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Afghanistan Kundus

© dpa

SPD-Verteidigungspolitiker: "Es gab keinen Handlungsdruck"

Verteidigungspolitiker kritisieren den Luftangriff und fürchten Sympathieverluste für deutsche Soldaten in Afghanistan. Inzwischen gibt es auch bei der Nato keinen Zweifel mehr: Es wurden nicht nur Aufständische getroffen.

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Nach dem Besuch deutscher und amerikanischer Offiziere im Zentralkrankenhaus von Kundus gab es auch bei der Nato keine Zweifel mehr: Beim Luftangriff auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklastzüge in der Nacht zu Freitag wurden nicht nur Aufständische getroffen. Die Gruppe um US-Konteradmiral Gregory Smith, Chef der Isaf-Öffentlichkeitsarbeit, sprach mit Verletzten, stellte ihnen Fragen und machte Notizen. Auch Schaifullah, ein Junge mit Bandagen an Arm und Bein, schilderte, was er erlebte. „Wie alle anderen wollte ich Benzin aus den Tanklastern holen, als die Bomben auf uns fielen“, berichtete er.

Isaf-Chef McChrystal ließ mitteilen, er „nehme den möglichen Tod und Verletzungen unschuldiger Afghanen sehr ernst“. Unter seinem Kommando sollte es solche Zwischenfälle eigentlich nicht mehr geben, der US-General ist angetreten, den Schutz der Bevölkerung und nicht mehr die Jagd auf Taliban in den Mittelpunkt des Nato-Einsatzes zu rücken. Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold spricht denn auch von „einem dramatischen Rückfall in vergangen geglaubte Zeiten“. Aus seiner Sicht war der Luftangriff unnötig. Es habe in der Nähe der Tanklastwagen keine Gefechte gegeben, keine Isaf-Bodentruppen, die in Bedrängnis geraten wären und Luftunterstützung gebraucht hätten, sagte Arnold dem Tagesspiegel. „Es gab keinen Handlungsdruck.“ Die Bundeswehr verfüge über ausreichend Beobachtungsmöglichkeiten, um die Bewegungen der Taliban „Schritt für Schritt zu überwachen“.

Winfried Nachtwei, Verteidigungsexperte der Grünen, hält der Nato immerhin zugute, dass sie auf eine reale Gefahr reagiert habe. Schließlich seien am 16. August in der Region zwei Tanklastwagen von Taliban in Brand geschossen worden und vergangene Woche Tankfahrzeuge als rollende Bomben in Kandahar eingesetzt worden, sagte Nachtwei dem Tagesspiegel. Die Bilanz: 45 Tote. Dennoch fürchtet er, der Angriff könnte „einen Wendepunkt“ in der Wahrnehmung des deutschen Einsatzes markieren. Wenn die Entfremdung zwischen Bundeswehr und Afghanen wachse und die skeptische Distanz in Zorn und Ablehnung übergehe, „dann können wir gleich einpacken“, sagte Nachtwei dem Tagesspiegel.

Auch für den ohnehin schon stark eingeschränkten Wiederaufbau könnte dies verheerende Folgen haben. So hat die Deutsche Welthungerhilfe, die in Nordafghanistan Landwirtschaftsprojekte betreut und Bewässerungssysteme aufbaut, ihr ausländisches Personal vor den afghanischen Wahlen im August vorübergehend abgezogen. Anfang Oktober soll entschieden werden, ob und wie es weitergeht. „Bisher hat uns die Bevölkerung auf Gefahren aufmerksam gemacht. Ohne diese Informationen können wir unsere Arbeit nicht machen, denn wir gehen in Gebiete, in denen keine Armee ist“, erklärt Rudolf Strasser, der die Projekte der Welthungerhilfe von Kabul aus koordiniert. Wenn die Stimmung jetzt kippe, wisse er auch nicht mehr, wie es weitergehen soll, fügt Strasser hinzu. Das klingt nach Resignation.

Für die Bauern der Region dürfte es ohne die Helfer noch schwieriger werden, ihre Familien zu ernähren. Im Oktober muss der Winterweizen ausgesät werden, das Saatgut bekamen viele bisher von der Welthungerhilfe und anderen Organisationen. Die Armut dürfte auch der Grund dafür sein, dass sich Zivilisten in der Nacht zu Freitag zum Kundus-River begaben, um sich aus den beiden festgefahrenen Tanklastern Benzin abzuzapfen. Selbst wer kein Auto, Moped oder einen Generator besitze, vermutet Strasser, würde sich kostenloses Benzin nicht entgehen lassen. „Schließlich kann man es verkaufen.“ Der Grünenpolitiker Nachtwei weiß zudem, dass in den heißen Sommermonaten Bauern durchaus auch nachts auf ihren Feldern arbeiten. Daher kämen daher auch zu dieser Zeit immer schnell Menschen zusammen. Er rät der Nato, Nachschubtransporte künftig besser zu schützen. Schließlich sei nun klar, wie sehr die neue Versorgungsroute über den Norden bereits ins Visier der Taliban geraten sei.

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