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SPD-Zukunft: Rot-Rot! Aber wie?

Das Tabu war rhetorisch schnell gekippt. Aber zur linken Koalition auf Bundesebene ist noch ein weiter Weg. Dabei drängt die Zeit.

Klaus Wowereit war der erste, der es am Montag nach der Wahl, die für die SPD einen so verheerenden Ausgang genommen hatte, offen aussprach. "Das Tabu muss weg", erklärte Berlins Regierender Bürgermeister. Seitdem überschlagen sich Sozialdemokraten mit Bekenntnissen zu einem Strategiewechsel im Umgang mit der Linkspartei. Quasi über Nacht sind alle Abgrenzungsrituale Schall und Rauch. Rhetorisch haben die Sozialdemokraten das Tabu schnell gekippt. Aber einfach sind rot-rote und rot-rot-grüne Bündnisse nicht zu machen.

Eine Strategie, wie sich die Annährung an die Linkspartei vollziehen soll, haben die Sozialdemokraten noch nicht. Zumindest auf dem linken SPD-Flügel offenbart sich stattdessen in diesen Tagen eine gewisse Bereitschaft, den Sirenen-Gesängen von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi zu erliegen. Dort stimmen Sozialdemokraten munter in die Hartz-IV-muss-weg-Parolen ein und wollen mit der Schröderschen Agenda-Politik radikal brechen. Dabei laufen sie damit durchaus Gefahr, der Linkspartei in die Falle zu tappen und noch weiter in den Abwärtsstrudel hineingezogen zu werden.

Populismus kann die Linke allemal besser. Sie ist in der Lage, immer noch eine Schippe drauf zu legen, ein bisschen mehr Hartz IV, ein bisschen mehr Mindestlohn, ein bisschen mehr Reichensteuer. Am Ende würde Oskar Lafontaine die Bedingungen der rot-roten Zusammenarbeit diktieren. Doch für ein linkspopulistisches Projekt wird sich die Mehrheit der Wähler kaum erwärmen können.

Die SPD braucht, bevor sie sich auf das Abenteuer Rot-Rot einlässt, also erstmal wieder programmatisch festen Boden unter den Füßen. Dabei muss sie vor allem die Wähler in der Mitte im Blick behalten. Dort hat die Partei am vergangenen Sonntag mehr verloren als am linken Rand, dort interessiert die Wähler nicht so sehr Hartz IV, sondern die Bildungspolitik, nicht die Reichensteuer, sondern der Klimaschutz. Dort in der Mitte muss die SPD wieder zulegen, wenn sie ihre Kanzlerfähigkeit zurückerlangen will und das linke Lager insgesamt mehrheitsfähig werden soll.  

Als 1998 in Mecklenburg-Vorpommern SPD und Linke das erste rot-rote Bündnis schmiedeten, da hatte der Ministerpräsident Harald Ringstorff klare Vorstellungen davon, wie man die populistische PDS mit nicht verhandelbaren Vorgaben entzaubert. Auch ein kritisches Bekenntnis zur DDR-Vergangenheit rang er der Partei ab. Klaus Wowereit engagierte drei Jahre später in Berlin mit Thilo Sarrazin einen Finanzsenator, der mit seinem harten Sparkurs auch der FDP alle Ehre gemacht hätte. So schuf er in der Koalition ein Gegengewicht gegen linke Begehrlichkeiten.

Manche Genossen sagen nun, im Bund habe man noch hinreichend Zeit, um sich eine Strategie zurechtzulegen. Zudem können sie zu Recht darauf verweisen, dass auch die Linke zunächst ein paar machtstrategische Klärungen vornehmen muss. Zumindest ein Teil der Lafontaine-Truppe ist auf dem Fundi-Tripp und stemmt sich mit Händen und Füßen gegen einen realpolitischen Kurs.

Tatsächlich aber steht die SPD durchaus unter einem gewissen Zeitdruck. Denn die Voraussetzungen für die Herausbildung einer Machtalternative im linken Lager  werden für die SPD nicht besser, wenn sie jetzt auf Zeit spielt.

Erstens steht im Mai kommenden Jahres in Nordrhein-Westfalen die erste Landtagswahl nach der Bundestagswahl statt. In dem bevölkerungsreichsten Bundesland, das einst Stammland der Sozialdemokratie war und heute von einer schwarz-gelben Koalition regiert wird, stehen sich dann im Wahlkampf erstmals Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün als Machtoptionen gegenüber.

Der Wahlausgang an Rhein und Ruhr wird Signal-Wirkung weit über das Land hinaus haben und könnte auch für 2013 die ersten Weichen stellen. Die SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft schließt eine Zusammenarbeit mit Linken und Grünen schon seit längerem nicht mehr aus. Aber ausgerechnet in NRW wird der Landesverband der Linken von der innerparteilichen Gruppe "Antikapitalistischen Linke", die auf Systemopposition setzt, dominiert.

Zweitens drängen zumindest Teile der Grünen unübersehbar in Richtung Jamaika, sodass der SPD irgendwann der notwendige dritte Koalitionspartner abhanden kommen könnte. Die Verbürgerlichung der Öko-Partei ist schon weit fortgeschritten. Je rückwärtsgewandter die Annährung von SPD und Linkspartei daherkommt, desto größer wird die Bereitschaft der Grünen sein, das Lager zu wechseln.

Drittens läuft die SPD im Osten Gefahr, die Führungsrolle im linken Lager zu verlieren. Bei der Bundestagswahl lag die Linke in allen neuen Bundesländern vor den Sozialdemokraten. Verfestigt sich dieser Trend, wird die SPD der Linken dort schon in ein paar Jahren flächendeckend die Ministerpräsidentenämter überlassen und mit der Rolle des Juniorpartners zufrieden geben müssen. Auch das könnte sich auf das Selbstverständnis und die Zukunftsaussichten der SPD verheerend auswirken.

Die Zeit drängt. Ein Testversuch auf Landesebene wäre durchaus hilfreich. In drei Ländern hätte die SPD derzeit sogar die Möglichkeit. In Thüringen ist das Verhältnis zwischen SPD und Linken und vor allem zwischen den Frontmännern Matschie und Ramelow so zerrüttet, dass nichts mehr geht. Im Saarland zieren sich die Grünen. Die Basis will Rot-Rot-Grün, die Parteispitze Schwarz-Gelb-Grün. Auch persönliche Animositäten zwischen Politikern der drei Parteien stehen einer Zusammenarbeit im Wege.

Bliebe Brandenburg. Dort haben sich SPD und Linkspartei so weit angenähert, dass für Ministerpräsident Matthias Platzeck der Wechsel des Koalitionspartners möglich erscheint. Brandenburg böte aus Sicht der SPD auch einen weiteren Vorteil. Es ist derzeit das einzige Bundesland, in dem sie aus einer Position der Stärke heraus eine rot-rote Koalition bilden und der Linken Bedingungen diktieren könnte. Der ehemalige Parteivorsitzende Platzeck würde seiner Partei in der Krise damit einen großen Dienst erweisen.

Quelle: ZEIT ONLINE

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