzen. Dass der Journalist zu dem Schluss kam, dies drohe nun auch der SPD  „von Merkel und ihren Schwarzfuß-Indianern“, verbreiteten vor allem Sozialdemokraten vom linken Parteiflügel begeistert in den sozialen Netzwerken.

Gabriel stemmt sich gegen Fatalismus

Auf dem Parteitag stemmte sich nicht nur Gabriel, sondern auch Peer Steinbrück gegen solchen Fatalismus und gegen das Bild der übermächtigen Kanzlerin, die das Schicksal der SPD besiegeln wird. „Niemand kann uns klein machen“, ruft er den Delegierten zu. Dafür sei die SPD „nur selber stark genug“. Der Ex-Kanzlerkandidat, eigentlich kein Mann der Gefühle, hält eine weit emotionalere Rede als Gabriel. Er übernimmt die Verantwortung für das Ergebnis und bedankt sich für die Solidarität im Wahlkampf trotz Gegenwinds. „Die SPD wird sich, solange ich lebe, auf meine Solidarität verlassen können“, verspricht er. Für die gemeinsamen Ziele gelte: „Die Pferde meiner Kavallerie bleiben gesattelt.“

Gabriel verliert kein Wort zu Ministerien und Regierungsaufgaben

Dann kommt Gabriel. Zunächst analysiert er die Gründe für die Wahlniederlage: Die Menschen waren zufrieden mit der wirtschaftlichen Lage in Deutschland, trauten Angela Merkel mehr zu als der SPD. Seine Schlussfolgerung: Neben der sozialen Kompetenz braucht die Partei eine deutlich stärkere Wirtschaftskompetenz: „Ohne die werden wir nicht erfolgreich sein..“

Der zweite Grund für ihn: Die SPD habe die Wähler nicht ausreichend von ihrer Kernkompetenz soziale Gerechtigkeit überzeugen können. Zudem seien viele Sozialdemokraten dem Irrtum aufgesessen, dass Entscheidungen der bislang letzten großen Koalition wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent und die Rente mit 67 die bruchslose Fortsetzung der Agenda-Politik gewesen seien. Das soll in der Koalition, über die nun verhandelt wird, nicht mehr passieren: „Wir werden kein zweites Mal eine Politik betreiben, bei der die SPD wieder gegen ihr eigenes Selbstverständnis verstößt.“

Der dritte Grund für die Wahlniederlage, so sagt Gabriel, macht ihm am meisten Sorgen und Kopfzerbrechen: Es geht um die kulturelle Kluft zwischen den SPD-Repräsentanten und der Kernwählerschaft der SPD – für die Mehrheit der Menschen ist sie nicht mehr die Partei der kleinen Leute. Das klassische SPD-Milieu habe den Eindruck gewonnen, dass ihr Leben der Partei fremd geworden sei und sie keinen Respekt vor ihrem Leben mehr habe. „Einen schweren Vorwurf kann man der SPD gar nicht machen“, sagt Gabriel. Er bringt diesen Vorwurf, und wohl auch deshalb geizen die Zuhörer in der Kongresshalle so mit dem Beifall.

Gabriel will kulturelle Kluft zur Kernwählerschaft überbrücken

Nicht weniger als eine „Überlebensfrage der SPD“ ist es für Gabriel, dass es gelingt, die kulturelle Kluft zum Kern der Arbeitsgesellschaft wieder zu überbrücken. Sein Rezept dafür heißt Öffnung der Partei für die sich verändernde Gesellschaft und weniger dogmatische Antworten als bisher: Ihren alten Freiheitsbegriff solle die Partei wieder entdecken und aufhören, immer „kollektive Lösungen für alle parat zu halten“. Nichts weniger als das Erbe des Liberalismus, den die FPD ruiniert habe, beansprucht der Vorsitzende für die SPD: „Sozial und liberal – das wäre ein gutes Profil für die SPD im nächsten Wahljahr 2017.“

Fast werden die Koalitionsverhandlungen zum Nebenthema, denn nicht der Parteitag,  sondern am Ende die Mitglieder werden darüber entscheiden, ob das Ergebnis trägt und die SPD den Koalitionsvertrag akzeptiert. Gabriel nennt die Ziele wie den Mindestlohn, die Zurückdrängung prekärer Beschäftigung, die Rente nach 45 Beitragsjahren. Zugleich wirbt er um Pragmatismus, dämpft die Erwartungen: „Wer 100 Prozent des SPD-Wahlprogramms von uns erwartet, erwartet zu viel“, sagt er.

Maßstab für den Vorsitzenden sind nicht die Gefühle seiner Partei, sondern die Lebensumstände der Mensch. Wenn es gelinge, konkrete Verbesserungen wie mehr Fairness am Arbeitsmarkt und die doppelte Staatsbürgerschaft zu erreichen, dann dürfe die SPD nicht kneifen. „Es mag ja sein, dass wir es einfacher hätten, wenn wir uns verweigern würden“, sagt er: „Andere hätten es dann mindestens vier Jahre lang deutlich schwerer.“

Gabriel will Misstrauen der Basis mit innerparteilicher Demokratie begegnen

Kein Wort sagt Gabriel zu den Regierungsaufgaben und Ministerien, die er selbst oder andere SPD-Politiker übernehmen wollen. Stattdessen spricht er vom Misstrauen der Basis, wonach es denen „da oben“ in der SPD nur um Posten gehe. Diesem Misstrauen will er begegnen durch mehr Beteiligung der Basis und innerparteilicher Demokratie. Das Mitgliedervotum sei ein Zeichen der Stärke: „Wir trauen uns und unseren Mitgliedern mehr zu als alle anderen Partei in Deutschland oder in Europa.“

Auch die Sozialdemokraten, die in den vergangenen Jahren unter Gabriels Sprunghaftigkeit und Unstetigkeit gelitten haben, sagen nun: „Er hat wirklich alles richtig gemacht seit der Wahl.“  83,6 Prozent der Delegierte stimmen für ihn. Das sind gut acht Prozent weniger als vor zwei Jahren (damals waren es 91,6 Prozent) - ein Dämpfer. „Das ist ein ehrliches Ergebnis“, sagte er nach der Bekanntgabe des Ergebnisses.

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