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Angela Merkel und Wolfgang Schäuble.

© dpa

Spekulation über Rücktritt: Schäuble bleibt, der Frust auch

Der Finanzminister wird nicht zurücktreten. Doch die Spekulationen um seinen Austausch zeugen vor allem davon, wie mies die Stimmung in der Koalition ist.

Als die beiden das erste Mal seit 48 Stunden wieder gemeinsam vor die Presse treten, lässt Angela Merkel keine Zweifel: Nein, an den Gerüchten um eine Kabinettsumbildung sei nichts dran. Einen Medienbericht über den bevorstehenden Rückzug von Finanzminister Wolfgang Schäuble nennt sie "frei erfunden". Schäuble sagt nichts.

Es ist Freitagmorgen, kurz nach 11 Uhr im Pressezentrum des G-20-Gipfels von Seoul. Eigentlich sind die Kanzlerin und ihr Minister hierher gekommen, um kurz über den Zwischenstand der Verhandlungen mit den anderen Staats- und Regierungschefs zu berichten. Über Währungsfragen wollen sie sprechen und über den beigelegten Streit mit Amerikanern und Chinesen. Stattdessen geht es auf einmal um Personalfragen.

In seiner Freitagsausgabe berichtet das Handelsblatt, dass Schäuble abgelöst werden soll. Sein Nachfolger werde Innenminister Thomas der Maizière (CDU). Auch die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) werde ins Kabinett wechseln.

Merkel erreicht der Bericht beim Frühstück. Mit ihren engsten Beratern und Regierungssprecher Steffen Seibert sitzt sie bei Rührei, Croissants und frischen Früchten. Noch im Restaurant des deutschen Delegationshotels macht sie ihrem Ärger Luft.

Schäuble ist unter Druck, seit er in der vergangenen Woche seinen Sprecher Michael Offer in einer Pressekonferenz vor laufenden Kameras zusammengestaucht hatte. Offer war daraufhin Anfang dieser Woche zurückgetreten. Die Kanzlerin, heißt es, habe Schäuble noch vor dem Abflug nach Seoul zu einem Vier-Augen-Gespräch gebeten.

"Frei erfunden" ist in der Sprache der Medienwelt das schärfste Dementi überhaupt. Es ist eine Ohrfeige für die betreffenden Journalisten. Und so sagen die Spekulationen um die Zukunft des Finanzministers weniger etwas über Merkels Personalplanungen als über die Stimmung in der Regierungskoalition.

Denn tatsächlich machen vereinzelte Abgeordnete, aber auch Kabinettsmitglieder von Union und FDP, seit einiger Zeit gezielt Stimmung gegen Schäuble. Der Mann hat Gegner, und zwar nicht wenige. Viele Liberale sind verbittert darüber, wie Schäuble das Thema Steuersenkungen abgeschmettert hat. Das Umfragetief der FDP hat in ihren Augen vor allem mit der Politik des Finanzministers zu tun. Auch das Verhältnis zwischen Schäuble und Guido Westerwelle ist angespannt. Schäuble selbst gibt sich inzwischen gar keine Mühe mehr zu verbergen, wie wenig er vom FDP-Vorsitzenden und Vizekanzler hält. Aber auch in der Unionsfraktion gibt es Unmut über Schäuble.

Dabei scheint längst nicht ausgemacht, dass Merkel bei einem Rückzug Schäubles automatisch Thomas de Maizière zum Nachfolger machen würde. Von einem möglichen Wechsel des Innenministers ins Finanzministerium ist zwar die Rede, seit de Maizière den erkrankten Schäuble im Frühjahr kurzfristig bei einem Gipfeltreffen in Brüssel vertrat – obwohl nach der Kabinettsordnung eigentlich der Wirtschaftsminister der logische Vertreter gewesen wäre. Auch war de Maizière schon einmal Landesfinanzminister von Sachsen. Doch in Regierungskreisen heißt es, der Stern des Innenministers sei bei der Kanzlerin zuletzt eher gesunken. Seine Informationspolitik im Falle möglicher Terroranschläge durch Paketbomben habe im Kanzleramt Stirnrunzeln ausgelöst. Außerdem hält man de Maizière vor, den Koalitionsvertrag mit der FDP schlecht verhandelt zu haben: Der jetzige Innenminister hatte für die Union die Verhandlungen über die Steuer- und Finanzpolitik geführt – jenen Teil des Koalitionsvertrags, der seit dem Start der Regierung für Ärger sorgt.

Die Medienspekulation um einen Rückzug Schäubles hatte in den vergangenen beiden Tagen auch deswegen zusätzliche Nahrung erhalten, weil die beiden seit dem Abflug zum G-20-Gipfeltreffen nicht mehr zusammen öffentlich aufgetreten waren. Bei Presseterminen Merkels war Schäuble nicht dabei.

Dabei macht der Finanzminister nicht den Eindruck, als ob er selbst an Rückzug denke. Der Mann, der in seiner langen politischen Karriere so viel hätte werden können – Kanzler, Bundespräsident –, es dann aber nicht wurde, braucht noch den großen, krönenden Abschluss der eigenen Karriere. Für den überzeugten Europäer Schäuble soll das die Europapolitik sein. Genauer: Der anstehende Umbau der Europäischen Union zu einer Staatengemeinschaft, die nach der Krise noch näher zusammenrückt. Die Verhandlungen darüber werden die politische Agenda der kommenden Monate bestimmen. Solange will Schäuble bleiben. Mindestens.

Quelle: Zeit Online

Marc Brost

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