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NSA und BND. Inwieweit haben beide Geheimdienste zusammen Deutschland ausspioniert?

© imago/Ralph Peters

Spionage in Deutschland: BND und NSA - das mysteriöse Geflecht

Das Ausmaß der Kooperation zwischen dem BND und dem US-Geheimdienst NSA ist noch längst nicht geklärt. Wer ist beteiligt, und wer hat versagt? Fragen und Antworten zu einem brisanten Thema.

Von
  • Hans Monath
  • Frank Jansen

Die Kanzlerin setzte ein Stopsignal: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“, erklärte Angela Merkel 2013 im Herbst zum Lauschangriff des US-Geheimdienstes NSA auf ihr Mobiltelefon. Mehrfach hat die NSA versichert, sie halte sich an deutsches Recht. Doch das scheint gelogen. Denn der US-Dienst spähte offenbar massiv Ziele in Europa und Deutschland aus – und das ausgerechnet mit Hilfe des BND.

Auf welcher Grundlage beruht die Hilfe des BND für den NSA?

Wenige Monate nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vereinbarte der damalige BND-Chef August Hanning, dass der deutsche Geheimdienst der NSA bei der Überwachung elektronischer Kommunikation zur Abwehr von weltweiter Terrorgefahr helfen sollte. Im „Memorandum of Agreement“ vom 28. April 2002 versicherte die NSA ausdrücklich, dass sie sich an deutsches Recht halten werde. Die deutsche Politik stand damals unter Druck, weil sich mehrere der Terroristen unerkannt in Deutschland auf den Anschlag in den USA vorbereitet hatten. Zudem waren und sind die deutschen Geheimdienste bei der Gefahrenabwehr auf Informationen der finanziell und technisch weit besser ausgestatteten US-Partnerdienste dringend angewiesen. Der Kanzleramtschef, der die Zusammenarbeit damals genehmigte, hieß Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Wie lief und läuft die Überwachung technisch ab?

Die Amerikaner schickten Suchwörter (sogenannte Selektoren), also etwa IP-Adressen oder Mobilfunknummern, an den BND. Der deutsche Dienst speist sie in seine Systeme zur Überwachung verschiedener Weltregionen ein und lieferte Inhalte der Kommunikation in die USA, wo sie ausgewertet werden.

Wann fiel zum ersten Mal auf, dass die Amerikaner nicht nur Terroristen ausforschen wollten?

Spätestens 2008 fiel BND-Mitarbeitern auf, dass einige der von der NSA übermittelten Selektoren nichts mit Terrorabwehr zu tun hatten und deutschen Interessen zuwider liefen. Die NSA suchte offenbar gezielt nach Informationen über den europäischen Rüstungskonzern EADS, den Hubschrauberhersteller Eurocopter und über französische Behörden. Der BND meldete dies an seine Aufsichtsbehörde, das Kanzleramt, und versicherte, er gebe Informationen zu heiklen Selektoren nicht mehr an den US-Dienst weiter. Auch in der Folgezeit meldete der BND mehrfach das illegitime Interesse der NSA ans Kanzleramt und behauptete, solche Abfragen seien unterbunden worden. Entsprechende Dokumente hat das Kanzleramt dem NSA-Untersuchungsausschuss schon 2014 zur Verfügung gestellt.

Warum könnte sich der NSA für den Flugzeugbauer EADS interessiert haben?

EADS war mehr als ein Jahrzehnt lang Europas größter Luft- und Raumfahrtkonzern sowie das zweitgrößte europäische Rüstungsunternehmen. Seit dem Jahr 2000 unterhielt das Unternehmen 13 Jahre lang Geschäftsbeziehungen in alle Welt. Zum Jahreswechsel 2013/14 übernahm der Konzern den Namen seines Tochterunternehmens Airbus, um dessen Bedeutung zu unterstreichen. Die Rüstungssparte des Konzerns, Airbus Defence and Space, entwickelt unter anderem militärische Flugzeuge wie den Kampfjet Eurofighter , die Transportmaschine A400M, Satelliten, Trägerraketen und Verteidigungssysteme.

Im Frühjahr 2008 konnte das Unternehmen gemeinsam mit dem US-Partner Northrop Grumman unerwartet einen Großauftrag des US-Militärs für den Bau von 179 Tankflugzeugen gewinnen. Geschätztes Volumen: Zwischen 40 und 100 Milliarden Dollar. Mit der Order schien man den US-Konkurrenten Boeing ausgestochen haben. Doch dann entschied der damalige US-Verteidigungsminister Robert Gates im Sommer aus heiterem Himmel, den Auftrag neu auszuschreiben. Die Hintergründe dieser Entscheidung liegen weitgehend im Dunkeln. Der amerikanische Rechnungshof GAO hatte die Neuausschreibung mit der Begründung empfohlen, bei der Erstvergabe seien schwerwiegende Fehler gemacht worden, ohne die Boeing womöglich den Zuschlag bekommen hätte.

Welche neue Information macht die NSAAffäre nun brisant?

