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Hannelore Kraft und Sigmar Gabriel

© ddp

SPD: Sozialdemokratische Scheinblüte

Die Bundestagswahl 2009 endete für die Sozialdemokraten mit einem Desaster. Dank Nordrhein-Westfalen wähnen sie sich wieder obenauf. Dabei sollten sie sich nicht zu früh freuen.

Hannelore Kraft hat es geschafft. Am Mittwoch wurde sie zur zur Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfahlen gewählt. Die SPD wähnt sich zurück auf der Erfolgsspur. Erstmals seit acht Jahren kann die SPD damit wieder eine Staatskanzlei von der CDU zurückerobern. Erstmals seit Klaus Wowereit 2001 Regierender Bürgermeister von Berlin wurde, wächst die Zahl der SPD-Ministerpräsidenten wieder - es sind jetzt fünf. Noch länger ist es her, dass SPD und Grüne eine bürgerliche Regierung aus dem Amt getrieben haben. 1994 war dies in Sachsen-Anhalt, und schon damals brauchten Rot und Grün die Hilfe der PDS, der Vorgängerpartei der Linken. Schon damals bildeten SPD und Grüne eine Minderheitsregierung.

Wahrlich Historisches ereignet sich also derzeit in Nordrhein-Westfahlen, kein Wunder, dass die SPD vor Selbstbewusstsein nur so strotzt und schon von einem rot-grünen Wahlsieg bei der Bundestagswahl 2013 träumt. Dabei ist es noch keine zwölf Monate her, da lag die deutsche Sozialdemokratie am Boden, vom Wähler gedemütigt, von den Medien verspottet. Bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 war sie auf 23 Prozent abgestürzt, hatte 11,2 Prozentpunkte verloren und ihr schlechtestes Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik erzielt. Die ganze Partei war daraufhin in eine tiefe Depression gesunken, selbst eine totale Implosion schien nicht ausgeschlossen.

Von alter Stärke ist die SPD auch zehn Monate später noch meilenweit entfernt. Auch das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen war schließlich alles andere als ein sozialdemokratisches Ruhmesblatt. Dort hatte die SPD am 9. Mai  noch einmal 2,6 Prozentpunkte eingebüßt, hatte so schlecht abgeschnitten wie zuletzt 1954. Die Partei hat sich also auf niedrigem Niveau stabilisiert. Mehr nicht, darüber können auch die zuletzt positiven Umfragewerte nicht hinwegtäuschen. Bei der Sonntagsfrage liegt die SPD wieder um die 30 Prozent. Doch diese Erholung verdankt die Sozialdemokratie nicht eigener Stärke oder eigenem Profil, sondern nur der Schwäche der Regierungsparteien und der Enttäuschung bürgerlicher Wähler über Union und FDP. Mehr als eine sozialdemokratische Scheinblüte ist der demoskopische Höhenflug nicht.

Die Umfragen sind eine Momentaufnahme, aus ihnen lässt sich überhaupt nicht ableiten, wie die Stimmung bei der nächsten Wahl sein wird. 38 Monate sind in der Politik eine verdammt lange Zeit. Zumal die Zahl der Wechselwähler immer größer wird und die SPD nur noch über weniger als 20 Prozent Stammwähler verfügt. Ein Großteil ihrer Wähler muss die Partei also im Wahlkampf mobilisieren.

Umfragen können auch Illusionen nähren. Im Sommer 1999 war die Lage von SPD und Grünen im Übrigen auch nicht besser als die Lage von Union und FDP heute. Genauso wie Schwarz-Gelb war damals Rot-Grün zehn Monate nach der Wahl in den Umfragen auf zusammen 37 Prozent abgestürzt, Union und FDP kamen zusammen auf 52 Prozent. Genützt hat es den Umfragesiegern wenig. 2002 jedoch reichte es dank eines fulminanten Wahlkampfendspurts von Kanzler Schröder trotzdem noch für einen rot-grünen Wahlsieg.

Natürlich steht die SPD besser da, als vor zehn Monaten. Sigmar Gabriel ist unumstrittener Parteivorsitzender, was schon eine Menge Wert ist in einer Partei, die in den letzten zehn Jahren fünf Parteivorsitzende verschlissen hat. Aber er hat sich auch schon ein paar Fehler geleistet, widersprüchliche Interviews gegeben und so seine Anhänger irritiert, etwa mit Spekulationen über eine rot-grüne Minderheitsregierung im Bund. Zudem erweckt Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nicht den Eindruck, als wolle er dem Dampfplauderer aus dem Willy-Brandt-Haus einfach allein das Feld überlassen.

