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Politik: Spiel um die Macht

Neuwahl oder Koalition: Polen rätselt über die Pläne des Nationalkonservativen-Chefs Jaroslaw Kaczynski

Gemütsregungen gibt das Gesicht der polnischen Sphinx selbst im Blitzlichtgewitter nicht preis. Schon seit Tagen flimmert das Antlitz von Jaroslaw Kaczynski den Polen auf allen Kanälen ins Haus. In einem Atemzug kündigt der 56-Jährige Neuwahlen und Koalitionsverhandlungen an. Vormittags erklärt der Chef der nationalkonservativen PiS den Zwist mit dem Ex-Partner der Bürgerplattform (PO) für beilegt. Nachmittags macht der Zwillingsbruder von Präsident Lech Kaczynski den Populisten der Bauernpartei Samoobrona neue Koalitionsofferten. Der PiS-Chef betrachte Politik als „Spiel, in dem alles erlaubt ist“, erklärt der PO-Abgeordnete Pawel Spiewak dessen Winkelzüge: „Und in diesem Spiel geht es um die vollständige Macht für die Brüder Kaczynski.“

Erst vor kurzem kürte die Zeitschrift „Wprost“ den gewieften Ränkeschmied zum „Mann des Jahres“. Der Vollblutpolitiker hat 2005 alle denkbaren Ziele erreicht. Bei der Parlamentswahl im September machte er die von ihm mitbegründete PiS zur stärksten Partei im Sejm. Um die Aussichten seines Bruders bei den folgenden Präsidentschaftswahlen nicht zu gefährden, verzichtete er auf das ihm zustehende Premieramt. Der Schachzug zahlte sich aus. Lech gewann die Wahl.

„Melde, Befehl ausgeführt“, rapportierte Polens neuer Staatschef Ende Oktober seinem 45 Minuten älteren Bruder. Doch seither sorgt Hobbyschachspieler Jaroslaw mit undurchsichtigen Manövern für wachsenden Missmut. Ohne feste Mehrheit ist das Minderheitskabinett seines Statthalters Marcinkiewicz nach zwei Monaten kaum noch handlungsfähig. Seither laviert der PiS-Chef. Den Bürgern sei das „Spektakel“ nicht mehr verständlich, klagt die Zeitung „Rzeczpospolita“. Die PiS habe für „größten Wirrwarr“ gesorgt, so der „Superexpress“: „Wohin führen uns die Brüder?“ Mit dem Posten des Präsidenten, des Sejm-Marschalls und des Premiers sind die höchsten Staatsämter in der Hand der PiS. Auch das Führungspersonal in den Amtsstuben hat sie zu Gunsten der eigenen Gefolgschaft fast komplett ausgewechselt. Doch obwohl die PiS nur ein Drittel der Sitze hat, will ihr Chefstratege die Macht nur ungern oder allenfalls mit schwächeren Partnern teilen.

Es sind die hohen Umfragewerte, die Jaroslaw Kaczynski darum mit Neuwahlen liebäugeln lassen. Seine Traum ist eine große Rechtspartei – unter seiner Führung. Zwar hat die PiS in dieser Woche Koalitionsgespräche mit den Bauernparteien und der LPR aufgenommen. Doch gleichzeitig bereitet sie sich bereits auf Neuwahlen im April vor. Die Linksparteien kündigten an, Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski als Zugpferd zu mobilisieren. Und der PiS-Chef scheint aufs Ganze zu gehen: Sollten bei Neuwahlen zwei kleine Parteien aus dem Sejm purzeln, könnten der PiS knapp 40 Prozent für eine Parlamentsmehrheit genügen.

Doch selbst in der eigenen Partei stößt das Vorhaben, die wahlmüden Polen mit einem vierten Urnengang innerhalb von neun Monaten zu beglücken, auf Skepsis. Viele Abgeordnete stottern noch die Kredite für den letzten Wahlkampf ab. Und die Stimmung kann bei Polens wechselfreudigen Wählern schnell kippen. Nach Ansicht ihres einstigen Mentors und heutigen Intimfeindes Lech Walesa sind die Zwillinge dabei, „ihren Sieg zu vergeuden“: „Ihnen entgleitet die Kontrolle.“

Thomas Roser[Warschau]

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