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Spionage wirklich zu erkennen ist schwierig, aber Sicherheitskreise sind sich sicher: "Deutschland steht im Fadenkreuz ausländischer Nachrichtendienste"

© dpa

Spionage in Deutschland: Im Fadenkreuz der Nachrichtendienste

Deutschland wird auch von Partnern abgehört. Die Spionageabwehr könnte daher bald auch Briten und Amerikaner ins Visier nehmen. Die größte Sorge bereitet den Sicherheitsbehörden der Pariser Platz und das Regierungsviertel in Berlin.

Manchmal wird aus einer Mücke doch ein Elefant. Auch bei Geheimdiensten. Keith Alexander, Chef des amerikanischen Geheimdienstes NSA, ist das in diesem Jahr widerfahren. Im Sommer besuchte er Berlin und traf da unter anderem Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zum Frühstück, als plötzlich Mitarbeiter eine Meldung hereinreichten, in der von einem gewissen Edward Snowden die Rede war, der Dokumente über die Abhörpraxis der NSA veröffentlicht hatte. Alexander frühstückte ruhig weiter und sagte lapidar: „Das ist bloß ein kleiner Verräter aus Hawaii.“

Ein paar Wochen später war der Verfassungsschutzpräsident auf Gegenbesuch in Washington. Snowden war mittlerweile ein großes Thema. Doch wuchs in dieser Zeit nicht nur Snowden vom „kleinen Verräter aus Hawaii“ zum Staatsfeind Nummer eins, auch das Verhältnis zwischen den deutschen und den amerikanischen Sicherheitsdiensten ist belastet. In Sicherheitskreisen war man „überrascht“ vom Umfang der amerikanischen und britischen Spionage. Doch sind das längst nicht die einzigen Akteure. „Deutschland steht im Fadenkreuz ausländischer Nachrichtendienste“, heißt es in Sicherheitskreisen. Bisher hat die Spionageabwehr, federführend der Verfassungsschutz, Partnerstaaten nicht systematisch auf Spionageaktivitäten hin beobachtet. Doch nach den Debatten um die NSA könnte sich das nun ändern.

Maaßen ist skeptisch, ob ein No-Spy-Abkommen hilft

Derzeit heißt es in Sicherheitskreisen, würden die aktuellen Vorwürfe gegenüber den Amerikanern und Briten geprüft. Danach werde man sehen, wie in puncto Spionageabwehr mit den Partnern umzugehen sei. „Aber es wäre schade, wenn enge Bündnispartner systematisch beobachtet werden müssten, auch weil es eine Ressourcenverschwendung wäre“, heißt es. Von einem „360-Grad-Blick“ ist die Rede. Als Konsequenz wird ein No-Spy-Abkommen verhandelt. Maaßen ist skeptisch. „Wir brauchen die Amerikaner für unsere Sicherheit, aber die Amerikaner brauchen auch uns. Eine neue Zusammenarbeitsvereinbarung wäre da sehr hilfreich. Aber wir sind nicht so naiv zu denken, damit wäre alles geheilt“, sagte er dem Tagesspiegel.

Spionage wird aber nicht nur technisch betrieben, auch menschliche Quellen spielen noch immer eine wesentliche Rolle. Das heißt, Spione versuchen, Informanten in Behörden, im Bundestag oder in Parteien zu gewinnen. In Sicherheitskreisen ist da von einer Größenordnung im dreistelligen Bereich pro Jahr die Rede. Sicherheitsbehörden versuchen zu intervenieren, weil die angesprochenen Personen oftmals gar nicht wüssten, dass es sich um Anwerbeversuche von Geheimdiensten handele. Auch die Zahl der Spione aus Russland in Deutschland soll sich laut Sicherheitskreisen gegenüber der Zeit des Kalten Krieges nicht weiter verändert haben.

Besonders das Regierungsviertel stellt die Sicherheitsdienste vor Schwierigkeiten, weil dort diverse Botschaften sind. Nicht nur die Briten und die Amerikaner stehen im Verdacht, von dort aus Telefonate abzuschöpfen. Von einer „vulnerablen Situation“ ist die Rede. Ein Verfassungsschützer sagt: „Wenn im Regierungsviertel telefoniert wird, hat man wohl nicht nur einen Zuhörer.“ Mit relativ einfacher Technik könne dort abgehört werden, heißt es in Sicherheitskreisen. Diese Form des passiven Abhörens, also ohne dass Trojaner oder Ähnliches direkt in Handys platziert werden, sei relativ schwer nachweisbar.

"Holzhütten" auf dem Dach der russischen Botschaft

Auch Überflüge über die Botschaften hätten laut Sicherheitskreisen keine Erkenntnisse geliefert. Verdächtige Antennen gäbe es auf der US-Botschaft nicht, aber eine vierte Etage, hinter deren abgedunkelter Fassade viel sein könne. Auf der britischen Botschaft befindet sich ein zylinderförmiges Konstrukt, das Sicherheitskreise als „Kunstwerk“ bezeichnen und in dem alles Mögliche sein könne. Bei den Russen spricht man von „Holzhütten“ auf dem Dach, in denen ebenfalls Abhörtechnik sein kann, aber nicht muss.

Viele Möglichkeiten hat die Spionageabwehr nicht. Vor allem, heißt es in Sicherheitskreisen, sei diese nicht zum „Nulltarif“ zu haben. Mehr Geld, mehr Personal und bessere Technik lauten die Forderungen der Spionageabwehr an die neue Bundesregierung. Wenn sich Deutschland zudem unabhängiger von Amerika machen wolle, müsse auch mehr Geld in die Hand genommen und bestimmte heimische Industriezweige gestärkt werden, um autarke IT-Strukturen aufzubauen, heißt es weiter.

Doch selbst dann wird eine große Schwierigkeit bleiben: Spionage überhaupt zu erkennen. Das ernüchternde Fazit lautet deshalb: „Wir müssen mit einer hohen Dunkelziffer im Bereich der Spionage leben.“

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