Seit vergangene Woche muss das Kanzleramt die Frage beantworten, ob es seiner Aufsichtspflicht über den BND ausreichend nachgekommen ist und warum es die unlautere Praxis der NSA nicht unterband. Am Donnerstag nämlich wurde publik, dass Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdienstes bei einer nach den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden eingeleiteten Prüfung im Jahr 2013 entdeckten, dass 2000 weitere von der NSA gelieferte Selektoren nicht dem vereinbarten Aufgabenprofil entsprachen. Nach den bisherigen Erkenntnissen meldeten der Unterabteilungsleiter Technische Aufklärung des BND und ein ihm unterstellter Referatsleiter ihr Wissen aber offenbar nicht nach oben weiter. Erst ein Beweisantrag des NSA-Untersuchungsausschusses und Nachfragen der Abgeordneten aus dem Gremium führten dann dazu, dass Mitte März der BND-Präsident unterrichtet wurde. Dieser gab die Information ans Kanzleramt weiter, das Mitte vergangene Woche die Fachleute im Bundestag informierte.

Kannte das Kanzleramt das Ausmaß der Ausspähung?

Die aus dem NSA-Untersuchungsausschuss bislang bekannt gewordenen Dokumente und Abläufe decken sich mit der Einschätzung aus Sicherheitskreisen. Danach sollen weder die Präsidenten des BND noch das Kanzleramtes gewusst haben, in welchem Ausmaß die NSA unterstützt wurde. Das Kanzleramt habe erst im März dieses Jahres Kenntnis bekommen, versichert die Regierung. Auch Sicherheitskreise bestreiten, dass Verantwortliche an der BND-Spitze und im Kanzleramt informiert gewesen sind. Dies gelte für August Hanning, der den Nachrichtendienst von 1998 bis 2005 führte, seinen Nachfolger Ernst Uhrlau, Präsident bis 2011, sowie den jetzt amtierenden Gerhard Schindler.

Im Kanzleramt soll keiner der Geheimdienstkoordinatoren, die für den BND, das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst zuständig sind, Bescheid gewusst haben. Geheimdienstkoordinatoren waren von 1996 bis 1998 August Hanning, anschließend Ernst Uhrlau bis 2005. Bis 2009 hatte Klaus-Dieter Fritsche den Posten inne. Dann folgte Günter Heiß. Ihm wurde 2014 im Kanzleramt auf Betreiben von Angela Merkel noch Klaus-Dieter Fritsche als beamteter Staatssekretär übergeordnet, mit spezieller Zuständigkeit für die Nachrichtendienste.

Keiner der genannten Personen sei über das Ausmaß der NSA-Machenschaften die Rolle von Mitarbeitern des BND informiert gewesen, sagen Sicherheitsexperten. Anderenfalls „wäre dem nachgegangen worden“, wird versichert. Sollte diese Version stimmen, wären auch die Chefs des Kanzleramts von 1999 bis heute, also Steinmeier, Thomas de Maizière, Ronald Pofalla und Peter Altmaier, nicht im Bilde gewesen.

Warum haben die BND-Fachleute ihr brisantes Wissen nicht weiter gegeben?

Auf diese Frage ist aus Sicherheitskreisen bislang keine plausible Erklärung zu hören. Allerdings widersprechen sie der These, wonach die NSA die deutschen Partner mit der Drohung erpresst haben könnte, die Zusammenarbeit der Aufklärung von Strukturen des islamistischen Terrorspektrums werde empfindlich reduziert, sollte der BND den Wünschen der Amerikaner nicht entsprechen.

Was muss aufgeklärt werden?

In einem ersten Schritt geht es zunächst um Sachinformationen: Auf welche Firmen, Personen oder Behörden bezogen sich die von der NSA gelieferten Selektoren, die die BND-Mitarbeiter 2013 aussortierten? Geht es dabei um Unternehmen, die mit US-Firmen im Wettbewerb stehen? Warum hätte eine Weitergabe von Informationen deutschen Interessen widersprochen? Wie wollen BND und Kanzleramt sicherstellen, dass der US-Partnergeheimdienst nicht künftig die Kontrollen wieder zu umgehen sucht und die deutschen Agenten damit zu Handlangern der Spionage gegen ihr eigenes Land macht. Ob BND und Kanzleramt die Liste aber jemals an den NSA-Ausschuss herausgeben, ist fraglich. Eine häufig gebrauchte Argumentation in solchen Fällen heißt: Die NSA lehnt die Weitergabe ab, da sie US-Sicherheitsinteressen gefährdet sieht. Im Interesse einer weiteren Zusammenarbeit müsse man sich dem beugen.

In einem zweiten Schritt geht es um die Verantwortung des BND-Präsidenten und des Kanzleramtes für Fehler: Hätten sie verhindert werden können, sind gar personelle Konsequenzen nötig? Die SPD schließt das nicht aus. Aus der Opposition kommen längst Forderungen nach einem Rücktritt von BND-Chef Schindler und auch bohrende Fragen nach der persönlichen Verantwortung der Kanzlerin.

Wie könnte Aufklärung gelingen?

Am Mittwoch kommender Woche tagt das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages zur Überwachung der Geheimdienste. Seine Mitglieder erwarten von der Regierung einen Bericht über den Sachstand in der Affäre. Einen Tag später steht die nächste Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses an. Geladen sind der Referatsleiter Technische Aufklärung und sein Unterabteilungsleiter aus dem BND, die ihre Kenntnisse über die seltsame Wissbegierde des US-Partnerdienstes NSA ein Jahr lang für sich behalten haben sollen.

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