Bei der Bundespräsidentenwahl war es der SPD zudem zusammen mit den Grünen gelungen, die Regierungsparteien für einen Moment ernsthaft in Verlegenheit zu bringen. Aber am Ende waren selbst viele Sozialdemokraten froh, dass es ihr Kandidat Joachim Gauck nicht geschafft hat. Schließlich stand dieser programmatisch weit neben der SPD und hätte als Bundespräsident sicher Akzente gesetzt, die den Sozialdemokraten eher peinlich gewesen wären. Gauck war ein kluges taktisches Manöver. Es hat aber nur deshalb funktionierte, weil auch die SPD von Anfang an wusste, dass dieser keine Chance hatte, gewählt zu werden.

Doch mit Taktik allein lässt sich keine Wahl gewinnen, es muss auch etwas Strategie hinzukommen. Eigenes Profil jedoch hat die SPD noch nicht wieder gewonnen. In der Opposition hat sie, abgesehen von etwas populistischer Umverteilungsrhetorik, noch keine eigenen programmatischen Akzente gesetzt. Natürlich ist dies zehn Monate nach einer verlorenen Wahl viel verlangt. Aber ihre Hausaufgaben muss die SPD erst noch machen, bevor sie wieder nach der Macht greifen kann. Der einen oder anderen innerparteilichen Auseinandersetzung in der Gesundheits-, der Arbeitsmarkt- oder der Außenpolitik wird sie also nicht aus dem Weg gehen können. Der Richtungsstreit, der die SPD in ihren Regierungsjahren zwischen 1998 und 2009 häufig gelähmt hat, ist längst noch nicht entschieden. Die SPD wird ihren Wählern noch erklären müssen, was nach der Agenda 2010 kommt, wie sie die Gesundheitskosten eindämmen will und wie es in Afghanistan weiter geht.

Zu den Hausaufgaben der SPD gehört auch die Entkrampfung des Verhältnisses zur Linkspartei. Die ungeliebte Konkurrenz wird nicht so schnell wieder verschwinden, und ohne Machtperspektive jenseits von Schwarz-Gelb fehlt den Sozialdemokraten im Wahlkampf ein wichtiges Argument für die Mobilisierung ihrer Wähler. Das hat zuletzt der Bundestagswahlkampf 2009 gezeigt. Gabriel setzt auf eine eigene rot-grüne Mehrheit im Bund, doch dies ist eine Illusion, dafür ist die Linke zu stark und auch im Westen bereits zu etabliert. Auch in Nordrhein-Westfalen ist überhaupt nicht klar, wie lange die Linke das Spiel mitmacht und eine rot-grüne Minderheitsregierung stützt. Und wenn die SPD glaubt, die ungeliebte Konkurrenz mit schnellen Neuwahlen wieder aus dem Landtag in Düsseldorf drängen zu können, dann würde sie damit auf ein gefährliches Spiel setzen. Denn die Stimmung kann sich dann sehr schnell auch gegen die SPD richten, die Wähler mögen solche taktischen Spielchen überhaupt nicht.

Vor der SPD steht also noch viel Arbeit, bevor sie wieder ans Kanzleramt denken kann. Auch in den Ländern kann die SPD nach Nordrhein-Westfalen vorerst nicht auf weiteren Rückenwind und auf neue spektakuläre Wahlerfolge hoffen. So schnell kommt nach Kraft auch kein weiterer sozialdemokratischer Ministerpräsident oder Ministerpräsidentin hinzu.

Sechs Landtagswahlen finden im kommenden Jahr in Deutschland statt, drei im März, eine im Mai und zwei im September. Bei keiner kann die SPD viel reißen. Los geht es in Sachsen-Anhalt. Dort wird die SPD voraussichtlich als drittstärkste Partei wieder nur vor der Wahl stehen, ob sie Juniorpartner der CDU oder der Linken wird. In Baden-Württemberg ist die SPD meilenweit von der Beteiligung an einer Landesregierung entfernt, in Rheinland-Pfalz hingegen droht Ministerpräsident Kurt Beck der Verlust der absoluten Mehrheit. In Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern müssen SPD-Ministerpräsidenten im September 2011 unter unterschiedlichen Voraussetzungen ihre Ämter verteidigen. Sie können also nur verlieren, aber nichts gewinnen.

Doch von all dem will die SPD derzeit nichts wissen. Sie feiern den Tag, an dem sie zusammen mit den Grünen die Macht in dem bevölkerungsreichsten Bundesland übernehmen und damit ein Gegenmodell zu Schwarz-Gelb in Berlin etablieren. „Wir sind wieder da“, tönen die Sozialdemokarten und betreiben damit vor allem Autosuggestion. Auf Dauer funktioniert dies allerdings nicht.

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